Geschäft: Sexueller Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche: Verhältnis zwischen Kanton und Religionsgemeinschaften überprüfen

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer43.23.01
TitelSexueller Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche: Verhältnis zwischen Kanton und Religionsgemeinschaften überprüfen
ArtKR Postulat
ThemaGrundlagen und Organisation
FederführungDepartement des Innern
Eröffnung18.9.2023
Abschlusspendent
Letze Änderung15.11.2023
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
WortlautWortlaut vom 18. September 2023
AntragAntrag der Regierung vom 14. November 2023
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
18.9.2023Gremium2.6.2024
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
29.11.2023Eintreten16Zustimmung82Ablehnung21
Statements
DatumTypWortlautSession
29.11.2023Beschluss

Der Kantonsrat tritt mit 82:16 Stimmen bei 1 Enthaltung nicht auf das Postulat ein.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Regierungsrätin Bucher: Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Auch in der Regierung haben die Erkenntnisse dieser Studie und das Ausmass der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche grosse Betroffenheit ausgelöst. Wir bedauern das Leid, das den Opfern zugefügt wurde. Für die Regierung ist die Parallelität von kirchlichen und weltlichen Organen, die sich um die Aufklärung und auch um die Meldungen kümmern, nicht nachvollziehbar. Wir sind der Meinung, dass es richtig wäre, dass Opfer an staatliche Stellen verwiesen werden, dass Anlaufstellen von staatlicher Seite konsequent genutzt werden und dass es keine kircheninterne Parallelstrukturen gibt. Wir werden deshalb die Themen Missbrauch und Prävention von Missbrauch rasch im Rahmen der bestehenden Gefässe, die wir mit den Religionsgemeinschaften pflegen – nicht nur mit den öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften, sondern mit allen Religionsgemeinschaften – aufnehmen, z.B. im Rahmen der Konferenz von Religion und Staat, und uns dort gemeinsam mit den Religionsgemeinschaften Gedanken machen, wie man die Prozesse und die Prävention weiter verbessern und die Sensibilität weiter erhöhen kann.

Die Regierung hat gleichzeitig aber auch zur Kenntnis genommen, dass die katholische Kirche selbst – nicht nur im Bistum St.Gallen, sondern es ist eine schweizweite Bewegung, die spürbar ist – umfassende Reformbemühungen angestossen und auf den Weg gebracht hat. Die Regierung möchte der katholischen Kirche und auch dem Bistum St.Gallen die Chance geben, diese angestossenen Reformen tatsächlich umzusetzen. Sie möchte abwarten und beobachten, wie diese Reformen greifen und umgesetzt werden.

Zu gegebener Zeit werden wir dann aber sicher genauer hinschauen. Spätestens die erste Gelegenheit dafür haben wir bei der Genehmigung der VKK, die derzeit revidiert wird. Wir werden dann genau hinschauen, ob aus unserer Sicht die Voraussetzungen erfüllt sind oder ob es allenfalls gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt, so wie er auch im Postulat angesprochen wird.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Surber-St.Gallen: Wir haben überall gehört, dass die Betroffenheit sehr gross ist und ein grosser Handlungsbedarf gesehen wird. Man ortet diesen aber allein innerkirchlich. Wir sehen selbstverständlich auch, dass die Kirche in einem Prozess und auf einem Weg ist und dass es sehr viele Mitarbeitende und Verantwortliche gibt, die Reformen wollen und anstossen. Wir sind überzeugt, dass sie Reformen durchsetzen werden. Aber wir sehen uns als Staat auch in der Verantwortung, die gesetzlichen Bestimmungen so anzupassen, dass wir jene Vorgaben machen, die wir erwarten, wenn wir einer Religionsgemeinschaft die öffentlich-rechtliche Anerkennung geben. Wir geben ihr damit die Möglichkeit, Steuern zu erheben. Diese finanzieren die Kirche und über Beiträge der Kirchen an die Bistümer auch die Bistümer mit. Wir haben eine Verantwortung in dieser Frage, wie wir das ausgestalten und welche Voraussetzungen wir festlegen, damit wir diese öffentlich-rechtliche Anerkennung aussprechen. Darum geht es uns.

Wir wollen erreichen, dass wir als Kanton z.B. eine Meldepflicht fix installieren. Es wurde vorhin gesagt, eine Meldepflicht ist zielführend. Nein, eine Meldepflicht ist nicht zielführend. Eine Meldepflicht ist ein Muss. Wenn innerhalb einer Institution ein strafrechtliches Verhalten gemeldet wird, dann muss eine Meldung an die weltlichen Instanzen – an die Staatsanwaltschaft, an die Polizei und an die Opferhilfe – erfolgen. Das möchten wir erreichen: ein Mindestmass an Vorgaben an diese Institutionen, denen wir eine öffentlich-rechtliche Anerkennung geben. Bitte unterstützen Sie das im Wissen, dass sehr viel läuft – auch sehr viel Gutes – und innerhalb der katholischen Kirche sehr viele Menschen positiv mitwirken.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Kuster-Diepoldsau: Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Dass die sexuellen Übergriffe aufgearbeitet und die Opfer entschädigt werden müssen, ist kein Zweifel. Aber ich bin dagegen, dass die Kirche Steuergelder einzieht und dann der Kanton und der Bund die Entschädigungen bezahlen müssen.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Gschwend-Altstätten (im Namen der GRÜNE-Fraktion): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Die vorherigen Voten brachten zum Ausdruck, dass wir alle in irgendeiner Form über diese Missbräuche schockiert sind und wir im Grundsatz alles daransetzen, dass sich diese Missbräuche nicht wiederholen. Auch wir denken so, aber wir werden aus folgenden Gründen den Antrag der Regierung unterstützen. Die Untersuchung der Historiker und Historikerinnen innerhalb der katholischen Kirche des Kantons St.Gallen hat viel ausgelöst. Es ist uns an verschiedenen Orten, u.a. auch in der Ethik-Gruppe, glaubhaft versichert worden, dass man tatsächlich willens ist, hier einen anderen Umgang zu finden. Ziel kann nur eines sein, dass sich Missbräuche in dieser Art nicht wiederholen – und zwar nicht ein einziger Fall. Aber Missbräuche haben wir an ganz vielen Orten. Wir haben an dieser Session über einen Fall diskutiert, der skandalös ist und in jüngster Vergangenheit passiert ist. Wir erwarten, v.a. wenn der Kanton St.Gallen aktiv werden sollte, dass der Blick geöffnet wird auf alle Religionsgemeinschaften und sämtliche Institutionen, in denen schutzbedürftige Menschen, v.a. Minderjährige, untergebracht sind, und dass vermehrt ein Blick auf die Sportorganisationen geworfen wird. Das ist uns sehr wichtig. Es ist uns ein grosses Anliegen, dass in diesem konkreten Fall schnell gehandelt wird und die Glaubwürdigkeit wieder da ist. Dafür braucht es den Staat eigentlich nicht.

Es gibt wohl einige Leute im Saal, die diese Studie angeschaut haben. Ich möchte auf eine Massnahme hinweisen, die im Abschnitt «Empfehlungen und Vorschläge» auf S. 113 erwähnt wird und sehr schnell umsetzbar wäre. Da könnten wir als Kanton ebenfalls aktiv werden, nämlich die Schaffung einer kirchenunabhängigen Anlaufstelle für Opfer. Das wäre ein Weg, wo wir als Kanton Hand bieten könnten und der den unmittelbaren, noch lebenden Opfern – es sind auch Opfer und Täter aufgeführt, die nicht mehr leben – etwas bringen würde.

Wir halten das Postulat für ein bisschen vorschnell formuliert. Es ist wenige Tage nach der Vorstellung der Studie eingereicht worden. Wir lehnen es deswegen ab. Aber das hält uns nicht davon ab, dass wir zumindest die Erwartung haben, dass man an dieser Anlaufstelle weiterdenkt und einen Vorschlag unterbreitet. Die Erwartung ist umso grösser, dass die Verantwortlichen im Bistum nicht nur diese Massnahmen versprechen, sondern diese einschliesslich Meldung von A bis Z auch tatsächlich umsetzen.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Noger-Engeler-Häggenschwil (im Namen der GLP): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Sexueller Missbrauch, wie er durch die Studienresultate am 12. September 2023 aufgezeigt wurde, löst Betroffenheit und tiefe Anteilnahme mit allen Betroffenen aus. Die gesunde Entwicklung eines Menschen wird dadurch an Körper und Seele angegriffen und die Spuren bleiben lebenslang erhalten. Dass religiöse Institutionen und insbesondere die katholische Kirche durch ihren Täter- und Täterinnenschutz wiederum mehr Taten ermöglichte, ist verheerend. Dies wurde von der offiziellen katholischen Kirche anerkannt und es werden kirchenintern neue Massnahmen entwickelt, um den Opferschutz klar zu gewährleisten und die Täterinnen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

An dieser Stelle sind wir der Ansicht, dass die bereits laufenden Prozesse und die internen Reformen der Institutionen abgewartet werden können. Aber es müssen klare Entscheidungen und Massnahmen folgen. Eine Meldepflicht wäre dabei sicher zielführend. Wir sind davon überzeugt, dass sich auch die Verantwortlichen im Departement der Brisanz und Wichtigkeit eines deutlich verbesserten Opferschutzes bewusst sind. Die Konferenz zu Fragen von Religion und Staat wird dabei wohl Hinweise geben, wie konkret Präventionsmassnahmen und Reformen angestrebt und zeitnah umgesetzt werden. Wir stimmen mit der Regierung überein, dass der Staat ansonsten die gesetzlichen Rahmenbedingungen anpassen muss.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Broger-Altstätten (im Namen der Mitte-EVP-Fraktion): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Dass die Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche vom September 2023 bei uns eine enorme Betroffenheit ausgelöst hat, ist unbestritten. Auch bedauern wir das den Opfern zugefügte Leid. Es gibt keine Worte und auch keine Entschuldigung für dieses Verhalten. Jedoch akzeptieren wir die Autonomie der öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften und nehmen aus der Antwort der Regierung zur Kenntnis, dass aktuell innerkirchlich Reformbemühungen im Gang sind und dass ein Revisionsprozess der VKK geprüft wird. Wir werden diese Prüfung abwarten und erwarten kirchenintern neue Massnahmen, die mit einer klaren Konsequenz den Umgang mit Täterinnen und Tätern aus solchen Ereignissen regelt. Aus diesem Grund ist ein Postulat nicht angezeigt.

Zusammengefasst haben wir grosses Verständnis über die Einreichung des Postulats, doch respektieren wir die Gewaltentrennung mit klaren Erwartungen an die Kirche.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Louis-Nesslau (im Namen der SVP-Fraktion): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Wir danken der SP-Fraktion ausdrücklich für das Einreichen dieses Postulats. Auch wir fühlen die grosse Betroffenheit und sind schockiert von den Erkenntnissen der vergangenen Monate. Wir verstehen, dass man als Folge dieser Erkenntnisse die vorherrschenden, unserem System eigentlich fremd anmutenden, rechtlichen Strukturen kritisch hinterfragt. Trotzdem bitte ich Sie, dem Antrag der Regierung zu folgen. Bei der römisch-katholischen Kirche ist verhältnismässig vieles in Bewegung. Wir sollten diese Entwicklung in die richtige Richtung nicht von kantonaler Seite blockieren.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Abderhalden-Nesslau (im Namen der FDP-Fraktion): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Wir sind ebenfalls sehr betroffen von den Resultaten dieser Studie und befürworten die zeitnahe Koordination der laufenden Entwicklungen mit den staatlichen Verfahrenswegen und den bestehenden, kantonal getragenen Beratungsangeboten für Betroffene. Die Regierung schreibt in ihrer Antwort, dass sie das Ende des innerkirchlichen Reformprozesses abwarten möchte, in dem sich die katholische Kirche zurzeit befindet. Zu einem späteren Zeitpunkt will die Regierung prüfen, welcher gesetzgeberische Handlungsbedarf aus kantonaler Sicht bei der bevorstehenden Genehmigung der Vorgaben der im Revisionsprozess stehenden Verfassung des Katholischen Konfessionsteils des Kantons St.Gallen (sGS 173.5; abgekürzt VKK) möglich ist. Wir erachten es deshalb als sinnvoll, die laufenden Entwicklungen gut zu beobachten und rasche Verbesserungen zugunsten von Betroffenen voranzutreiben.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Surber-St.Gallen (im Namen der SP-Fraktion): Auf das Postulat ist einzutreten.

Im September 2023 hat ein Forschungsteam der Universität Zürich die Ergebnisse eines Pilotprojekts publiziert. Das Pilotprojekt legt die Basis für die künftige Forschung zur Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der katholischen Kirche, die Kleriker, kirchliche Angestellte und Ordensangehörige seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der Schweiz ausgeübt haben. Die Ergebnisse allein dieser Pilotstudie sind erschütternd. Im Rahmen des Pilotprojekts wurden 1'002 Fälle sexuellen Missbrauchs im Umfeld der katholischen Kirche seit dem Jahr 1950 mit 520 Beschuldigten und 921 Betroffenen identifiziert.

Die Historikerinnen halten fest, dass Verantwortliche der Kirche sexuellen Missbrauch bis in die 2000er-Jahre hinein in den meisten der ausgewerteten Fälle ignoriert, verschwiegen und bagatellisiert hätten. Wenn sie zum Handeln gezwungen gewesen seien, hätten sie dies häufig nicht mit Blick auf die Betroffenen, sondern zum Schutz der Täterinnen und Täter, der Institution und der eigenen Position getan. Ganz wesentlich ist: Die Existenz eines kirchlichen Rechts parallel zum weltlichen Recht habe diese Vertuschung und Verschleierung befördert.

Die römisch-katholische Kirche verfügt über eine duale Struktur als Voraussetzung für die Anerkennung als öffentlich-rechtliche Körperschaft. Neben den vom kanonischen Rechtscodex Iuris Canonici geregelten Strukturen bestehen nach staatlichem Recht organisierte Strukturen. Im Kanton St.Gallen wird dem Katholischen Konfessionsteil nach Art. 109 der Verfassung des Kantons St.Gallen (sGS 111.1; abgekürzt KV) die Natur einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zuerkannt. Diese Zuerkennung gewährt einerseits Selbstbestimmung in religiösen Angelegenheiten und Steuerhoheit bzw. Steuerbezüge durch den Staat, ist aber andererseits mit Auflagen verbunden. Wir möchten mit dem Postulat die Regierung darum ersuchen, dass sie aufzeigt, wie allfällige zusätzliche Auflagen geschaffen werden können für die Anerkennung der katholischen Kirche und des Katholischen Konfessionsteils als öffentlich-rechtliche Körperschaft, indem dieser verpflichtet wird, sich umfassend dem weltlichen Recht zu verpflichten und dass bei Meldungen von strafbarem Verhalten innerhalb der Organisation eine Meldepflicht an die staatlichen Organe vorgesehen wird, insbesondere an die Staatsanwaltschaft, aber auch an die Opferhilfe.

Die Regierung möchte keinen Bericht dazu verfassen, was möglich und denkbar wäre, um die Anerkennung an zusätzliche Auflagen zu knüpfen. Dies mit der Begründung, dass die katholische Kirche selbst kirchenintern Prozesse angestossen hat. In diesem Sinn sagt sie: Wir warten zu, was die katholische Kirche genau macht. Wir sind der Meinung, dass mit Blick auf das Geschehene innerhalb der katholischen Kirche, auf diesen massiven Missbrauch, den es hier gegeben hat und unter dem sehr viele Betroffene gelitten haben, lange genug zugewartet wurde und es nicht angebracht ist, wieder zu sagen: Wir als Kanton warten zu, was die Kirche tut. Wir sehen den Kanton, der die öffentlich-rechtliche Anerkennung ausspricht, in der Verantwortung zu handeln. Dies möchten wir mit diesem Postulat erreichen. Gerade auch weil innerkirchliche Prozesse laufen und ein Kulturwandel stattfindet, wäre es in unseren Augen umso wichtiger, dass der Staat ein klares Zeichen setzt für die Gesellschaft und für all jene Verantwortlichen und Mitarbeitenden, die sich innerhalb der Kirche mit grossem Engagement für Reformen einsetzen.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession
29.11.2023Wortmeldung

Dürr-Gams, Ratsvizepräsidentin: Die Regierung beantragt Nichteintreten auf das Postulat.

Session des Kantonsrates vom 27. bis 29. November 2023, Wintersession