Geschäft: Monitoring Armutsbetroffenheit im Kanton St.Gallen

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer43.22.09
TitelMonitoring Armutsbetroffenheit im Kanton St.Gallen
ArtKR Postulat
ThemaGesundheitspflege, Sozialversicherung, Sozialhilfe
FederführungDepartement des Innern
Eröffnung29.11.2022
Abschlusspendent
Letze Änderung25.1.2023
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
AntragAntrag der Regierung vom 24. Januar 2023
VorstossWortlaut vom 29. November 2022
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
29.11.2022Gremium2.6.2024
29.11.2022Gremium2.6.2024
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
15.2.2023Eintreten27Zustimmung78Ablehnung15
Statements
DatumTypWortlautSession
15.2.2023Beschluss

Der Kantonsrat tritt mit 78:27 Stimmen nicht auf das Postulat ein.

Session des Kantonsrates vom 13. bis 15. Februar 2023, Frühjahrssession
15.2.2023Wortmeldung

Regierungsrätin Bucher: Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Armut ist auch in unserem Kanton ein Thema. Wir wissen, dass gemäss den aktuellsten Zahlen die Armutsquote in unserem Kanton bei 4,9 Prozent liegt. Zusätzlich wissen wir, dass die Sozialhilfebezugsquote bei 2,9 Prozent liegt und dass wir gemäss einer neusten Studie der Pro Senectute im Bereich der Altersarmut einen hohen Anteil haben – 20 Prozent der älteren Bevölkerung im Kanton leben in Altersarmut. Die Armutssituation in unserem Kanton müssen wir auch in Zeiten von steigenden Preisen genau beobachten. Dafür benötigen wir die bereits bestehenden, notwendigen Instrumente.

Es gibt die Sozialhilfestatistik. Diese greift sicherlich zu kurz. Denn wir wissen aus Erhebungen, dass wir über eine relativ hohe Nichtbezugsquote verfügen – was eine gesamtschweizerische Erscheinung ist – und knapp über dem Existenzminimum lebende Personen nicht von der Sozialhilfestatistik erfasst sind. Ergänzend zu dieser Sozialhilfestatistik gibt es WILA. Auch diese Statistik liefert uns die nötigen Zahlen, die wir brauchen, um in Ergänzung zur Sozialhilfestatistik weitere Informationen zu erhalten. Wir entwickeln WILA laufend weiter. Die Fragen von Schulthess-Grabs sind sehr berechtigt. Bei der Weiterentwicklung von WILA haben wir diese Fragen durchaus vor Augen. Wir werden WILA gemeinsam mit dem Volkswirtschaftsdepartement weiter ausbauen und den Bedürfnissen entlang weiterentwickeln, damit wir über alle relevanten Informationen verfügen, um die Armutssituation in unserem Kanton gut beobachten zu können. Zudem gibt es den Bericht «Gestaltungsprinzipien der Alterspolitik», der mehrere Massnahmen abbildet, die sich mit der finanziellen Situation der älteren Menschen in unserem Kanton befassen. Diesbezüglich starten wir gemeinsam mit den Gemeinden mit der Umsetzung, und es werden dann bestimmt auch Massnahmen zur Diskussion stehen, die sich des Problems der Altersarmut annehmen. Mit dem sich in Erarbeitung befindenden Bericht zur Familienpolitik legen wir einen Schwerpunkt auf die finanzielle Situation der Familien und können Massnahmen aufzeigen, die gerade auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen entlasten werden. Diesen Bericht werden Sie im Jahr 2023 zugeleitet erhalten. Wir haben somit die Basis, um die Armutssituation in unserem Kanton vertieft zu betrachten und daraus entsprechende Massnahmen ableiten zu können. Einen zusätzlichen Bericht benötigen wir dazu nicht.

Session des Kantonsrates vom 13. bis 15. Februar 2023, Frühjahrssession
15.2.2023Wortmeldung

Müller-St.Gallen: Auf das Postulat ist einzutreten.

Ich unterstütze das Postulat aus drei Gründen:

  • WILA ist kein Bericht, sondern zwei Seiten des Büchleins «Kopf und Zahl». Das sind nur Zahlen – keine Gewichtung, keine Gründe der Ursachen, keine Massnahmen.
  • Der Bericht 40.22.05 «Gestaltungsprinzipien der Alterspolitik» betrifft den kleinsten Teil der Armutsbetroffenen. Die Sozialhilfequote der unter 65-Jährigen liegt bei einem Städtevergleich bei 5,4 Prozent und bei den über 65-Jährigen bei 0,35 Prozent. Anzumerken ist dazu, dass über 65-Jährige auch stark von Armut betroffen sind.
  • Wann folgt der Bericht zur Familienpolitik? Das wissen wir nicht, er ist in Bearbeitung. Auch dieser Bericht betrachtet nur ein Teilproblem und nicht das Gesamtproblem.

Je besser die Erkenntnisse sind, wer arm und v.a. wer armutsgefährdet ist, umso besser und effizienter kann geholfen werden.

Session des Kantonsrates vom 13. bis 15. Februar 2023, Frühjahrssession
15.2.2023Wortmeldung

Böhi-Wil (im Namen der SVP-Fraktion): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Wir verstehen die Begründung der Regierung zum Nichteintreten so, dass die Datenlage im Bereich der Armutsbetroffenheit bereits ausreichend ist. Zudem bestehen bereits die notwendigen Unterstützungsinstrumente, um betroffene Personen zu unterstützen, seien es die Sozialhilfe oder die Ergänzungsleistungen. Diese Instrumente können und müssen angewendet werden. So gesehen ist der Auftrag des Postulats gewissermassen bereits erfüllt. Der von Romer-Jud-Benken angesprochene und regelmässig erscheinende Bericht über die Ursachen und Bekämpfung der Armut von Caritas Schweiz gibt bereits ausreichend Aufschluss. Wir sehen deshalb keinen Mehrwert in einem separaten kantonalen Bericht.

Session des Kantonsrates vom 13. bis 15. Februar 2023, Frühjahrssession
15.2.2023Wortmeldung

Romer-Jud-Benken (im Namen der Mitte-EVP-Fraktion): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Wenn jemand von Armut betroffen ist und nicht über genügend Einnahmen verfügt, ist das nicht einfach und für die Betroffenen tagtäglich ein grosser und zermürbender Kampf. Wir möchten diese Tatsache nicht kleinreden. Der Regierung einen Auftrag für ein dauerhaftes Monitoring zu geben, erachten wir jedoch als nicht zweckmässig. Wo ist die Armutsschwelle anzusetzen? Was heisst Armutsbetroffenheit und wann ist jemand von der Armut betroffen? Ist das beim Leben auf dem Existenzminimum, beim Erhalt von Ergänzungsleistungen, beim Bezug von Sozialhilfeleistungen oder bereits beim Bezug von individuellen Prämienverbilligungen?

Wir können grossmehrheitlich nicht nachvollziehen, was mit dem Monitoring bzw. mit den Kennzahlen bezweckt werden möchte. Caritas Schweiz erstellt regelmässig einen Bericht zur Armutsbetroffenheit, darin sind auch Zahlen über unseren Kanton ersichtlich. Mit WILA und den Zahlen der Sozialhilfestatistik bestehen zudem weitere Datengrundlagen.

Session des Kantonsrates vom 13. bis 15. Februar 2023, Frühjahrssession
15.2.2023Wortmeldung

Lüthi-St.Gallen (im Namen der GLP): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Daten erheben ist das eine, diese zu nutzen das andere. Wir teilen die Haltung der Regierung, dass es bereits umfassendes Material zur Situation im Kanton gibt. Mit WILA, den Zahlen der Sozialhilfestatistik sowie verschiedenen Berichten, die sich mit spezifischen Aspekten der Armut beschäftigen, bestehen bereits wichtige Datengrundlagen für ein Monitoring der Armutssituation im Kanton. Noch weitere Daten zu erheben, obwohl teilweise bereits umfassendes Material vorliegt, ist aus unserer Sicht wenig zielführend. Vielmehr soll an der Qualität und an der korrekten Interpretation der vorliegenden Daten gearbeitet werden. Entscheidend ist, wie die Erkenntnisse der Daten genutzt werden. Wir denken diesbezüglich z.B. an die Gestaltungsprinzipien der Alterspolitik, in denen das Thema Altersarmut ebenfalls Massnahmen vorschlägt und thematisiert wird. Wir wünschen uns, dass der Kanton seine Ressourcen in konkrete Massnahmen investiert anstatt in die Erstellung eines Berichts.

Session des Kantonsrates vom 13. bis 15. Februar 2023, Frühjahrssession
15.2.2023Wortmeldung

Losa-Mörschwil (im Namen der GRÜNE-Fraktion): Auf das Postulat ist einzutreten.

Tatsache ist, dass im Kanton eine erhebliche Zahl Menschen leben, die von Armut betroffen sind, u.a. auch sehr viele Kinder. Nach dem Votum von Abderhalden-Nesslau frage ich mich, weshalb der Kanton noch immer über eine derart hohe Zahl Armutsbetroffene verfügt, wenn angeblich so gut funktionierende Massnahmen oder Möglichkeiten vorhanden sind. Mich beschäftigt es, dass unser Kanton schweizweit über die zweithöchste Zahl armutsbetroffener Rentner verfügt und dass auch Kinder betroffen sind.

Letzthin erzählte mir jemand, dass er einen Monat lang versucht habe, mit dem Existenzminimum bei uns im Kanton zu leben und wie schwer ihm das gefallen ist. Ich glaube, auch an einer Veranstaltung gegen Armut so etwas gehört zu haben. Wir wissen, dass viele Menschen bei uns in Armut leben. Trotzdem ist wenig über diese Armut bekannt, auch in unserem Kanton. Mit Sicherheit wissen wir, dass in unserem Kanton v.a. ältere Menschen betroffen sind und auch Kinder. In der Schweiz ist jedes 20. Kind von Armut betroffen, somit können wir uns vorstellen, wie viele Kinder es in unserem Kanton sind – anscheinend jedes dritte Kind. Nehmen wir an, dass diese Zahl stimmt, denn ich vernehme unterschiedliche Zahlen. Armut ist nicht nur ein Fehlen von Geld, sie bedeutet mehr als nur ein leeres Portemonnaie. Armut zeigt sich für die Betroffenen häufig durch prekäre Verhältnisse, gesundheitliche Folgen, schwierige Wohnsituationen, fehlende Berufsbildung, prekäre Arbeitsbedingungen, tiefe Löhne, Vertragslosigkeit, befristete Arbeitseinsätze usw. Die Folge sind Isolation und angespannte Familienverhältnisse, zudem mangelt es an konkreten Handlungsperspektiven und Lebenschancen. Armut macht auch verzweifelt und treibt diese Menschen irgendwann in eine Depression, deren Behandlung wir dann ebenfalls bezahlen müssen.

Mit einem Monitoring hat es der Kanton in der Hand, dem Problem Armut ernsthaft und entschlossen zu begegnen. Ein Monitoring könnte dem Kanton Steuerungswissen zur Verfügung stellen, um weitere Armut wirksam verhindern und bereits vorhandene Armut gezielt bekämpfen zu können. Einerseits dient es auch, die Lage der Bevölkerung in unterschiedlichen Lebensbereichen zu untersuchen, Risikogruppen zu identifizieren und aufzuzeigen, wie sich die Armut über die Jahre entwickelt. Andererseits könnte das Monitoring beschreiben, mit welchen Strategien Armut bekämpft werden kann und was über deren Wirksamkeit bekannt ist. Indem wir das Problem nur vor uns herschieben, schaffen wir keine Situation, die allen Beteiligten Vorteile bietet. Denn Armut hat einen langen Atem, wird oft von Generation zu Generation weitergegeben und verursacht immer mehr Leid und Kosten. Ich bedaure deshalb den Entscheid der Regierung, dieses Monitoring nicht einzuführen.

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15.2.2023Wortmeldung

Abderhalden-Nesslau (im Namen der FDP-Fraktion): Auf das Postulat ist nicht einzutreten.

Wir betrachten es selbstverständlich als notwendig, die Situation und die Zusammenhänge in diesem Kanton möglichst genau zu kennen, um wirksame Massnahmen gegen die Armut zu ergreifen. WILA setzt dort ein, wo die Sozialhilfestatistik zu wenig greift. Mit WILA und den Zahlen der Sozialhilfestatistik bestehen aus unserer Sicht bereits wichtige Datengrundlagen für die statistische Erfassung von Armut. Diese werden nach der Antwort der Regierung laufend weiterentwickelt und verbessert. Deshalb stimmen wir der Regierung zu, dass mit diesen Berichten die Basis bereits geschaffen ist und die Situation im Kanton vertieft betrachtet sowie allfällige Massnahmen daraus abgeleitet werden können.

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15.2.2023Wortmeldung

Schulthess-Grabs (im Namen der SP-Fraktion / GRÜNE-Fraktion): Auf das Postulat ist einzutreten.

Mich erstaunt, dass die Regierung Nichteintreten beantragt. Ein Monitoring für Armutsbetroffene lehnt die Regierung ab. Warum? Weil bereits genügend Datenmaterial zur Verfügung steht? Aus meiner Sicht ist dies ein Armutszeugnis für den Kanton. Es wird eine Chance vergeben. Wir sprechen noch nicht über Geld, sondern lediglich über eine Methode. Im Kanton leben 25'000 Menschen in Armut, weitere 75'000 Menschen sind Armutsbetroffene. Wir alle im Saal sind wahrscheinlich nicht Armutsbetroffene. Armut ist mit Scham besetzt und vielschichtig. Daher kann von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Es ist zudem bekannt, dass viele Einzelpersonen oder Familien versuchen, sich irgendwie über Wasser zu halten, sich schämen, Unterstützung durch Sozialhilfe zu holen, sich wegen anhaltender Arbeitslosigkeit nicht beim RAV melden können oder ausgesteuert sind, einen Antrag auf Prämienverbilligung nicht fristgerecht einreichen können usw. Diese Menschen erscheinen auf keiner Statistik und werden auch nicht in der vielzitierten Statistik der wirtschaftlichen Lage der privaten Haushalte (WILA) erfasst. Die Regierung stützt sich auf WILA und erwähnt dabei, dass die entsprechenden Datengrundlagen weiterentwickelt werden und sich die statistische Erfassung der Armut somit verbessert. Weshalb macht sie es nicht mit diesem Postulat, obwohl sie ausführt, dass die Datengrundlage bereits existiert? Es wäre für den Kanton sehr wertvoll, wenn dieser über einen kompakten Bericht zur Gesamtlage im Kanton verfügen würde statt einer verzettelten Informationsgrundlage.

Zeigt der WILA-Bericht auf, wie viele Personen ein Einkommen generieren, das zwischen dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum und dem Existenzminimum der Ergänzungsleistungen liegt? Grösstenteils sind das «Working Poor» aufgrund eines Schicksalsschlags oder einer Krankheit. Das kann uns alle sehr schnell betreffen – schneller, als uns lieb ist. Zeigt WILA auf, wer keine Sozialhilfe bezieht, aber einen Anspruch darauf hätte? Hätte die Regierung auch auf Nichteintreten plädiert, wenn es sich um Kinder- und Jugendarmut handeln würde? Aktuelle Berichte beweisen, dass mit der derzeitigen Entwicklung der hohen Lebenskosten, der schwindenden Kaufkraft oder den steigenden Energiekosten mit einer rasanten Zunahme von Armutsbetroffenheit zu rechnen ist. Gewiss sind bildungsferne Jugendliche in der Krise oder Menschen im Alter eher gefährdet, in die Armutsfalle zu geraten. Aber jede dritte armutsbetroffene Person ist ein Kind – und das mitten in unserer wohlhabenden Gesellschaft. Das muss uns betroffen machen. Was soll die Gesellschaft denken, wenn eine einfache Methode zur Beurteilung der Armutsbetroffenen bereits im Vorfeld abgelehnt wird? Wie sollen wir so wirksame Massnahmen und Präventionen zeitnah umsetzen und anwenden? Offenbar haben Sie vergessen, dass Armut eine Bedrohung für unser aller Wohlstand ist. Diese Bedrohung können wir nur bekämpfen, wenn wir die Armut bekämpfen, und dafür brauchen wir eine kantonale Auslegeordnung. Dies ist unsere gemeinsame Verantwortung. Ich schliesse mit dem Zitat von Bertolt Brecht: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

Session des Kantonsrates vom 13. bis 15. Februar 2023, Frühjahrssession