Geschäft: Volksabstimmungen über nicht referendumspflichtige Beschlüsse ermöglichen

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer42.24.06
TitelVolksabstimmungen über nicht referendumspflichtige Beschlüsse ermöglichen
ArtKR Motion
ThemaGrundlagen und Organisation
FederführungStaatskanzlei
Eröffnung1.5.2024
Abschlusspendent
Letze Änderung14.8.2024
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
WortlautWortlaut vom 1. Mai 2024
AntragAntrag der Regierung vom 13. August 2024
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.5.2024Gremium2.6.2024
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
16.9.2024Eintreten37Zustimmung65Ablehnung18
Statements
DatumTypWortlautSession
16.9.2024Beschluss

Der Kantonsrat tritt mit 65:37 Stimmen nicht auf die Motion ein.

Session des Kantonsrates vom 16. bis 18. September 2024, Herbstsession
16.9.2024Wortmeldung

Schöb-Thal: Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Ich verzichte auf meine Erklärung, da sämtliche Aspekte auf dem Tisch liegen und sie der Staatssekretär van Spyk nochmals ausführlich erklärt hat.

Session des Kantonsrates vom 16. bis 18. September 2024, Herbstsession
16.9.2024Wortmeldung

Staatssekretär van Spyk: Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Die Vorhersehbarkeit ist ein zentraler Grundsatz, auch der Rechtsstaatlichkeit. Sie nimmt gerade auch im Bereich der Volksrechte eine zentrale Funktion ein. Daher sollten gerade auch im Bereich der Volksrechte, nicht Einzelfall bezogene Entscheide über die Unterstellung über das Referendum massgeblich sein, sondern die in der KV festgehaltenen Regelungen gelten. Das macht die Prozesse und die Planbarkeit der politischen Geschäfte vorhersehbar. Weiter macht es auch eine klare Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Organen deutlich. Ich bitte Sie, auch im Sinn dieser Vorhersehbarkeit, die demokratisch legitimiert ist, an der bestehenden Regelung festzuhalten.

Session des Kantonsrates vom 16. bis 18. September 2024, Herbstsession
16.9.2024Wortmeldung

Steiner-Kaufmann-Gommiswald (im Namen der Mitte-EVP-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Mit dieser Motion soll die Möglichkeit geschaffen werden, Beschlüsse einem ausserordentlichen Referendum zu unterstellen. Aktuell ist abschliessend in unserer KV geklärt, welche Beschlüsse einem obligatorischen oder einem fakultativen Referendum unterstehen. Weiter gibt es noch die Möglichkeit des Ratsreferendums, das politischen Minderheiten zugut kommt.

Das aktuelle System ist demokratisch via KV legitimiert. Unsere Beschlüsse sind zusätzlich vom Volk legitimiert. Mit unserer Wahl sind wir Vertreterinnen und Vertreter des Volkes und werden delegiert, uns vertieft den Geschäften zu widmen und nach bestem Wissen und Gewissen zu Entscheidungen im Sinn der Bevölkerung zu kommen. Unser Amt bringt insofern neben Würde eben auch die Bürde mit sich, die Verantwortung zu übernehmen und zu anspruchsvollen Entscheiden zu stehen.

Mit einem neuen ausserordentlichen Referendum besteht die Gefahr, dass politische Prozesse an Trägheit und Unberechenbarkeit zulegen, Rechtsunsicherheiten über längere Zeiträume geschaffen würden, und Entscheide je nach spontanen politischen Dynamiken an das Volk übertragen würden. Das entspricht nicht unserem Demokratieverständnis. Wir erkennen weder Not noch eine dringende Notwendigkeit, vielmehr aber Gefahren und Risiken, neu ein ausserordentliches Referendum einzuführen.

Session des Kantonsrates vom 16. bis 18. September 2024, Herbstsession
16.9.2024Wortmeldung

Schuler-Mosnang (im Namen der FDP-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Die Volksrechte sind ein austariertes, aber auch fragiles Gefüge, dem es Sorge zu tragen gilt. Punktuelle Eingriffe in den Aufbau unserer Volksrechte sollten deshalb nur mit grosser Zurückhaltung erfolgen. Die SVP fordert mit ihrer Motion einen ebensolchen punktuellen Eingriff, der es dem Kantonsrat ermöglichen soll, gewisse Beschlüsse dem Referendum zu unterstellen. Wohlbemerkt macht der Wortlaut der Motion keine Unterscheidung, ob der Kantonsrat diese Beschlüsse nur dem fakultativen oder auch dem obligatorischen Referendum unterstellen können soll. Huber-Wildhaus-Alt St.Johann hat das soeben bestätigt. Gerade letzteres, also das freiwillige obligatorische Referendum, erinnere an die von oben angeordneten Plebiszite nach französischer Tradition, so der Staatsrechtler Stefan Schmid. Diese Abstimmungsdemokratie von Fall zu Fall, die nur dann zum Zug kommt, wenn sie gerade politisch zweckdienlich ist und ein positives Abstimmungsergebnis zu erwarten ist, stösst hierzulande meist auf Ablehnung. Die FDP-Fraktion teilt diese Haltung. Wir wollen kein unliebsames Abwälzen von Entscheiden des Kantonsrates auf die Stimmberechtigten nach französischer Tradition, sondern halten an der Schweizer Tradition fest, dass die Befugnisse der Bürgerschaft nicht vom Zugeständnis des Parlamentes abhängen sollen.

Langer Rede kurzer Sinn: Die Umsetzung dieser Motion würde eine punktuelle Verfassungsänderung notwendig machen, die wir so nicht unterstützen können. Wenn überhaupt, dann müsste der Einführung des ausserordentlichen fakultativen Referendums eine gründliche und umfassende Überprüfung der Volksrechte im Kanton vorangehen.

Session des Kantonsrates vom 16. bis 18. September 2024, Herbstsession
16.9.2024Wortmeldung

Huber-Wildhaus-Alt St.Johann (im Namen der SVP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten. Die Motion ist gutzuheissen.

Das Volksrecht des Referendums nimmt im Kanton St.Gallen und in der ganzen Schweiz eine enorm wichtige Rolle in unserem direktdemokratischen System ein. Es ist einerseits ein Vetorecht des Volks, wenn ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten in den Parlamenten etwas entschieden haben, mit dem die Mehrheit der Stimmbevölkerung nicht einverstanden ist. Andererseits können Beschlüsse der Parlamente vom Volk legitimiert werden. Entweder durch das Nichtergreifen eines Referendums oder die Zustimmung zu einer parlamentarischen Vorlage in der Volksabstimmung.

Die zweitgenannte Legitimitätsfunktion, also die Möglichkeit, dass eine parlamentarisch ausgehandelte Vorlage in einer Volksabstimmung von der Stimmbevölkerung für gut oder schlecht befunden werden kann, wird durch Art. 48 und 49 der Kantonsverfassung (sGS 111.1; abgekürzt KV) auf bestimmte Beschlüsse eingeschränkt. Es sind dies: Verfassungs- und Gesetzesänderungen, zwischenstaatliche Vereinbarungen mit Verfassungs- oder Gesetzesrang und Beschlüsse über neue Ausgaben von mehr als 3 Mio. Franken.

Unsere Motion setzt bei dieser Einschränkung des Referendumsrechts an. Gerade bei Beschlüssen zu konkreten Projekten hängt die politische Brisanz oft nicht allein von der Geldsumme neuer Ausgaben ab. Ein gutes Beispiel dafür ist die Neuauflage der Bauvorlage Wil West. Ein Landverkauf des Kantons St.Gallen an den Kanton Thurgau stellt ein Verwaltungsgeschäft dar, das an sich keine neuen Ausgaben auslöst und somit nicht dem Finanzreferendum untersteht. Im Hinblick auf das vorausgehende Volksnein zum Sonderkredit für die Arealentwicklung Wil West könnte eine Legitimation des neuen Vorgehens durch das Volk aber dennoch gerechtfertigt sein.

Das Anliegen dieser Motion ist ganz einfach: Wenn die Mehrheit des Kantonsrates der Meinung ist, die Bevölkerung sollte zu einem Parlamentsbeschluss das letzte Wort haben, sollte das auch möglich sein. Die vorgeschlagene Änderung ist also kein Oppositionsrecht, wo politische Minderheiten eine Vorlage vor das Volk ziehen können. Sondern es geht darum, dass eine Mehrheit des Kantonsrates grundsätzlich die Möglichkeit haben sollte, das Volk miteinbeziehen zu können. Diese Möglichkeit besteht mit den heutigen Rechtsbestimmungen im Kanton St.Gallen – im Vergleich zu anderen Kantonen – nicht.

Nach dieser Idee können die Kantonsparlamente in den Kantonen Bern, Graubünden, Thurgau, Glarus, Schaffhausen, Solothurn, Basel-Stadt, Uri, Jura und Neuchâtel grundsätzlich alle Beschlüsse vor das Volk bringen, für die sie als Parlament zuständig sind. Ganz alle Beschlüsse sind hingegen nicht geeignet, sie dem Referendum zu unterstellen. Deshalb sehen die zehn Kantone mit der Möglichkeit von Volksabstimmungen über nicht referendumspflichtige Beschlüsse einzelne Ausnahmen wie z.B. Wahlgeschäfte vor. Die Definition eines solchen Ausnahmekatalogs ist auch im Motionstext vorgesehen.

Wir in diesem Rat wissen wohl selbst am besten, dass auch Kantonsratsbeschlüsse unter der Referendumsschwelle äusserst brisant sein können. Mit der Gutheissung dieser Motion schaffen wir die Möglichkeit, dass der Kantonsrat auch solche Beschlüsse dem Referendum unterstellen könnte und so die Legitimation der St.Gallerinnen und St.Galler abholen kann, wenn das aus unterschiedlichsten Gründen angezeigt ist.

Session des Kantonsrates vom 16. bis 18. September 2024, Herbstsession