Geschäft: Kein Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer42.23.05
TitelKein Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen
ArtKR Motion
ThemaVerkehr, Bau, Energie, Gewässer
FederführungBau- und Umweltdepartement
Eröffnung14.2.2023
Abschlusspendent
Letze Änderung19.9.2023
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
VorstossWortlaut vom 14. Februar 2023
AntragAntrag der Regierung vom 9. Mai 2023
AntragAntrag Müller-Lichtensteig / Mattle-Altstätten zu Ziff. 4 (neu) vom 18. September 2023
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
14.2.2023Gremium2.6.2024
14.2.2023Gremium2.6.2024
14.2.2023Gremium2.6.2024
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
20.9.2023Gutheissung69Zustimmung38Ablehnung13
20.9.2023Wortlaut61SVP-Fraktion / FDP-Fraktion / Die Mitte-EVP-Fraktion43Antrag Müller-Lichtensteig / Mattle-Altstätten zu Ziff. 416
20.9.2023Eintreten63Zustimmung34Ablehnung23
Statements
DatumTypWortlautSession
20.9.2023Beschluss

Der Kantonsrat heisst die Motion mit 69:38 Stimmen bei 4 Enthaltungen gut.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Beschluss

Der Kantonsrat zieht den Wortlaut der Motion dem Antrag Müller-Lichtensteig / Mattle-Altstätten mit 61:43 Stimmen bei 3 Enthaltungen vor.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Müller-Lichtensteig beantragt im Namen von Müller-Lichtensteig und Mattle-Altstätten eine neue Ziff. 4 mit folgendem Wortlaut: «eine Übergangsbestimmung vorgesehen wird, wonach laufende Projekte betreffend Tempo 30 nach heutigem Recht und heutiger Praxis beurteilt und realisiert werden, sofern sie von Kanton und Gemeinde gemeinsam konzeptionell aufgearbeitet wurden.»

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Struktur

Spezialdiskussion

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Beschluss

Der Kantonsrat tritt mit 63:34 Stimmen bei 3 Enthaltungen auf die Motion ein.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Regierungsrätin Hartmann: Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Es ist eine Stärke unseres Landes, dass wir Entscheide dort fällen, wo sie wirken sollen: So nah wie möglich bei den Bürgerinnen und Bürgern. Gleichzeitig bedeutet das: So wenig wie möglich soll der Kanton regeln, so wenig wie möglich soll der Staat regeln. Jede Staatsebene greift dort ordnend ein, wo es nötig ist. Das ist eine oft gehörte Maxime hier im Saal.

Diese Subsidiarität ist nicht nur das liberale Prinzip unseres Bundesstaats. Schliesslich ist die Regierung eine grosse Koalition und für ideologische Positionen bleibt da wenig Raum. Dafür umso mehr für die realen Sorgen unserer breiten Bevölkerung. Wir wollen in der Regierung aus der Mitte der Gesellschaft heraus tragfähige Lösungen für die Probleme unserer Zeit finden. Das sind u.a. die Gründe, weshalb die Regierung Nichteintreten auf diese Motion beantragt. Diese Motion ist zu einengend. Diese Motion hat halt nicht die Sorgen der Menschen in den Dörfern und Quartieren im Blick. Wenn Sie, geschätzte Motionäre, über Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen sprechen, haben Sie die schnelle Erreichbarkeit individuell gesetzter Fahrziele im Blick. Aber heute müssen wir Abwägen zwischen den Interessen derjenigen, die auf der Strasse schnell vorwärtskommen wollen und denjenigen, die an dieser Strasse leben und zum Teil leben müssen. Es geht also hier nicht nur einzig um die Erreichbarkeit, sondern auch um Themen wie Unfälle, höhere Aufenthaltsqualität, besseren oder erholsamen Schlaf. Diese Abwägung, und ich denke, das können Sie nachvollziehen, können wir nicht in jedem einzelnen Fall vor Ort gleich vornehmen. Die Überweisung dieser Motion würde bedeuten, dass der Gesetzgeber eine zu generelle und zu einseitige Sicht einnimmt: Diejenige der Autofahrerin und des Autofahrers. Es fehlt die Sicht des velofahrenden Kindes, der spazierenden Seniorin.

Die Regierung möchte auch ihre Gründe für die bewährte Möglichkeit von tieferen Tempi ansprechen. Bisher war immer sichergestellt, dass Kanton und Gemeinden eine mögliche Herabsetzung der Geschwindigkeit in jedem Fall, wo es seitens Gemeinden gewünscht wurde, sorgfältig prüfen. Das hat sich bewährt. Temporeduktionen auf verkehrsorientierten Strassen müssen mit einem Gutachten und einem technischen Bericht durch den Gemeinderat begründet werden. Die Menschen vor Ort können sich in einer öffentlichen Mitwirkung und über das Auflageverfahren einbringen. Damit ist sichergestellt, dass allen Einwohnerinnen und Einwohnern alle Rechtsmittel offenstehen.

Die geltende Regelung berücksichtigt damit die vielfältigen Interessen der Menschen vor Ort. Diese vielfältigen Interessen verteidigt die Regierung gegen eine Motion, die mehr regulieren möchte, die ein generelles, kantonales Tempo-30-Verbot anstrebt. Ein solches von oben über alle Gemeinden verordnet wäre aus Sicht der Regierung ein unverhältnismässiger Eingriff in die Gemeindeautonomie. Ich komme zum bewährten schweizerischen Subsidiaritätsprinzip: Die geltende Gemeindeautonomie gewährt den Menschen vor Ort, den Gemeinden, den nötigen Spielraum zur Lösung der eigenen Probleme. Und die sehen in Altstätten eben einfach anders aus als in Eschenbach oder Schänis oder hier in der Stadt St.Gallen. Es ist aus Sicht der Regierung darum richtig, dass die Dörfer und die Städte je eigene massgeschneiderte Lösungen suchen können. Es ist aus Sicht der Regierung auch richtig, dass die Dörfer und Städte gemeinsam mit dem Kanton angemessene Verkehrslösungen umsetzen können.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Dudli-Oberbüren zu Monstein-St.Gallen, Zschokke-Rapperswil-Jona, Surber-St.Gallen und Hauser-St.Gallen: Die Motion ist sehr wohl bundesrechtskonform. Lesen Sie die Motion genau. Lesen Sie in der Einladung der Motionäre irgendwo die Wörter «Tempo 30»? Nein. Und darum ist es bundesrechtskonform.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Broger-Altstätten: Auf die Motion ist einzutreten. Ich lege meine Interessen offen: Ich bin Stadtrat von Altstätten und Vater schulpflichtiger Kinder mit einem ein Kilometer langen Schulweg offen.

Alle sprechen von Fussgängersicherheit. Wenn wir die verkehrsorientierten Strassen als solche belassen und auch das Tempo auf diesen Strassen grundsätzlich belassen, gibt es keinen Schleich- und Ausweichverkehr in diesen Quartieren. Der Verkehr bleibt auf diesen verkehrsorientierten Strassen, meist Strassen mit entsprechenden Flächen auch für die schwächeren Verkehrsteilnehmer wie Trottoir oder teilweise auch Fahrradstreifen. In den Quartierstrassen sind keine solchen Flächen für die schwächeren Verkehrsteilnehmer vorhanden. Wo ist es denn nun besser, wenn der Verkehr fliesst? Ich denke, da dürfen Sie die Antwort selber geben. Zur Info: In Altstätten haben wir einen entsprechenden Abschnitt auf einer Kantonsstrasse mit Tempo 30. Dies ist, war und bleibt richtig. Diese Temporeduktion auf dieser verkehrsorientierten Strasse war die einzig aktuell mögliche Lösung, da u.a. die Häuser nicht abgebrochen werden konnten, und sie wurde umgesetzt. Es waren keine anderen Massnahmen möglich, um den Zweck der Fussgängersicherheit zu verfolgen. Genau dieser Abschnitt ist auch weiterhin gemäss dem dritten Abschnitt in diesem Motionstext möglich. Und ebenfalls noch zur Info: In Altstätten haben wir auch eine Begegnungszone in der Altstadt mit Tempo 20. Ich kann Ihnen vergewissern: Wir haben kein Interesse, die Geschwindigkeit dort um 50 Prozent auf Tempo 30 zu erhöhen.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Schwager-St.Gallen zu Seger-St.Gallen: Vor einigen Tagen kam es zu einem Bundesgerichtsurteil über eine Tempo-30-Zone in Basel-Stadt. Lausanne hat auf diese Beschwerde gegen die Tempo-30-Zone negativ reagiert, d.h., diese Tempo-30-Zone kann eingeführt werden. Zu Schöbi-Altstätten, der die Blaulicht-Organisationen erwähnt hat (Polizei, Feuerwehr, Notarzt Ambulanz): Sie können davon ausgehen, dass diese dringenden Fahrzeuge in der Regel nicht von Tempobeschränkungen behindert werden, sondern von dem zu starken Verkehr in unserem Strassennetz. Ich kann Schöbi-Altstätten versichern: Ich kann auch denken und ich werde diese Motion ablehnen.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Müller-Lichtensteig: Ich halte mich kurz und spreche auch beim Tempo 30 mindestens 50 Wörter pro Minute. Das Erfreuliche an dieser Motion ist immerhin, dass sie Einzelfallbeurteilungen weiterhin zulässt, also auf Situationen Rücksicht nimmt, wie sie in den Gemeinden präsentiert werden. Erfreut hat mich auch die Aussage von FDP-Kollege Toldo-Sevelen, der darauf hingewiesen hat, dass bestehende und laufende Verfahren weitergeführt werden sollen. Vielleicht kann Regierungsrätin Hartmann noch etwas dazu sagen, was diesbezüglich für Überlegungen angestellt werden könnten. Mein geschätzter Kollege Schöbi-Altstätten hat gesagt, dass die breite Bevölkerung gegen Tempo 30 sei. Ich kenne diese Untersuchungen nicht, doch die Realität ist auch die: Wenn die Menschen in den Gemeinden, den Dörfern und den Städten direkt betroffen sind, dann sind die Meinungen anders. Das haben wir in unserer Gemeinde so festgestellt mit einer Petition, die lanciert wurde. Es sind zwei Themen, welche die Leute beschäftigen: Zum einen ist es der Lärm, wenn man irgendwo im Ortszentrum wohnt und lebt, der stört, und es gibt keine andere Variante, um den Lärm zu reduzieren. Der andere Punkt ist das Thema Sicherheit. Oft gibt es rund um die Schulareale herum Anliegen von Anwohnerinnen und Anwohnern, das Tempo zu reduzieren. Auch das muss in Zukunft offen bleiben. Ein letzter Punkt, der mich stört: Wenn wir hier im Kantonsrat über Kantonsstrassen sprechen, dann finde ich das in Ordnung. Das ist unsere Aufgabe. Aber das andere, das mich immer wieder beschäftigt, ist die Gemeindeautonomie. Aus meiner Sicht ist die Gemeindeautonomie zu beachten. Die Gemeinderäte, die Gemeindepräsidenten und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort sollen im konkreten Fall entscheiden, was auf ihren Strassen passiert. Ich bitte Sie, auch die Gemeindeautonomie zu respektieren.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Seger-St.Gallen: Auf die Motion ist einzutreten. Ich lege meine Interessen offen: Ich bin Präsident der TCS Regionalgruppe St.Gallen und Umgebung und Mitglied des Präsidiums der TCS Sektion St.Gallen-Appenzell Innerrhoden.

Der Nationalrat hat in der laufenden Session die Motion 21.4516 «Hierarchie des Strassennetzes innerorts und ausserorts sichern» des Nationalrats Peter Schilliger gutgeheissen. Die Motion forderte, Tempo 50 auf verkehrsorientierten Strassen grundsätzlich beizubehalten. Dies ist ein wichtiges und wegweisendes Signal, um die Funktionalität und Hierarchie der Strassen zu gewährleisten. Dies ist keineswegs nur der Wille der Autoparteien, wie es heute hier im Saal schon geheissen hat, oder gar gegen das Wohl der Bevölkerung, wie Surber-St.Gallen vorhin erwähnt hat, sondern es ist ein zentrales Anliegen der Mehrheit der Schweizer Bevölkerung, wie repräsentative Umfragen gezeigt haben. Schöbi-Altstätten hat es Ihnen vorher deutlich aufgezeigt. Bitte schauen Sie sich diese Umfragen an, die beweisen, was ich hier sage. Die Regierung sagt in ihrer Begründung, dass die Motion mutmasslich gegen übergeordnetes Bundesrecht verstösst. Ja, dann würde nun auch der Nationalrat gegen dieses zitierte Bundesrecht verstossen. Das ist m.E. nicht der Fall. Nehmen wir den Willen der Mehrheit der Bevölkerung ernst und insbesondere die Umfragen, die dies im vorliegenden Fall so bestätigen.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Monstein-St.Gallen (im Namen der GLP): Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Die Luft scheint tatsächlich etwas aus der Diskussion raus zu sein. Mit der Motion «Kein Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen» verlangen SVP, FDP und Mitte, dass Kantons- und Gemeindestrassen erster Klasse zwingend als «verkehrsorientierte Strassen» zu definieren sind. Eine Tempo-30-Regelung soll dabei grundsätzlich verunmöglicht werden.

Wir Grünliberalen stehen ein für zukunftsfähige Lösungen in der Verkehrspolitik und warnen vor einer ideologisch geführten Debatte. Eine solche Änderung des Strassengesetzes würde gegen übergeordnetes Bundesrecht und bestehende Bundesgerichtsentscheide verstossen – sie wäre nicht zulässig. Wir können dem Anliegen daher kein Verständnis entgegenbringen.

Die Signalisation einer Tempo-30-Zone ist bereits heute auf nicht verkehrsorientierte Strassen beschränkt. Das Bundesrecht sieht aber vor, dass die zuständige Behörde auch auf verkehrsorientierten Strassen für bestimmte Strassenstrecken vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit herabsetzen und Tempo 30 signalisieren kann.

Umweltschutzgesetz und Lärmschutzverordnung des Bundes schreiben Lärmschutzmassnahmen an der Quelle seit bald 40 Jahren überall dort vor, wo die Grenzwerte überschritten werden. Die Regierung hält aber explizit fest, dass die Massnahme «lärmarmer Belag», wenn immer möglich, der Massnahme «Temporeduktion» vorgezogen wird und es keine Bestrebungen gibt, flächendeckend Tempo 30 einzuführen. Es gibt aber Situationen, bei denen ein Einbau eines lärmarmen Belags nicht sinnvoll ist oder wo die Massnahme nicht ausreichend wirkt. Zudem ist eine Temporeduktion bei weitem die günstigere Massnahme als der flächendeckende Bau lärmarmer Beläge oder weitere bauliche Eingriffe.

Abweichungen von den bundesrechtlich vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeiten sind zudem bereits heute nur in Ausnahmefällen und gestützt auf ein Gutachten möglich. Für uns Grünliberalen ist klar, dass das Instrument der streckenbezogenen Temporeduktion auch zukünftig erhalten bleiben muss, um an neuralgischen Strassenabschnitten die Bevölkerung vor übermässigem Strassenlärm zu schützen oder um die Unfallgefahr zu verringern. Für uns wäre auch Tempo 40 auf gewissen Strassenabschnitten zumindest eine Diskussion wert.

Eine Verschärfung des kantonalen Strassengesetzes im Sinne der Motion würde aber nicht nur die spezifische Lösungsfindung künftig erschwer oder verunmöglichen, sondern sogar zu Mehrproblemen führen: Denken Sie an die flankierenden Massnahmen von aktuell geplanten Grossprojekten, etwa an den Anschluss Güterbahnhof in St.Gallen oder auch an Wil West. Es würde ein wichtiges Mittel fehlen, um die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner solcher Grossprojekte mit Tempo-30-Zonen zu entlasten bzw. sie für solche Projekte zu überhaupt erst zu gewinnen. Ich habe dies bereits heute Vormittag ausgeführt. Oder denken Sie an das Beispiel des Klosterplatzes in St.Gallen, welches in der Antwort der Regierung ebenfalls erwähnt wird. Es handelt sich dabei offensichtlich nicht um eine verkehrsorientierte Strasse, sie wäre aber ebenfalls betroffen.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Surber-St.Gallen: Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Wahrscheinlich ist die Luft mittlerweile ein bisschen raus in diesem Geschäft, aber ich möchte dennoch etwas dazu sagen: In den vorherigen Voten wurde die Webseite www.stadttempo.ch erwähnt. Es hat wenig überrascht, dass der Widerstand gross war, als die Regierung und der Stadtrat der Stadt St.Gallen bekanntgegeben haben, dass man auf den Hauptachsen in der Stadt St.Gallen gedenkt, Tempo 30 einzuführen. Die bürgerlichen Parteien in diesem Rat sind sogleich Sturm gelaufen und haben diese Motion eingereicht, um der Stadt St.Gallen einmal mehr zu demonstrieren, dass Sie hier eben am längeren Hebel sitzen und dass die Stadt gefälligst unterlassen soll, was Ihnen hier drin nicht passt. Die Regierung ist zu unserem Bedauern sehr schnell wieder zurückgekrebst. Dieses Anliegen wird nun nicht weiterverfolgt.

Jetzt wäre eigentlich der Zeitpunkt, diese Motion zurückzuziehen, aber das tun Sie nicht. Sie ziehen diese Motion nicht zurück, sondern Sie machen mit dieser und dem Wortlaut in dieser Motion eben deutlich, wie Sie die Interessen gewichten. Ihnen ist die freie Fahrt für Autofahrer wichtiger als die Bedürfnisse der Menschen, die an dicht befahrenen Strassen leben. Es ist Ihnen wichtiger als das Wohl dieser Menschen. Wodurch wird das konkret? Sie fordern das Verbot von Tempo 30 nicht nur auf Kantonsachsen, nicht auf Hauptstrassen, sondern auf Gemeindestrassen der ersten Klasse. Sie nennen diese Strassen «verkehrsorientierte Strassen» im Unterschied zu «siedlungsorientierten Strassen». Schauen Sie sich einmal die Strassenklassierung in der Stadt St.Gallen an. Sehr viele Strassen der ersten Klasse mögen wohl verkehrsorientiert sein, sie sind aber auch siedlungsorientiert. Sie führen nämlich den Verkehr aus und in die Siedlungsgebiete und in einem dichtbesiedelten Raum wie in einer Stadt wohnen eben sehr viele Menschen an diesen Strassen. Er ist durchaus siedlungsorientiert, dieser Verkehr. Diese Unterscheidung machen Sie gar nicht, sondern Sie sagen einfach: Alle Strassen der ersten Klasse gehören zu den verkehrsorientierten Strassen. Ich habe das für die Stadt St.Gallen einmal nachgeschaut – es war eine ziemliche Arbeit: Es sind rund 30 Strassen und Strassenabschnitte der ersten Klasse zugeordnet, die heute 30er-Zonen sind. Es käme kein Mensch auf die Idee, daran wieder etwas zu ändern, denn es wohnen da sehr viele Leute, es sind da sehr viele Kinder auf der Strasse unterwegs, die das Bedürfnis haben, diese Strassen sicher zu überqueren, die das Bedürfnis nach Ruhe haben in ihren Quartieren. Dies wollen Sie für die Zukunft nicht mehr ermöglichen, dass man solche Strassen zu 30er-Zonen machen kann. Es geht Ihnen nicht einfach nur um die verkehrsorientierten Strassen, es geht Ihnen auch um die siedlungsorientierten Strassen und es geht um Ideologie. Ich bitte Sie wirklich, diese Motion abzulehnen. Vielleicht eines bereits vorweg: Seien Sie versichert, wenn diese Motion einst umgesetzt ist, werden wir alle Möglichkeiten prüfen – die rechtlichen und die demokratischen.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Schöbi-Altstätten: Auf die Motion ist einzutreten. Ich lege meine Interessen offen: Ich bin Vizepräsident des Vereins Touring Club Schweiz (TCS) Sektion St.Gallen-Appenzell Innerhoden mit rund 62'000 Mitgliedern.

Vorab ist noch einmal in Erinnerung zu rufen, was diese Motion zum Regelungsgegenstand hat und was nicht. Es sind erstens vom Gesetzesvorhaben nur die verkehrsorientierten Strassen erfasst. Siedlungsorientierte Strassen sind davon nicht betroffen. Hier können nach der SSV Tempo-30-Zonen eingerichtet werden. Das ist auch gut so. Zweitens hat die Sicherheit auch auf verkehrsorientierten Strassen stets und unbedingt Vorrang. Die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer und der Bevölkerung muss zudem stets abgeklärt werden. Drittens besteht bei der vorliegenden Motion staatspolitisch die gleiche Ausgangslage wie bei der bereits überwiesenen und nun bei der Regierung in Ausarbeitung liegenden Motion 42.21.11 «Mehr Sicherheit im ÖV durch mehr Busbuchten». Es geht letztlich um die Gewaltenteilung. Volk und Parlament sind die gesetzgebende Gewalt. Aufgabe der Exekutive, d.h. der Regierung und der von ihr gelenkten nachgeordneten Verwaltung, ist es, die Rechtsetzung und den Willen des Souveräns anzuwenden. Die Gewaltenteilung beschränkt den Handlungsspielraum der Exekutive. Die Motion gibt nun den gesetzlichen Rahmen klar vor. Einerseits den Grundsatz, dass auf verkehrsorientierten Strassen die bundesrechtliche Höchstgeschwindigkeit gilt, und andererseits die Ausnahme, wenn der Zweck, also die Sicherheit, nicht anders erreicht werden kann. Sie entnehmen damit Grundsatz und Ausnahme direkt dem Gesetz. Damit kann und muss die Exekutive auskommen. Wenn der Gesetzgeber vorgibt, nach welchen Kriterien die Höchstgeschwindigkeit auf den verkehrsorientierten Strassen zu bestimmen ist, hat er selbst einen Wertungsentscheid getroffen und so den Anwendungsbereich, in dem die Exekutive mit ihrer Verwaltung handeln soll, abgesteckt, abgegrenzt und vorweg entschieden. Über diesen gesetzlichen Wertekanon und dessen Rangfolge muss, kann und darf nicht mehr diskutiert werden. Der Gesetzgeber steckt den Rahmen ab, Regierung und Verwaltung füllen ihn. Nach diesen doch eher schwergewichtig staatspolitischen Ausführungen komme ich zurück auf eine vernünftige Sachpolitik. Wir haben vom Volk den Auftrag bekommen, die Gesetze und die Regeln des Zusammenlebens festzulegen, denn die Gesetze sind für die Menschen da und nicht die Menschen für das Gesetz. Dieser Erkenntnis sollten wir uns mal wieder erinnern, sie ist schon über 2000 Jahre alt und der Menschheit bestens verbürgt.

Der TCS Schweiz hat diesen März eine repräsentative Umfrage des «Link Institute» bei den Bewohnerinnen und Bewohnern von zehn Schweizer Städten publiziert. Aus der Erhebung geht hervor, dass 66 Prozent, also Zweidrittel der Befragten, gegen eine generelle Einführung von Tempo 30 innerorts sind. In der Stadt St.Gallen ist übrigens der Anteil der Nein-Antworten mit 79 Prozent am höchsten. Auf kommunaler Ebene politisieren hier vor Ort offensichtlich viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier eklatant am Volk vorbei. Worum sorgt sich denn das Volk wirklich? Was sind die Anliegen unserer Bürgerinnen und Bürger?

Unsere Bevölkerung befürchtet insbesondere die Verlagerung des Verkehrs in die Wohnquartiere und auch die Verlangsamung der Notdienste. Der Sinn der Strassenhierarchie besteht darin, den Verkehr auf die gewünschten Routen zu lenken und so den Verkehr von Bereichen fernzuhalten, in denen er nicht oder nur im geringen Umfang erwünscht ist: Nämlich auf den siedlungsorientierten Strassen. Bei den verkehrsorientierten Strassen liegt der Schwerpunkt auf der Durchgangs- und Verbindungsfunktion. Hier muss der Verkehr bewältigt werden im Interesse und zum Schutz der Siedlungstrassen. Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen innerorts bewirkt das Gegenteil. Es führt zu einer Verkehrsverlagerung in Bereiche, in denen der Durchgangsverkehr nicht erwünscht ist. Wir kennen das alle selbst seit der Einführung von Navigationssystemen. Plötzlich treffen Sie auswärtigen Verkehr und schwere Transport-Fahrzeuge an Orten an, wo sie nicht hingehören, und die eigentlich auch nicht dahin wollten, nur weil eine bestimmte Route als kürzer errechnet wurde. Die Wohnsiedlungen und die Gewerbe- und Arbeitszonen müssen erreichbar sein. Dazu braucht es leistungsfähige, verkehrsorientierte Strassen. Was nicht erreichbar ist, ist nicht erschlossen. Dann gibt es raumplanerisch aber auch keinen Wohnraum und keine Arbeitsplätze. Tempo 30 senkt die Leistungsfähigkeit und schränkt letztlich Arbeiten und Wohnen in unseren Dörfern und Städten und damit den Wohlstand im Kanton ein.

Die Sicherheit von vulnerablen Verkehrsteilnehmenden wie Velofahrenden und Fussgängern erfordert eine Trennung der Verkehrsströme. Im Rheintal kennen wir das im Riet seit Jahrzehnten. Während der Durchgangs- und Schwerverkehr auf der Hauptstrasse 13 z.B. zwischen Altstätten und Oberriet unterwegs ist, benutzen Velofahrer die zahlreichen parallelen Rietstrassen. Diese Erkenntnis hat sich nun auch schweizweit durchgesetzt. Seit 2023 auch im Bundesgesetz über die Velowege (SR 725.41). Auf starkbefahrenen Hauptverkehrsachsen sollten Velowege entfernt und auf angrenzende Strassen verlegt werden. Der Verkehr ist zu Entflechten in Siedlungs- und Durchgangsverkehr. Das vermeidet Unfälle.

Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen verlängert die Fahrzeit des öV. Bei langen Fahrten im Stadtzentrum kann es daher zu erheblichen Verlängerungen der Fahrzeit kommen. Tempo 30 erhöht auch die Kosten des öV und macht ihn im Ergebnis unattraktiver. Eine Geschwindigkeitsreduzierung hat Auswirkungen auf den Fahrplan. Entsprechend müssten die öV-Anbieter zusätzliche Fahrzeuge und Mitarbeiter einsetzen. Das kostet. Das sehen übrigens auch die Verbände des öV so. Die Zürcher Verkehrsbetriebe schätzen die Rechnung allein für die Stadt Zürich auf 15 Mio. Franken pro Jahr ein.

Um auf verkehrsorientierten Strassen effektiv Tempo 30 zu erreichen, wären zudem strassenbauliche Massnahmen erforderlich. Damit beschleunigen die Fahrzeuge häufiger und bremsen wieder ab – Stichwort «Stop and Go». Das wirksamste Mittel zur Lärmminderung ist der lärmarme Belag. Ein neuer Flüsterbelag reduziert den Lärm um bis zu 9 Dezibel, technisch in der Tendenz noch mehr. Hingegen eine Geschwindigkeitsreduzierung auf Tempo 30 schafft nur eineinhalb bis maximal 3 Dezibel Reduktion. Die grösste Sorge der Bevölkerung, ich habe es erwähnt, ist auch die Verlangsamung der Notdienste. Die Sanität, die Feuerwehr und die Polizei sind auf rasche und leistungsfähige Zufahrt angewiesen, ohne Tempo 30 und Verkehrsmoderationsmassnahmen. Einsätze auf verkehrsorientierten Strassen werden so verlangsamt oder sogar behindert. Bereits jetzt ist es eine Zumutung an die Rettungskräfte, welche unter persönlichem Einsatz Mitmenschen zu Hilfe eilen und sich dann mit langwierigen und quälenden Rechtsverfahren auseinandersetzen müssen. Wollen Sie die Helfer mit Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen wirklich im Regen stehenlassen?

Sie sehen die neu postulierten Vorschriften der Motion «Kein Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen» legen klar und geschärft den gesetzlichen Rahmen für die Behörden fest. Sie entflechten den Verkehr, sie bewältigen den Durchgangsverkehr, sie sichern die Erreichbarkeit und sie beruhigen im Ergebnis die Siedlungsquartiere und erhöhen deren Sicherheit. Das ist durch und durch vernünftig. Wer klar denkt, heisst die Motion gut.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Zschokke-Rapperswil-Jona (im Namen der GRÜNE-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten. Ich lege meine Interessen offen: Ich bin Stadträtin von Rapperswil-Jona.

Die Motion «Kein Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen» ist einfach nicht mehr zeitgemäss und beschränkt die Gemeindeautonomie massiv. Zudem verstösst sie mutmasslich gegen Bundesrecht. Wir in Rapperswil-Jona haben in unserer Stadt viele Anwohnende an verkehrsorientierten Strassen, die sich sehnlichst nach Tempo 30 sehnen. Was soll ich nun diesen Leuten sagen, die an verkehrsorientierten Strassen oder an Kantonsstrassen wohnen? Wir als Politikerinnen und Politiker haben den Auftrag, die Bevölkerung vor übermässigem Lärm zu schützen. Dies basierend auf der Lärmschutz-Verordnung (SR 814.41; abgekürzt LSV), die wir hüben wie drüben nicht einhalten. Bauliche Massnahmen geschehen nun mal nicht von heute auf morgen und sie sind mit sehr hohen Kosten verbunden. Bis alle Strassen mit lärmarmen Belägen saniert sind, werden Jahre vergehen. Auch Lärmschutzwände sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Wenn ganze Strassenzüge mit Lärmschutzwänden verbaut werden, stört dies die Siedlungsstruktur und den öffentlichen Raum. Diese Strassen werden dann zu Unorten. Richtig eingesetzt wäre Tempo 30 die günstigste und schnellste Lösung, die LSV einzuhalten. Übrigens vermindert Tempo 30 die Verkehrskapazität überhaupt nicht, das ist schon mehrmals nachgewiesen worden. Aber Tempo 30 verringert die Zahl der schweren Unfälle und ist demnach eben auch sicherheitsrelevant. Überdies ist für mich nicht nachvollziehbar, weshalb gerade der Hauseigentümerverband (HEV) sich in dieser Frage nicht für Liegenschaftsbesitzerinnen und -besitzer einsetzt, denn insbesondere Bauen für Wohnraum wird mit Lärmschutzmassnahmen noch sehr viel teurer.

Lassen wir doch die Gemeinden selbst entscheiden, auf welchen Strassen Tempo 30 angebracht wäre. Es muss nach wie vor ein Verkehrsgutachten eingeholt werden. Dabei kann man schauen, ob es Sinn macht, Tempo 30 einzurichten oder nicht. Da wird auch angeschaut, ob es Schleichverkehr gäbe oder eben nicht oder wie man diesem begegnen könnte. Ich bitte Sie daher, auf die Motion nicht einzutreten.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Hauser-Sargans (im Namen der SP-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Einleitend ist festzuhalten, dass es sich bei dieser Motion um einen mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit unsinnigen Vorschlag für eine Gesetzesverschärfung handelt, weil ein grundsätzliches Verbot von Tempo 30 auf allen verkehrsorientierten Strassen dem geltenden Bundesrecht widersprechen würde. Unsere Regierung damit zu beauftragen, ein Gesetz auszuarbeiten, bei welchem im Voraus schon klar ist, dass es nationalem Recht widerspricht, ist eine Verschleuderung von Steuergeldern, weil damit vollkommen unnötig die Verwaltung und die Regierung beschäftigt werden.

Zudem würde eine Gutheissung dieser Motion längst notwendige Schritte zur Verkehrsberuhigung in Gemeinden mit hoher Verkehrsbelastung behindern. Details dazu haben wir schon beim entsprechenden Gesetzesartikel im 18. Strassenbauprogramm (36.23.02) gehört. Nochmals zur Sicherheit: Man tut so, als ob die Sicherheit gar keine Rolle spielen würde, und als ob es nur um Lärm gehen würde. Weil Tempo 30 mit dem Argument «Sicherheit» fast nicht zu haben ist, machen es dermassen viele Gemeinden über den Lärm. Das ist tatsächlich ein Problem. Das wird aber in dieser Motion nicht wirklich angesprochen. Wie wichtig die Sicherheit ist, möchte ich Ihnen an einem aktuellen Beispiel zeigen: Es ist jetzt etwas mehr als drei Monate her, seit mich eine aufgewühlte Mutter – ich bin Schulratspräsident von Sargans – angerufen hat, weil ihr Kindergartenkind haarscharf einem Unfall mit einem Lastwagen entgangen ist. Dies geschah auf einer verkehrsorientierten Strasse der Gemeinde Sargans innerorts, ganz nahe am Schulhaus. Der Fahrer sei anschliessend ausgestiegen, weil er unsicher gewesen sei, ob etwas passiert sei. Es war ihm also klar, dass er zu wenig aufgepasst hatte, und das Kind zu spät entdeckt hatte. Er habe dem Kind sogar gesagt, es müsse entschuldigen, aber er sei im Stress gewesen. Natürlich liess sich der Hergang des Vorfalls nicht genau herausfinden. Man könnte die Sache abtun mit: «Zum Glück ist nichts passiert, Schwein gehabt.» Genauso gut hätte es sehr schlimm ausgehen können. Vor 40 Jahren hätte man im Fall eines schlimmen Unfalls mit einem Kind vielleicht gesagt: «Dumm gelaufen, das Kind hätte besser aufpassen müssen». Oder: «Unaufmerksame Autofahrer gibt es halt. Das ist bedauerlich, aber das Recht des Autofahrers auf zügiges Fahren innerorts geht vor.» Dann wäre man zur Tagesordnung übergegangen.

Meinen Sie alle, welche diese Motion unterzeichnet haben, dass dies heute noch geht? Meinen Sie das wirklich, geschätzte Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen SVP, FDP und Mitte? Ich glaube nicht, dass Sie das alle glauben, selbst wenn dieses sechsjährige Kind über die Strasse gerannt wäre, was in diesem Fall nicht zu vermuten ist. Wollen Sie im Fall eines schlimmen Unfalls dieser Mutter sagen, das Kind war leider selber Schuld? Ein Kindergartenkind? Und wollen Sie dann den anderen Eltern dieser Klasse oder der Gemeinde, die ein solcher Unfall natürlich auch beschäftigen würde, wirklich sagen, das sei alles zwar sehr bedauerlich, aber die Zügigkeit des Individualverkehrs geht nun mal vor? Ich bin sicher, das möchte niemand aus diesem Saal, nicht einmal hartgesottene Nachkommen der Autopartei würden das wollen.

Neben dem Unsinn, dass wohl einige Gemeinden vielleicht sogar das Recht auf Tempo-30-Abschnitte vor Bundesgericht erstreiten werden und zum Glück wohl Recht erhalten werden, verhindern sie eigentlich nur, dass einige wenige Gemeinden Tempo 30 einrichten werden, weil sie für den Lärmschutz keine verhältnismässige Alternative finden, oder aber weil die Unfallgefahr dies nahe legt. Die Zustimmung zu dieser Motion würde nur verhindern, dass ein paar wenige, aber dafür dringend notwendige Massnahmen getroffen würden. Lehnen Sie deshalb diese weitgehend sinnbefreite Motion bitte ab.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Gmür-Bütschwil-Ganterschwil (im Namen der Mitte-EVP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten.

Dass die vorliegende Motion gutgeheissen werden muss, ergibt sich bereits aus ihrem Titel: «Kein Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen». Es geht also nicht darum, Tempo 30 generell zu verbieten, sondern nur um eine Konkretisierung derjenigen Strassen, die auf den Strassenverkehr ausgerichtet sind. Verkehrsorientierte Strassen sind gemäss gesetzlicher Definition Strassen innerorts, die primär auf die Anforderungen des Motorfahrzeugverkehrs ausgerichtet sind. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den nicht verkehrsorientierten Strassen bzw. den siedlungsorientierten Strassen, wie man sie auch nennt. Diese Strassen sind gleichermassen für motorisierten Verkehr und Langsamverkehr gedacht und dort kann Tempo 30 situativ durchaus Sinn machen.

Die Temporeduktion auf verkehrsorientierten Strassen widerspricht daher schon grundsätzlich dem Zweck dieses Strassentyps. Verkehrsorientierte Strassen bilden das übergeordnete Strassennetz und sollen gewährleisten, dass der Individual- und Güterverkehr, aber auch die Blaulichtorganisationen innert nützlicher Frist an ihrem Ziel ankommen können. Übertragen auf den menschlichen Körper könnte man also sagen, dass verkehrsorientierte Strassen die Hauptschlagadern darstellen. Die Einführung von Tempo 30 auf solchen Strassen würde also bedeuten, die Blutversorgung des Organismus zu drosseln und damit das Risiko eines Infarkts zu erhöhen. Zudem würde Tempo 30 auch dazu führen, dass der Verkehr vermehrt in die Quartiere ausweicht, wenn die Hauptverkehrsachsen wegen der Temporeduktion verstopft sind.

Die Regierung weist zu Recht darauf hin, dass das Instrument der individuellen streckenbezogenen Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit auch künftig zur Verfügung stehen muss. Die Motion widerspricht diesem Anliegen nicht. Die Mitte-EVP-Fraktion teilt daher auch die rechtlichen Bedenken der Regierung nicht, wonach die Motion mit Bundesrecht kollidiert, denn Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen lässt die Motion durchaus noch zu. Es muss aber der Nachweis erbracht werden, dass der verfolgte Zweck mit anderen Massnahmen nicht erreicht werden kann, was z.B. für den in der Regierungsantwort erwähnten Klosterplatz zutreffen könnte.

Die Motion soll also den Grundsatz von Tempo 50 auf verkehrsorientierten Strassen stärken, und verlangt einen Nachweis, wenn der Ausnahmefall von Tempo 30 zwingend notwendig ist. Und dies korrespondiert mit dem Bundesrecht. Im Ergebnis kann und will die Motion selbstverständlich nicht Bundesrecht ändern oder Bundesrecht widersprechen, sondern den Ermessensspielraum des Kantons präzisieren.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Toldo-Sevelen (im Namen der FDP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten.

Verkehrsorientierte Strassen bilden das Rückgrat des motorisierten Verkehrs und sind auf einen möglichst flüssigen und effizienten Verkehrsablauf ausgelegt. Sie ermöglichen sichere, leistungsfähige und wirtschaftliche Transporte. Der Kanton und die Stadt St. Gallen hatten gemeinsam ein Konzept erarbeitet, das in einem ersten Schritt vorsah, dass auf fast allen Hauptstrassen nachts von 22.00 bis 06.00 Uhr nur noch 30 km/h gefahren werden darf. Dieses Modell sollte zudem auf andere Gemeinden im Kanton übertragen werden.

Wir sind klar der Meinung, dass Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen zu einer Verringerung der Verkehrsleistung, zu Schleich- und Ausweichverkehr in den Quartieren, zu einer Einschränkung des öV und der Rettungsdienste sowie zu einer unerwünschten Beeinträchtigung des Individualverkehrs führt. Auch der Bundesrat hat 2022 noch bekräftigt, dass auf verkehrsorientierten Strassen innerorts grundsätzlich Tempo 50 gelten soll. Damit werde sichergestellt, dass die Funktionen des übergeordneten Verkehrsnetzes nicht gefährdet werden und der Verkehr auf diesem übergeordneten Netz bleibt.

Wie schon im 2018 der Kantonsrat beschlossen hat, lehnen wir auch heute Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen ab. Dabei betonen wir ausdrücklich, dass es sich hier in keiner Art und Weise um ein Moratorium handeln soll, so wie dies das Bau- und Umweltdepartement – aus unserer Sicht unverständlicherweise und ohne Rechtsgrundlage – gegenüber Gemeinde- und Stadtbehörden kommuniziert hat. Die Prämissen dieser Motion sind eindeutig: Im zweiten Punkt steht das Wort «grundsätzlich» und nicht «ausschliesslich» und unter dem dritten Punkt werden Ausnahmefälle explizit erwähnt. Was wir wollen, ist, dass der Kanton und die Stadt St. Gallen uns hören, unseren Willen unmissverständlich verstehen und diesen auch richtig umsetzen.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Dudli-Oberbüren (im Namen der SVP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten.

Anlässlich der Volksabstimmung vom 4. März 2001 lehnte der Schweizer Souverän die eidgenössische Volksinitiative «für mehr Verkehrssicherheit durch Tempo 30 innerorts mit Ausnahmen» mit einem Stimmenanteil von fast 80 Prozent klar und eindeutig ab. Auch sämtliche Stände lehnten das Volksbegehren ab. Gut 21 Jahre später, nämlich am 24. August 2022, meldete sich dazu der Bundesrat zu Wort und bringt neu den Begriff «verkehrsorientierte Strassen» ein. Verkehrsorientierte Strassen werden gemäss Art. 1 Abs. 9 der bundesweiten Signalisationsverordnung (SR 741.21; abgekürzt SSV) wie folgt definiert: «Verkehrsorientierte Strassen sind alle Strassen innerorts, die primär auf die Anforderungen des Motorfahrzeugverkehrs ausgerichtet und für sichere, leistungsfähige und wirtschaftliche Transporte bestimmt sind.» Ergänzend dazu bekräftigte der Bundesrat am 24. August 2022 explizit, dass auf verkehrsorientierten Strassen innerorts auch künftig grundsätzlich Tempo 50 gilt, damit sichergestellt wird, dass das Funktionieren des übergeordneten Verkehrsnetzes nicht gefährdet wird und – sehr wichtig – dass der Verkehr auf diesem übergeordneten Netz bleibt – Stichwort «Ausweich- und Schleichverkehr». Wenn nun die St.Galler Regierung ein Fragezeichen hinter die Zulässigkeit setzt, alle Kantonsstrassen wie auch alle Gemeindestrassen erster Klasse als verkehrsorientierte Strassen zu definieren, so mag dieser Vorbehalt allenfalls berechtigt sein. Diese Thematik ist aber längst nicht matchentscheidend, der genannte Art. 1 Abs. 9 SSV in Verbindung mit der erwähnten Bekräftigung des Bundesrates ist es aber umso mehr. Demnach gilt klar und eindeutig: Strassen, die auf die Anforderungen des Motorfahrzeugverkehrs ausgerichtet und für eine effiziente Verkehrsabwicklung bestimmt sind, gelten als verkehrsorientierte Strassen und müssen sichere, leistungsfähige und wirtschaftliche Transporte ermöglichen. Sie bilden das übergeordnete Netz.

Doch was plant und forciert die St.Galler Regierung? Hinter der Webseite www.stadttempo.ch steht sowohl die Stadt als auch der Kanton St.Gallen. Darin wird unverblümt eine waschechte Salamitaktik offenbart. Man wähnt sich an der Tour de Suisse. Erste Etappe: Tempo 30 nachts auf fast allen Hauptstrassen. Zweite Etappe: Tempo 30 tagsüber auf ausgewählten Hauptstrassen. Dritte Etappe: Weitere Strassen kommen dazu – Anmerkung: Das ist Salamitaktik in Reinkultur. Vierte Etappe: Zum Schluss Temporeduktion auch auf der Rorschacher- und der Zürcherstrasse. Nur zu dumm, dass die St.Galler Regierung in ihrem Grusswort anlässlich der Delegiertenversammlung des kantonalen Gewerbeverbands am 3. Mai 2023 festhielt, dass die Regierung kein flächendeckendes Tempo 30 möchte. Nun beweist die Webseite www.stadttempo.ch das Gegenteil.

Zum Glück machte die Tour de Suisse der Radfahrer noch vor der Umsetzung dieses Temporegimes Halt in St.Gallen, denn sonst hätten sich die Radrennfahrer in der Stadt St.Gallen quasi straffällig gemacht. Es wäre schlicht ehrlicher, die eigentlichen Ziele offen kund zu tun: Den Strassenverkehr gänzlich zu eliminieren. Nur denkt man dabei nicht über die Nasenspitze hinaus. Was ist mit dem öffentlichen Verkehr (öV)? Was ist mit der Versorgung mit Gütern des täglichen Gebrauchs wie z.B. Lebensmitteln, oder wenn plötzlich ein gesundheitliches Problemauftritt? Gemäss kantonalem Strassengesetz sind die Kantonsstrassen als Hauptverkehrsachsen dazu bestimmt, den Individualverkehr und den nicht schienengebundenen öV aufzunehmen und zu bewältigen. Wie kann dies mit Tempo 30 überhaupt gewährleistet werden, ohne die Mobilität der Verkehrsteilnehmer einzuschränken? Und dann existiert noch ein Kantonsratsbeschluss aus dem 17. und 18. Strassenbauprogramm (36.18.02 / 36.23.02), wonach Projekte zur Strassenraumgestaltung an Kantonsstrassen so auszugestalten sind, dass sie für den motorisierten Individualverkehr keine Einschränkung der vorhandenen Leistungsfähigkeit zur Folge haben. Weiter haben Lärmsanierungen an Kantonsstrassen durch raumplanerische Massnahmen sowie den Einbau lärmarmer Belege zu erfolgen. Zudem sind auf Tempo-30-Zonen zu verzichten, was konsequenterweise auch allgemeine Temporeduktionen auf 30 km/h mit einschliesst. Sind sie als einzige Möglichkeit ausnahmsweise erforderlich, darf die Leistungsfähigkeit der Strasse dadurch nicht beschränkt werden. Eine ausnahmsweise erforderliche Beschränkung der Leistungsfähigkeit einzelner Abschnitte ist im umliegenden Strassennetz mindestens auszugleichen. Es scheint, der Exekutive ist dieser Beschluss der Legislative egal. Immerhin ist sie in Sachen www.stadttempo.ch etwas zurückgerudert.

Und jetzt ans Eingemachte: Auf den zweiten Punkt der Motion antwortete die Regierung bei ihrem Antrag auf Nichteintreten mit der Aussage, dass auf verkehrsorientierten Strassen schon heute grundsätzlich die bundesrechtlich festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten signalisiert werden. Entschuldigen Sie bitte, aber das, was sie hier zu Papier bringen, ist mit der Webseite www.stadttempo.ch der Stadt wie auch des Kantons schlicht nicht konform. An dieser Stelle sei nochmals auf Art. 1 Abs. 9 SSV verwiesen, wonach grundsätzlich die bundesrechtlich vorgesehene Höchstgeschwindigkeit zu signalisieren ist, wie es auch der Bundesrat am 24. August 2022 explizit bekräftigte. Und so grenzt die Antwort der Regierung zum dritten Punkt der Motion, wonach Abweichungen von den vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeiten bereits heute nur in Ausnahmeausnahmefällen möglich sind, an Sarkasmus.

Abschliessend sei noch auf Art. 108 SSV hingewiesen: «Zur Vermeidung oder Verminderung besonderer Gefahren im Strassenverkehr, zur Reduktion einer übermässigen Umweltbelastung oder zur Verbesserung des Verkehrsablaufs kann explizit kann die Behörde oder das ASTRA für bestimmte Strassenstrecken Abweichungen von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten [...] anordnen. Die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten können herabgesetzt werden, wenn:

a) eine Gefahr nur schwer oder nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben ist;

b) bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen;

c) auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann;

d) dadurch eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren.»

Mit Tempo 30 auf verkehrsorientierten Strassen bewirken Sie in den meisten Fällen exakt das Gegenteil. Insofern sind die Bemühungen von Stadt und Kanton St.Gallen im Sinne der Webseite www.stadttempo.ch in die Schranken zu weisen. Die Gutheissung der gegenständlichen Motion ist ein wichtiger Schritt dazu.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession
20.9.2023Wortmeldung

Dürr-Gams, Ratsvizepräsidentin: Die Regierung beantragt Nichteintreten.

Session des Kantonsrates vom 18. bis 20. September 2023, Herbstsession