Geschäft: Steuerbelastung von Ergänzungsleistungsbezügerinnen und -bezügern

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer40.10.07
TitelSteuerbelastung von Ergänzungsleistungsbezügerinnen und -bezügern
ArtKR Berichterstattung
ThemaGesundheitspflege, Sozialversicherung, Sozialhilfe
FederführungFinanzdepartement
Eröffnung4.4.2006
Abschluss30.11.2010
Letze Änderung28.8.2024
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
BotschaftBericht der Regierung vom 29. Juni 2010
MitgliederlisteKommissionsbestellung vom 20. September 2010
Aktuelle Mitgliederliste
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium19.1.2023
Statements
DatumTypWortlautSession
30.11.2010Wortmeldung

(im Namen der FDP-Fraktion): Auf die Vorlage ist einzutreten.

Der Bericht zeigt auf, dass die Steuerbelastung von EL-Bezügern gegenüber der Steuerbelastung von AHV-Rentnern ohne EL zu Ungleichheiten bei den effektiv letztlich zur Verfügung stehenden Finanzen führt. Es ist störend, wenn einerseits öffentliche Gelder aus der Ergänzungsleistung für die Erreichung eines angemessenen Lebensstandards beansprucht werden müssen und gleichzeitig die ordentliche Rente besteuert wird. Andererseits zeigen die Beispiele im Bericht auf, dass die grösste steuerliche Ungleichbehandlung zwischen den AHV-Bezügern und den AHV-EL-Bezügern besteht. Die Ergänzungsleistung ist nämlich steuerbefreit. Das heisst, der geschuldete Steuerbetrag ist bei Rentnern mit einer ordentlichen AHV-Rente bei gleicher Ausgangslage höher und der letztlich zur Verfügung stehende Betrag dadurch automatisch kleiner. Als Belastungsgrenze wird das betreibungsrechtliche Existenzminimum angenommen, welches schon im Grundbeitrag rund 300 Franken unter dem Ergänzungsleistungsgrundbedarf liegt. Die Frage nach der Steuerbefreiung stellt sich immer wieder. Im Jahr 2006 haben aber bereits rund 28'000 Alleinstehende und mehr als 8'000 Ehepaare keine Einkommenssteuern mehr bezahlt. Diese Zahl ist mit den Nachträgen zum Steuergesetz noch angestiegen. Eine generelle Erhöhung der Nullstufe erweist sich somit als schlechte Lösung. Die FDP-Fraktion lehnt eine Erhöhung der Nullstufe ab.

Der Bericht zeigt eine offensichtliche Schieflage im System auf. Allerdings weist er auch darauf hin, dass auf kantonaler Ebene im Moment keine Möglichkeit besteht, hier Abhilfe zu schaffen. Auf Ebene Bund ist eine Standesinitiative des Kantons Bern in Behandlung, welche zum einen eine Steuerpflicht für sämtliche Einnahmen, also einschliesslich Renten, Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen, sieht und andererseits das Existenzminimum von der Besteuerung ausnehmen will. Die Regierung des Kantons St.Gallen könnte sich ein solches Kombinationsmodell vorstellen. Da dies aber eine Anpassung des Steuerharmonisierungsgesetzes verlangt, ist die Behandlung in den eidgenössischen Räten abzuwarten. Das Thema Steuerbefreiung bzw. ein neues Steuermodell für Rentner und EL-Bezüger ist in einer ordentlichen Steuergesetzrevision anzugehen, wenn die Resultate von Bern da sind.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
30.11.2010Wortmeldung

(im Namen der CVP-Fraktion): Auf die Vorlage ist einzutreten.

Der Bericht zeigt auf, dass AHV-Rentner gegenüber EL-Bezügerinnen und -Bezügern klar benachteiligt sind, da die AHV-Renten als Einkommen versteuert werden müssen, nicht aber die Ergänzungsleistungen. Hier erkennt auch die CVP-Fraktion Handlungsbedarf, dies aber auf nationaler Ebene. Sie ist froh, dass auch die Regierung die Bestrebungen des nationalen Parlamentes aufgrund der Standesinitiative von Bern unterstützt, welche beinhaltet, dass einerseits ein gesetzlich umschriebenes Minimaleinkommen für alle steuerbefreit wird und im Gegenzug alle Wertzuflüsse – Renten, Ergänzungsleistungen, Sozialhilfebeiträge usw. – steuerpflichtig sind. Die nationalen Räte und der Bundesrat wollen eine Gesetzesvorlage dringlich vorlegen. Die CVP-Fraktion sieht genau wie die Regierung die Heraufsetzung der Nullgrenze beim kantonalen Steuertarif nicht als Lösung, würde damit die Gruppe der Bürgerinnen und Bürger, die keinen Beitrag an den Staat abgeben, noch grösser, was politisch nicht gewünscht wird.

Das zweite Anliegen der Postulanten, dass für EL-Bezüger bei Steuererlassen nicht das betreibungsamtliche Existenzminimum, sondern der Ansatz des Existenzminimums bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen angewendet werden soll, würde die rechtsgleiche Behandlung aller Steuerzahler unterlaufen. Die Festsetzung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums für Steuererlasse ist zudem im Bundesrecht geregelt. Die CVP-Fraktion sieht aus kantonaler Sicht keinen Handlungsbedarf.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
30.11.2010Wortmeldung

Ratsvizepräsident: Das Präsidium sieht eine Eintretensdiskussion vor.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
30.11.2010Wortmeldung

(im Namen der SVP-Fraktion): Auf die Vorlage ist einzutreten.

Die SVP-Fraktion ist grundsätzlich der Meinung, dass die Besteuerung nach den wirtschaftlichen Leistungsfähigkeiten und dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit zu vollziehen ist. Sie erkennt im bisherigen System eine Besserstellung der EL-Bezüger und eine enorme Bandbreite, die vom Privilegierungs- bis hin zum Diskriminierungsverbot reicht. Demzufolge hat die Praxis, wie sie im Bericht beschrieben ist, bis zum heutigen Zeitpunkt zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Die SVP-Fraktion meint einen Handlungsbedarf zu erkennen, der aber klar vom Grundsatz der Steuergerechtigkeit auszugehen hat. Sie ist der Meinung, dass sich steuerrechtliche Veränderungen in einem einfachen Muster wiedergeben müssten. Ebenso wichtig sind ihr die technischen Möglichkeiten. Die Abläufe sollten weder aufwendiger noch kostenintensiver werden. Es ist wichtig, dass auch tiefe Einkommen grundsätzlich steuerpflichtig sind. Diese Steuerpflicht muss aber angemessen sein. Steuerpflicht ist ein Bestandteil eines vollwertigen Bürgerdaseins und hält das Bewusstsein für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat und für dessen Kosten wach.

Das bedeutet, dass auch Einkommensteile aus Sozialwerken grundsätzlich steuerbar sein sollten. Eine allgemeine Steuerbefreiung wie z.B. ein Existenzminimum oder eine Nullstufe bzw. eine Erhöhung dieses Betrages ist abzulehnen. Insbesondere weil damit eine zunehmend breitere Bevölkerungsschicht aus der Steuerpflicht fallen würde - vergleiche dazu die «Gratisbürger» auf S. 13 des Berichts der Regierung. Aus diesem Grund ist auch die Motion der WAK des Ständerats kritisch zu beurteilen. Ebenfalls darf eine «gerechte Besteuerung» der staatlichen Sozialleistungen (z.B. Sozialhilfeleistungen oder Ergänzungsleistungen) nicht dazu führen, dass die Leistungen an die Empfänger erhöht werden müssen, nur damit sie in der Lage sind, die Steuern zu bezahlen. Kritisch zu hinterfragen ist die Besteuerung von EL-Bezügern im Fall von Aufwendungen, welche nicht gedeckt sind, z.B. die Abgeltung von Einkommen, welche unterhalb des Nettoeinkommens liegen und nicht deklariert werden. In-wie-weit hier der Datenschutz eine Rolle spielt, zeigen uns die Ausführungen unter dem Titel «Vorgeschichte» auf S. 3 des Berichts. Solange die jetzige Praxis anhält, findet klar eine Besserstellung der EL-Bezüger statt, die mit der Steuergerechtigkeit nicht zu vereinbaren ist. Die SVP-Fraktion lehnt die Befreiung von der Steuerpflicht beim Existenzminimum ab und möchte wie eingangs erwähnt am Grundsatz der Steuergerechtigkeit festhalten. Steuerpflicht ist Bestandteil eines vollwertigen Bürgerdaseins und hält das Bewusstsein für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat und für dessen Kosten wach.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
30.11.2010Wortmeldung

Ratsvizepräsident stellt Kenntnisnahme vom Bericht fest.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
30.11.2010Wortmeldung

(im Namen der SP-Fraktion): Auf die Vorlage ist einzutreten.

Aus Sicht der SP-Fraktion handelt es sich hier um eine sehr ernsthafte Ungerechtigkeit, die dringend korrigiert werden muss. Sie ortet - wie das schon vorher angesprochen wurde - allerdings die Ungerechtigkeit weniger im Kreis der EL-Bezüger als vielmehr im Vergleich zwischen diesen und Personen mit niedrigem Einkommen. Eine alleinlebende Person kommt heute mit Ergänzungsleistungen auf ein Einkommen von etwa 3'000 Franken. Wird nun ein erheblicher Teil dieses Einkommens aus Ergänzungsleistungen bezogen, dann muss diese Person keine Steuern bezahlen. Wird dieses Einkommen aber durch eine Arbeit im Billiglohnbereich oder durch eine AHV-Rente und vielleicht einen kleinen BVG-Anteil erwirtschaftet, dann kassiert der Staat 10 Prozent davon. Das heisst, dass dann jeden Monat Steuern in der Grössenordnung von 300 Franken zu bezahlen sind. Es ist eine stossende Ungerechtigkeit, dass diejenigen, die das Zumutbare tun, bestraft werden. Es ist einfach unverständlich, dass bei gleichem Einkommen die einen, jenachdem zu welcher Kategorie sie gehören, am Monatsende mehr zur Verfügung haben als die anderen. Grund für dieses Problem ist, dass die eidgenössischen Räte einen verfassungsmässigen Auftrag, den sie seit mehr als 60 Jahren haben, nicht umgesetzt haben. Die Verfassung schreibt nämlich vor, dass die AHV-Renten existenzsichernd sein müssen. Wenn die eidgenössischen Räte diesen Auftrag umgesetzt hätten, dann gäbe es diese Diskussionen, wie wir sie hier führen, gar nicht. Leider kann der St.Galler Kantonsrat das AHV-Gesetz nicht ändern, und es ist auch nicht zu erwarten, dass die eidgenössischen Räte dies in Kürze tun werden. Also bleibt nichts anderes übrig, als diese eklatante und stossende Ungerechtigkeit anders zu lösen.

Die SP-Fraktion ist der Meinung, dass der Bundesgesetzgeber mit der Definition der Ergänzungsleistungsgrenze bei knapp 3000 Franken für eine alleinlebende Person und dem gleichzeitigen Verzicht auf Besteuerung dieses Einkommens eigentlich eine schweizweit geltende Grösse vorgegeben hat. Diese muss für alle Personen gelten, die mit diesem Einkommen leben müssen. Der Bundesgesetzgeber ist bekanntlich eine mehrheitlich bürgerlich dominierte Institution, und ebendieser Bundesgesetzgeber hat gesagt, dass es knapp 3'000 Franken braucht. Wenn das für die EL-Bezüger gilt, dann muss das gemäss Beurteilung der SP-Fraktion für alle anderen, in einem Arbeitsprozess stehenden Personen auch gelten. Werden diese durch eine Besteuerung anders behandelt, dann ist das einfach eine stossende Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, und der Kanton vereitelt tendenziell Bundesrecht. Die SP-Fraktion erachtet dies als nicht zulässig. Ihres Erachtens ist auch die kantonale Praxis des Steueramtes rechtswidrig, weil sie identische Situationen betreffend wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sehr unterschiedlich behandelt. Wenn im Monat 2'900 Franken zur Verfügung stehen und davon jeweils 300 Franken ans Steueramt abgeliefert werden müssen, ist das ein entscheidender Betrag, eine schmerzhafte Grösse. Die einen können das Geld behalten, die anderen müssen es abliefern. Die SP-Fraktion ist deshalb der Auffassung, dass bereits heute das Steueramt eine Praxis finden müsste, die alle Personen, die an der Ergänzungsleistungsgrenze leben, von den Steuern befreit. Dies würde dem Gleichbehandlungsgrundsatz Nachachtung verschaffen. Die SP-Fraktion findet die jetzige Entwicklung auch beängstigend. Sie ist sich zwar bewusst, dass sie diese Entwicklung nicht stoppen oder verändern kann. Sie setzt sich aber dafür ein, dass die Einkommen gerechter verteilt werden, damit alle in der Lage sind, entsprechend Steuern zu bezahlen. Die SP-Fraktion hat davon Kenntnis genommen, dass in Bern die Sache nun aufgrund einer Standesinitiative des Kantons Bern in Arbeit ist. Sie hofft, dass das Problem der gerechten Besteuerung einer guten Lösung zugeführt wird. Sie befürchtet aber, dass am Schluss dann auch die EL-Bezüger besteuert werden, und dies sollte auf alle Fälle vermieden werden.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
30.11.2010Wortmeldung

Präsidentin der vorberatenden Kommission: Auf die Vorlage ist einzutreten.

Die vorberatende Kommission hat das Geschäft an einer halbtägigen Sitzung ausführlich diskutiert. Anwesend waren 14 Kommissionsmitglieder, 1 Mitglied war entschuldigt. Von Seiten der Regierung stand Regierungsrat Martin Gehrer, Vorsteher des Finanzdepartementes, zur Verfügung sowie aus der Verwaltung Rainer Zigerlig, Leiter des Kantonalen Steueramtes. Die vorberatende Kommission liess sich zu Beginn der Sitzung durch einen Praktiker informieren. Albert Baumgartner, Leiter Fachbereich Soziale Arbeit bei der Pro Senectute der Stadt St.Gallen, informierte die Kommissionsmitglieder aus Beratungs- und Betroffenensicht. Er veranschaulichte mit einigen Beispielen die aktuelle Situation und wies insbesondere auf die unterschiedlichen Existenzminima hin. Als problematisch bezeichnete er den Umstand, dass der Staat über die Ergänzungsleistungen Menschen unterstützt, ihnen für den Lebensunterhalt ein bestimmtes Existenzminimum zusichert und im Rahmen der Steuern oder des Steuererlasses dann ein tieferes, das betreibungsrechtliche Existenzminimum, heranzieht. Im Weiteren bezeichnete er die Situation, dass hier Menschen betroffen sind, die ihr Leben lang über ein geringes Einkommen verfügten, ebenfalls als problematisch. In der Eintretensdiskussion wurde der Bericht der Regierung gewürdigt und als sehr gut verständlich bezeichnet. Insbesondere die Beispiele, welche die Problematik aufzeigen, dass nicht nur Menschen mit Ergänzungsleistungen mit bescheidenen Mitteln auskommen müssen, sondern dass es auch Menschen mit geringen Lohneinkommen gibt, die in der gleichen Einkommenssituation höhere Steuererträge entrichten müssen, da die Ergänzungsleistungen steuerbefreit sind. Die vorberatende Kommission ist mit 14:0 Stimmen auf den Bericht eingetreten. In der vorberatenden Kommission wurden folgende Sachverhalte vertieft diskutiert und teils durch die Regierung und den Sachverständigen ergänzend informiert.

Die Steuererlasspraxis: Beim Steuererlass wird das betreibungsrechtliche Existenzminimum herangezogen, die Praxis hat sich kantonsweit vereinheitlicht, nachdem es früher sehr grosse Unterschiede zwischen den Gemeinden gab. Viele Fälle werden heute von kantonalen Steuersekretärinnen und -sekretären beurteilt, nur noch wenige direkt in den Gemeinden. Die Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und die Situation von Menschen mit geringem Einkommen wurden diskutiert. Dann die verschiedenen Existenzminima, das sozialhilferechtliche Existenzminimum, welches das tiefste ist, das betreibungsrechtliche und das ergänzungsleistungsrechtliche Existenzminimum. Ebenfalls wurde die Erhöhung der Nullstufe diskutiert. Zuletzt der ganze Themenkomplex «Freistellung des Existenzminimums und Steuerbarkeit von Ergänzungs- und Sozialhilfeleistungen», hier wurde das Berner Modell resp. die Motion der WAK Ständerat vertieft angeschaut, wie sie auch in der Vorlage ausgeführt sind. Hintergrund dieser Vorstösse ist die Problematik beim Austritt aus der Sozialhilfe. Die Lösung, das Existenzminimum von der Besteuerung auszunehmen und in der Folge die Sozialhilfeleistungen wie auch Ergänzungsleistungen zu besteuern, wurde in der Kommission unterschiedlich beurteilt. Mehrheitlich wurde es aber als gute Lösung betrachtet. Einzelne Voten zeigten auf, dass die Steuerbefreiung des Existenzminimums nicht begrüsst wird oder aber dass befürchtet wird, dass gerade für Ergänzungsleistungsbezüger und -bezügerinnen (im Folgenden EL-Bezüger) eine Schlechterstellung gegenüber der heutigen Situation entstehen könnte, weil es auch nicht klar ist, welches Existenzminimum dann herangezogen werden soll. Für die im Postulat aufgeworfene Fragestellung gibt es keine einfache Lösung, jede Lösung bringt wieder andere Ungerechtigkeiten. Die Kommission hat mit 14:0 Stimmen vom Bericht Kenntnis genommen.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
30.11.2010Wortmeldung

(im Namen der GRÜ-Fraktion): EL-Bezüger, die an beratende Institutionen wie die Pro Senectute gelangen, haben oft und berechtigterweise das Gefühl, dass der Staat mit der einen Hand Ergänzungsleistungen auszahlt und mit der anderen durch die Steuern wieder abschöpft. Bevor ich diesen Bericht gelesen habe, schien das auch mir widersinnig. Ich hielt es auch für möglich, dass die EL-Bezüger über Gebühr geschröpft würden. Nun zeigt aber dieser Postulatsbericht auf, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Um den angemessenen Grundbedarf für das Existenzminimum und den Steuererlass in Notfällen taucht eine ganze Anzahl gordischer Knoten auf - wir haben es eben gehört. Auch Steuerpflicht und Steuerbefreiung sind ein Thema. Ist es nicht ungerecht, dass EL-Bezüger auch noch Steuern auf ihren ohnehin sehr bescheidenen Mitteln bezahlen? Das stimmt natürlich irgendwie. Ebenso ungerecht behandelt muss sich eine Person vorkommen, die mit eigenen, bescheidenen Mitteln dasselbe Gesamteinkommen erreicht wie ein EL-Bezüger, aber beispielsweise 30mal höhere Steuern bezahlt. Die Diskrepanz der Steuern von Fr. 100.- auf der einen und Fr. 3'000.- auf der anderen Seite ist anhand eines Beispiels im Bericht erklärt. Die beiden Parteien wissen zumeist nichts voneinander und lösen deshalb auch keine Proteste aus. Der Grund für diese Ungleichheit liegt darin, dass Ergänzungsleistungen nicht steuerpflichtig sind. Das ist im Bundesrecht verankert, und die grundsätzliche Absicht dahinter ist sicher richtig. Nun hat aber der «Steuerdschungel» die gute Absicht eingeholt. Es ist diesem Postulat hier zu verdanken, dass der Handlungsbedarf auch in St.Gallen deutlich wird. Leider konnte die Regierung schlüssig darlegen, dass es keine einfache Lösung für dieses Problem gibt. Sie und auch ich hoffen auf eine Lösung aus Bern. Denn eine Standesinitiative und eine Motion in der Wirtschafts- und Abgabenkommission (abgekürzt WAK) des Ständerats sollen zügig zu einem Vorschlag für ein Kombinationsmodell führen, wonach einerseits ein Existenzminimum von der Besteuerung ausgenommen wird und andererseits Ergänzungsleistungen, Sozialhilfeleistungen usw. künftig zu versteuern sind. Es bleibt zu hoffen, dass eine überzeugende Lösung besser heute als morgen auf dem Tisch liegt.

Zu den Ergänzungsleistungen: Viele der heutigen EL-Bezüger haben während Jahrzehnten in KMU gearbeitet, die oft keine berufliche Vorsorge anboten. Viele Frauen sorgten während Jahrzehnten für die Familie und die Erziehung der Kinder. Diese Tatsache hat ihnen die zweite Säule vorenthalten. Dass es immer noch sehr viele EL-Bezüger gibt, ist das Resultat einer langjährigen Politik, die nicht sehr nachhaltig war. Das Volk nahm 1972 den Verfassungsauftrag für das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (abgekürzt BVG) an, das Bundesparlament brachte dieses erst im Jahr 1985 auf den Weg. Lange Zeit gab es dann noch die «goldenen Sessel für unter-45-Jährige», d.h. der Beitrag des Arbeitgebers blieb bei diesem zurück. Es brauchte einen Kraftakt der Angestellten und der Gewerkschaften, um diesen Zustand zu verändern. Teilzeitbeschäftigte waren oft ausgeschlossen, weil sie die Einkommensschwelle nicht erreichten. Erst auf Druck weiblicher Parlamentsangehöriger wurde dies vorwiegend von den Grünen und der Linken geändert. Aber auch noch heute ist die grosse Lohnschere zwischen den sogenannten Kopfarbeitern und den Handarbeitern zu kritisieren. Bei Löhnen um durchschnittlich 5'000 Franken im Monat lässt sich erahnen, dass die Ergänzungsleistungen eine Dauereinrichtung bleiben werden. Meine Lösung für die Zukunft wäre, diese Schere zu schliessen.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
30.11.2010Wortmeldung

legt seine Interessen als ehemaliger Präsident des Pro-Senectute-Stiftungsrates offen.

Das Anliegen des Postulates, das ich 2006 eingereicht habe, ist nach wie vor aktuell, obwohl die Bearbeitung vier Jahre beansprucht hat. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass die Regierung seinerzeit die Gutheissung des Postulates beantragt hat. Die Regierung hat also den Auftrag aus eigener Initiative entgegengenommen, um Bericht zu erstatten und gegebenenfalls Antrag zu stellen, wie die steuerliche Situation von EL-Bezügern verbessert werden kann. Beim Studium des Berichts habe ich mit einer gewissen Enttäuschung zur Kenntnis nehmen müssen, dass keinerlei konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreitet werden. Der Bericht erschöpft sich in einer vorwiegend steuerrechtlichen Betrachtung, und die sozialpolitischen Aspekte sind vernachlässigt. Grundlage des Postulates ist für mich nach wie vor der Widerspruch, dass für die Bemessung der Ergänzungsleistungen von einem bestimmten, detailliert festgelegten Existenzminimum ausgegangen wird. Dieses Existenzminimum wird vom Bundesgesetzgeber als angemessen angesehen, so wie es die Bundesverfassung für die Altersvorsorge verlangt. Die AHV-Rente kann dieses angemessene Existenzminimum nicht sicherstellen. Deshalb wurden die Ergänzungsleistungen eingeführt. Nun haben wir die Situation, dass einerseits mit den staatlichen Ergänzungsleistungen ein angemessenes Existenzminimum erreicht wird, dieses aber andererseits durch die Steuerforderungen wieder unterlaufen wird. Dies insbesondere deshalb, weil beim Steuererlass auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum abgestellt wird, das bekanntlich sehr tief ist. Dieser Widerspruch steht für mich nach wie vor im Vordergrund, und deshalb besteht auch weiterhin Handlungsbedarf.

Ich verkenne nicht, dass die Ausgangslage rechtlich anspruchsvoll ist. Es ist wahrscheinlich kaum möglich, mit dem kantonalen Recht eine vernünftige Lösung herbeizuführen. Der Verweis auf die Standesinitiative des Kantons Bern, die bei den eidgenössischen Räten hängig ist, geht für mich soweit in Ordnung. Unbefriedigend ist aber, dass sich der Verweis darin erschöpft, dass das Modell dieser Standesinitiative eines ist, das man sich gut vorstellen kann. Eine grosse Begeisterung ist aus diesem Hinweis nicht zu erkennen. Wenn der Auftrag damals entgegengenommen wurde, um darzustellen, wie die steuerliche Situation von EL-Bezügern verbessert werden kann, dann hätte ich erwartet, dass die Regierung ihre Vorstellungen konkretisiert aufzeigen würde. Ich hätte erwartet, wie denn eine solche Lösung aussehen könnte, welche Spielräume überhaupt bestehen und insbesondere, wie die Regierung denn von diesen Spielräumen Gebrauch zu machen gedenkt. Darin findet sich im Bericht leider nichts.

Einräumen möchte ich, dass sich das Bild im Rahmen der Diskussion etwas erhellt hat. Einerseits wurde das Bemühen der Steuerverwaltung, sich in dieser schwierigen Problematik einigermassen sachgerecht zu bewegen, sichtbar, andererseits wurde auch dargelegt, dass die Spielräume gemäss dem geltenden Recht klein sind. Ich habe den Eindruck, dass die Kritik über die fehlende Bundeslösung aufgenommen wurde, und hoffe, dass der Vorsteher des Finanzdepartements sich noch dazu äussern wird.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010