Geschäft: Selektive Einführung des Gemeindemehrs bei kantonalen Abstimmungen
Komitee | Kantonsrat |
---|---|
Nummer | 42.21.19 |
Titel | Selektive Einführung des Gemeindemehrs bei kantonalen Abstimmungen |
Art | KR Motion |
Thema | Grundlagen und Organisation |
Federführung | Staatskanzlei |
Eröffnung | 20.9.2021 |
Abschluss | pendent |
Letze Änderung | 5.1.2022 |
vertraulich | Nein |
öffentlich | Ja |
dringend | Nein |
Datum | Akteur | Titel | Letze Änderung |
---|---|---|---|
20.9.2021 | Gremium | Erstunterzeichner/-in - SVP-Fraktion 2020/2024 | 2.6.2024 |
Datum | Titel | Resultat | öffentlich | ||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Ja | Bedeutung | Nein | Bedeutung | Absent / Enthaltung | |||
15.2.2022 | Eintreten | 33 | Zustimmung | 74 | Ablehnung | 13 |
Datum | Typ | Wortlaut | Session |
---|---|---|---|
15.2.2022 | Beschluss | Der Kantonsrat tritt mit 74:33 Stimmen nicht auf die Motion ein. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Böhi-Wil: Gerne nehme ich Stellung zu einigen Äusserungen, allerdings nicht zu jenen, die lediglich parteipolitisches Geplänkel sind. Man könnte meinen, wir hätten eine Zweidrittelmehrheit in diesem Kanton. Das ist leider nicht der Fall. Erstens der Stadt-Land-Graben: Natürlich kann es unterschiedliche Sichtweisen zwischen der Bevölkerung der städtischen und der ländlichen Gebiete geben. Aber warum ist es ein Problem, wenn man das thematisiert? Mit der Einführung des selektiven Gemeindemehrs bietet sich eben die Gelegenheit, diesen Unterschieden besser Rechnung zu tragen. Dies, weil die politischen Beschlüsse aufgrund der Voraussetzung der doppelten Mehrheit stärker legitimiert wären. Beim Gemeindemehr handelt es sich nicht um ein Vetorecht, sondern um die Einführung einer doppelten Mehrheit. Dann zum angeblich ungleichen Stimmgewicht zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung. Jede stimmberechtigte Person, ob sie nun in der Stadt oder auf dem Land wohnt, hätte faktisch zwei Stimmen, eine direkte persönliche Stimme und eine indirekte Stimme als Einwohnerin oder Einwohner der betreffenden Gemeinde. Dies ist die Analogie mit dem Mechanismus des Ständemehrs. Auch dort haben wir alle faktisch zwei Stimmen, eine persönliche und eine indirekte als kantonale Stimmberechtigte. In Bezug auf die unterschiedliche Gewichtung der Stimmen möchte ich Ihnen ein Beispiel geben, wie das in unserem System manchmal vorkommt. Nehmen wir die Gewichtung der Stimmen bei den Proporzwahlen, z.B. den Kantonsratswahlen. Jemand, der für eine kleine Partei kandidiert, benötigt für die Wahl in den Kantonsrat zum Teil massiv weniger Stimmen als das Mitglied einer grossen Partei, z.B. im Wahlkreis St.Gallen. Für einen Kantonsratssitz benötigte die GLP rund 2'200 Stimmen, die SVP aber 4'600 Stimmen. Jetzt könnte man das so interpretieren, dass die Stimme eines GLP-Wählers doppelt so viel Gewicht hat als jene eines SVP-Wählers. Aber das macht man nicht, weil diese sogenannte Ungleichheit akzeptiert wird, weil sie andererseits auch kleinen Parteien erlaubt, Sitze zu gewinnen. So viel als Antwort auf die verschiedenen Voten von vorhin. Ich bitte Sie, auf unsere Motion einzutreten und sie gutzuheissen, damit die Stimmbevölkerung schlussendlich darüber entscheiden kann, ob sie das Gemeindemehr haben möchte oder nicht. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Bosshard-St.Gallen (im Namen der GRÜNE-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten. Die SVP hat den Kampf lanciert, den Kampf gegen die Städte, gegen die angeblich linksgrünen Schmarotzerstädte, versifft seien sie auch noch, hat Bisig-Rapperswil-Jona zitiert. Die SVP greift nicht nur unsere Städte an. Sie greift mit dieser Motion vor allem die Grundprinzipien unserer Demokratie an: die Rechtsgleichheit und die Erfolgswertgleichheit, das Prinzip, dass jede Stimme gleich viel zählt. Das ist echte Demokratie. Jede Stimme gleich viel, egal, ob sie aus der Stadt, aus der Agglomeration oder vom Land kommt. Es gibt keinen legitimen Grund, wieso eine Stimme je nach Wohnort anders gewichtet werden soll. Die SVP hat den Kampf lanciert, den Wahlkampf für 2023. Spaltung der Gesellschaft als Wahlkampfstrategie. Das ist extrem demokratiefeindlich und gefährlich für unser Land. Aus reinem Machterhaltungstrieb greift die SVP unsere demokratischen Werte an. Wenn euch die Schweiz wirklich am Herzen liegt, dann beendet diese Strategie. Wir Grüne sind für Nichteintreten. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Sulzer-Wil (im Namen der SP-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten. Die Motionäre wollen die demokratische Legitimation der Entscheide stärken. Sie wollen ein Korrektiv einführen. Wer so argumentiert, suggeriert, dass die Volksentscheide, die heute gefällt werden, irgendwie illegitim sein könnten. Das ist undemokratisch. Es gibt keine politisch benachteiligten Gemeinden im Kanton St.Gallen. Im Gegenteil, wir sind der Meinung, dass alle Gemeinden, auch die kleinen in unserem Kanton, sich sehr gut in die politischen Entscheide einbringen können. Auch in diesem Rat sind die Gemeinden sehr gut vertreten. Es gibt keinen Korrekturbedarf, wie ihn die SVP in dieser Motion fordert. Links gegen rechts, Ausländer gegen Schweizer, Stadt gegen Land – so stellen wir uns das Zusammenleben im Kanton St.Gallen nicht vor. Das ist nicht ein Spiel, das wir als SP mitspielen. Diese Motion ist ein Werkzeug zur Bearbeitung eines Problems, das es nicht gibt. Die Motionäre wollen einen vermeintlichen Stadt-Land-Graben politisch bearbeiten. Als Mitglied dieses Rates ist mir klar, dass es diesen Graben im Kanton St.Gallen nicht gibt. Die Landgemeinden sind nicht irgendwie unter städtischer Kontrolle. Es sind nicht die kleinen Gemeinden, die unter den grossen leiden. Alle Gemeinden und alle Städte haben in unserem Kanton ihre berechtigte Funktion. Natürlich sind Dinge unterschiedlich, aber wir ergänzen uns ganz gut. Und wenn Sie jetzt vielleicht denken, doch Stadt – Land, das ist immer wieder ein Thema, dann überlegen Sie sich doch, wer diesen vermeintlichen Graben immer wieder bearbeitet. Es ist die Partei, die heute motioniert. Wenn wir den Kanton St.Gallen weiterbringen wollen, dann sollten wir unsere Stärken pflegen. Wir haben heute Morgen im Rahmen des Ressourcenberichts darüber gesprochen. Wir sollten das Gemeinsame hervorheben. Wir sollten über unser Potenzial sprechen und nicht unsere Unterschiede verstärken. Wir sollten keine Neiddebatte führen zwischen Stadt und Land. Wir sind ein Kanton mit vielen Eigenheiten, mit regionalen Unterschieden, aber wir sind ein Kanton. Diese SVP-Provokation ist undemokratisch. Sie ist unseres Erachtens auch falsch und ich bitte Sie als Sprecher der SP-Fraktion, diese Motion deutlich abzulehnen. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Dürr-Gams (im Namen der Die Mitte-EVP-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten. Die Motion fordert, dass bei kantonalen Volksabstimmungen ohne Verfassungsrang neu die Mehrheit der Stimmenden plus die Mehrheit der politischen Gemeinden erforderlich ist. Der Bund kennt diese Bestimmung bei Vorlagen, die dem obligatorischen Referendum unterstehen. Dies hätte eine Änderung der Kantonsverfassung zur Folge. Für unseren Kanton würde dies bedeuten, dass Stimmberechtigte aus kleinen Gemeinden einen unverhältnismässig höheren Einfluss nehmen könnten. Die politische Einflussnahme wäre stark vom Wohnort abhängig. Ein Vergleich mit dem Bundesrecht hinkt, weil die Stände in der Eidgenossenschaft von jeher eine stärkere politische Gewichtung haben als die Gemeinden in unserem Kanton. Das Aufreissen eines Stadt-Land-Grabens bringt unseren Kanton nicht weiter. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Lippuner-Grabs (im Namen der FDP-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten. Die SVP-Fraktion verspricht sich von dieser Motion eine Stärkung der demokratischen Legitimation von Volksentscheiden. Neu soll es erforderlich sein, dass nicht nur die Mehrheit der Stimmberechtigten, sondern auch die Mehrheit der politischen Gemeinden einer Vorlage zustimmt. Wir haben uns eingehend mit dieser Motion befasst. Wir erachten die demokratische Legitimation von Volksentscheiden in unserem Kanton bereits heute als lupenrein. Es gilt die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, es gibt an den jeweiligen Resultaten nichts zu «deuteln». Die Mehrheit hat entschieden, so funktioniert Demokratie. Die Einführung eines Gemeindemehrs würde die Gewichtung einer Stimme zwischen der kleinsten Gemeinde und der grössten Stadt in ein Missverhältnis von 1:88 führen, die Stimme aus der kleinsten Gemeinde würde also 88-fach höher gewichtet. Die 39 kleinsten Gemeinen könnten aufgrund des Gemeindemehrs eine ansonsten angenommene Vorlage kippen. Das wären dann gerade mal rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung unseres Kantons. Wir sind entsprechend der Ansicht, dass die Einführung eines Gemeindemehrs die demokratische Legitimation von Volksentscheiden schwächen und nicht stärken würde. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Bisig-Rapperswil-Jona (im Namen der GLP): Auf die Motion ist nicht einzutreten. Wenn man die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr überzeugen kann, muss man halt das Stimmrecht zu seinen Gunsten anpassen. Das sagt sich nicht nur Donald Trump, sondern auch die St.Galler SVP. Mit der Einführung eines Gemeindemehrs geht es der SVP nicht um eine breitere Abstützung der Entscheidungen, sondern um mehr Macht und Einfluss. Es ist ein Fakt, dass sich die St.Galler Bevölkerung nicht gleichmässig auf diese 77 Gemeinden aufteilt. In den 14 grössten Gemeinden wohnt eine Hälfte der Bevölkerung und in den anderen 63 Gemeinden die andere Hälfte. Mit einem Gemeindemehr erhalten Stimmende in kleinen Gemeinden unverhältnismässig viel Gewicht. Eine Stimme aus der kleinsten Gemeinde Berg hat 88-mal mehr Gewicht als eine Stimme aus der grösseren Gemeinde St.Gallen. Ein Gemeindemehr widerspricht dem demokratischen Prinzip, dass Vorlagen mit der Mehrheit der Stimmenden gewonnen werden, es widerspricht der Rechtsgleichheit und dem Prinzip der Erfolgswertgleichheit von Stimmen. In den letzten Jahren waren die Mehrheit der Gemeinden und die Mehrheit der Stimmenden nur ein einziges Mal unterschiedlich, und auch am vergangenen Sonntag haben wir bei den eidgenössischen Abstimmungen gesehen, dass bei drei von vier Vorlagen alle St.Galler Gemeinden gleich abgestimmt haben. Trotzdem will die SVP ein Gemeindemehr. Ihre Motivation ist sehr simpel und durchsichtig. In den grössten Städten schneidet die SVP vergleichsweise schlecht ab. In Wil und Rapperswil-Jona beträgt der Wähleranteil 23 Prozent, in St.Gallen 13 Prozent. In den kleinen, ländlichen Gemeinden kann sich die SVP hingegen Wähleranteile von über 30 Prozent sichern. Die SVP versucht auch gar nicht mehr, die Städterinnen und Städter von ihren Ideen zu überzeugen. Mit ihrem Pauschalangriff gegen die «linksversifften Schmarotzerstädte» – dies ein Zitat – hat die SVP die urbanen Gebiete aufgegeben. Die SVP zieht die Kräfte auf dem Land zusammen. Damit die Strategie aus Herrliberg aufgeht, sollen die SVP-Hochburgen durch das Gemeindemehr in jedem Fall ein Veto erhalten. Das Vorgehen der SVP erinnert mich an die Wahlreformen der US-Republikaner. Mit bürokratischen Hürden, z.B. einer Verkürzung der Briefwahlfristen oder einer ID-Pflicht, sollen demokratische Wählerinnen und Wähler vom Wählen abgehalten werden. Wahlkreise werden in Bundesstaaten so angepasst, dass auch mit 40 Prozent der Stimmen noch die Mehrheit der Parlamentssitze erlangt werden kann. Ein Gemeindemehr ist von der Schweizer Bundesverfassung nicht vorgesehen. Sie gibt vor, dass die Kantonsverfassungen mit der Mehrheit der Stimmenden anpassbar sein müssen. Der unausgegorene Vorschlag der SVP, für Vorlagen unterhalb der Verfassungsstufe ein Gemeindemehr einzuführen, würde seltsame Blüten treiben. Es wäre danach einfacher, die Kantonsverfassung zu ändern, als ein neues Gesetz zu erlassen. Der Vorschlag der SVP ist undemokratisch, unschweizerisch und unausgegoren. Wir Grünliberalen sind klar für Nichteintreten. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Böhi-Wil (im Namen der SVP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten. Erlauben Sie mir eine einleitende Bemerkung: Unsere Motion hat bereits vor der heutigen Beratung eine heftige öffentliche Debatte ausgelöst, und ich gehe davon aus, das wird auch heute Nachmittag ähnlich sein. Deshalb werde ich zuerst den sachlichen Inhalt der Motion behandeln und anschliessend, wenn notwendig, in einem zweiten Teil auf Punkte eingehen, die im Vorfeld der Session für einige mediale Aufregung gesorgt haben. Nun zum Inhalt der Motion: Bei der Einführung des Prinzips des selektiven Gemeindemehrs handelt es sich eigentlich um eine Reaktion auf die zunehmende Zentralisierung der politischen Entscheide. Diese Zentralisierung findet statt von den Gemeinden zum Kanton, vom Kanton zum Bund und weiter dann auf die internationale Ebene. Die Zentralisierung schadet dem Föderalismus und der Gemeindeautonomie. Dieser Entwicklung soll etwas entgegengesetzt werden. Deshalb sollen Beschlüsse des Kantonsrates, die auf die erste Staatsebene, sprich auf die Gemeinden, Auswirkungen haben, stärker legitimiert werden. Dies durch die Voraussetzung einer doppelten Mehrheit der Stimmberechtigten des Kantons und der Mehrheit der 77 Gemeinden. Die Voraussetzung der doppelten Mehrheit wäre auch ein Signal an den Kanton, dass er bei seinen Beschlüssen angemessen Rücksicht auf die Gemeinden nehmen soll, gewissermassen als eine politische Präventionsmassnahme. Anwendbar wäre dieser Grundsatz bei Abstimmungsvorlagen, die nicht die Kantonsverfassung betreffen. Deshalb sprechen wir von einem selektiven und nicht von einem generellen Gemeindemehr. Der Grund für diese Einschränkung liegt darin, dass die Bundesverfassung bestimmt, dass Revisionen der kantonalen Verfassung von der Mehrheit der Stimmenden genehmigt werden müssen. Diese Bestimmung in der Bundesverfassung ist übrigens der Hauptgrund, weshalb die Einführung eines Gemeindemehrs in anderen Kantonen gescheitert ist. Mit unserem Vorstoss beantragen wir deshalb die Einführung eines selektiven Gemeindemehrs. Dieses wäre nicht auf Verfassungsänderungen anwendbar, sondern lediglich auf referendumsfähige Beschlüsse. Das wären Gesetzesänderungen oder Kantonsratsbeschlüsse, die dem fakultativen und dem obligatorischen Referendum unterstehen. Die Regierung beantragt Nichteintreten und argumentiert unter anderem mit einem unterschiedlichen Stimmengewicht von Stimmberechtigten, je nachdem, in welcher Gemeinde Sie wohnen, in einer grösseren städtischen oder kleineren dörflichen Gemeinde. Dieses Argument ist nicht stichhaltig, weil es davon ausgeht, dass die einzelnen Gemeinden immer als Block abstimmen bzw. als Einheit auftreten. Das ist überhaupt nicht der Fall, denn die Meinungen sind bei jeder Abstimmung geteilt, sowohl innerhalb von grösseren als auch von kleineren Gemeinden. Das bedeutet, die Gemeindestimme, ob in der Stadt oder im Dorf, wäre das Ergebnis eines demokratischen Entscheides innerhalb der Gemeinden. Ebenso nicht korrekt ist die Aussage, die Einführung des Gemeindemehrs würde der Akzeptanz des Abstimmungsergebnisses schaden. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall, denn die Voraussetzung der doppelten Mehrheit der Stimmenden und der Gemeinden würde die Legitimität der Volksentscheide nicht schwächen, sondern im Gegenteil stärken. Die Analogie mit dem Ständemehr auf Bundesebene ist im Gegensatz zu den Aussagen der Regierung sehr wohl von Bedeutung. Der historische Hintergrund der Einführung das Ständemehrs ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Entscheidend ist allein die Tatsache, dass das Ständemehr weiterhin angewendet wird. Es wird jeweils dann in Frage gestellt, wenn eine Abstimmungsvorlage am Ständemehr gescheitert ist, aber nur von denjenigen, die die betreffende Abstimmung verloren haben. Wenn der Kantonsrat unserer Motion zustimmt, dann hat die Regierung eine Vorlage zur Änderung der Kantonsverfassung auszuarbeiten. Dieser Änderung müssten die Stimmberechtigten des Kantons zustimmen. Das bedeutet, schlussendlich sind es die Bürgerinnen und Bürger der 77 Gemeinden, die entscheiden werden, ob sie das Gemeindemehr wollen oder nicht. Überlassen wir doch ihnen den Entscheid. Somit ist legitim, nicht nur die 120 Mitglieder des Kantonsrates, sondern alle Stimmberechtigten des Kantons St.Gallen darüber entscheiden zu lassen. Ich bitte Sie deshalb, im Namen der Stärkung der direkten Demokratie, unsere Motion gutzuheissen und damit den Entscheid zur Einführung des Gemeindemehrs den Stimmberechtigten zu überlassen. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Jäger-Vilters-Wangs, Ratsvizepräsident: Damit setzen wir die Eintretensdiskussion fort. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Bosshard-St.Gallen: zieht den Antrag, die Motion als unzulässig zu erklären, zurück. Ich danke für die Ausführungen des Staatssekretärs. Wir haben uns natürlich Gedanken gemacht, wie wir vorgehen, wenn auch gesagt wird, dass es zweifelhaft ist, dass es wirklich unklar ist. Wir haben uns natürlich auch informiert, es gibt Staatsrechtler, die sagen ganz klar, es sei unzulässig, es gibt aber auch andere Stimmen. Ich sehe, die Motion wird anscheinend nicht zurückgezogen. Ich ziehe diesen Antrag zurück. Wir lassen diese Debatte hier heute erfolgen, dann haben wir es auch hinter uns. Ich habe jedoch die Hoffnung, dass heute der Rat hier ein deutliches Zeichen im Sinne der Demokratie macht. Wenn das heute nicht passiert, dann werden sich eben dann vielleicht die Gerichte oder der Bund dann mit diesem Fall auseinandersetzen, aber ich habe sehr grosse Hoffnungen in die Schweizer Justiz und die Schweizer Demokratie. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Böhi-Wil (im Namen der SVP-Fraktion): Selbstverständlich haben wir die Frage der Zulässigkeit der Motion im Rahmen der Vorbereitung des Vorstosses geprüft. Das Resultat dieser Prüfung ist nicht eindeutig. Die Zulässigkeit ist unter Staatsrechtlern umstritten. Aber wenn wir jedes Mal, wenn die Rechtslage nicht kristallklar ist, uns davon abhalten liessen, aktiv zu werden, dann wären wir am falschen Platz. Genehmigt der Kantonsrat die Motion, was wir hoffen, dann wäre eine Änderung der Kantonsverfassung notwendig, was eine Volksabstimmung bedingt. Falls die Stimmbevölkerung dem Gemeindemehr zustimmen würde, müsste die Bundesversammlung die Verfassungsänderung genehmigen. Da wir in der Schweiz auf Bundesebene keine Verfassungsgerichtsbarkeit kennen, würde die Frage der Verfassungsmässigkeit erst durch einen politischen Entscheid der Bundesversammlung geklärt werden können. Jetzt zu argumentieren, man wolle das Gemeindemehr nicht einführen, weil die Verfassungsmässigkeit unklar sei, ist also nur ein Vorwand, um keinen Entschluss fällen zu müssen. Die Motion heute als unzulässig zu erklären, wäre reine Willkür und würde einen gravierenden Präzedenzfall schaffen, um missliebige Vorstösse ohne Debatte abzublocken. Solche politischen Manöver sind vielleicht in anderen Ländern üblich, aber sie sind der direkten Demokratie unwürdig. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag abzulehnen, damit wir eine Debatte über unsere Motion heute führen können. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Benedikt van Spyk, Staatssekretär: Die Regierung hat sich in ihrem Antrag zur Zulässigkeit geäussert. Sie hat gesagt, die rechtliche Zulässigkeit ist zweifelhaft. Weshalb hat man ganz bewusst diesen Begriff der Zweifelhaftigkeit gewählt? Es ist einerseits zutreffend, wie es bereits von Bosshard-St.Gallen gesagt wurde, die Rechtsgleichheit, die Frage der freien Willensbildung, der unverfälschten Stimmabgabe ist fraglich, denn eine Stimme in einer kleinen Gemeinde wie Berg hat ein deutlich höheres Gewicht als z.B. eine Stimme in der Stadt St.Gallen, wenn ein solches Gemeindemehr eingeführt würde. D. h., das wirft Fragen in Bezug auf die Rechtsgleichheit auf. Weshalb hat die Regierung nicht den Antrag auf Unzulässigkeit gestellt? Zum einen sind die Hürden für eine Unzulässigkeit sicher sehr hoch anzusetzen, wenn es um die Zulässigkeit einer kantonsrätlichen Motion geht. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist aber, dass natürlich die Zulässigkeit auch immer von der konkreten Umsetzung einer solchen Motion abhängt. Wie wird das im Gesetz umgesetzt, werden allenfalls sachliche Gründe für eine gewisse Ungleichbehandlung geltend gemacht? Das müsste zuerst im Detail ausgeführt werden, um wirklich auch rechtlich stabil die Unzulässigkeit festhalten und festlegen zu können, und darum hat die Regierung bewusst auch den Begriff der Zweifelhaftigkeit aufgeführt, weil eben diese Umsetzung noch offen ist und ein abschliessendes Urteil über die Zulässigkeit daher zum jetzigen Zeitpunkt auch schwierig ist. Daher bitte ich Sie auch, diese Frage der Zulässigkeit jetzt nicht überzubewerten. Man kann sie am Ende erst im Rahmen der Umsetzung entscheiden und die Frage, ob es umgesetzt werden muss, hängt am Ende davon ab, ob die Motion gutgeheissen werden kann oder nicht. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Jäger-Vilters-Wangs: Die GRÜNE-Fraktion bestreitet die Zulässigkeit der Motion. Nach Art. 110 des Geschäftsreglements des Kantonsrates (sGS 131.11, abgekürzt GeschKR) muss das Präsidium dem Rat einen kurzen Bericht und einen Antrag unterbreiten, bevor der Rat über die Zulässigkeit eines parlamentarischen Vorstosses beschliessen und der Vorstoss behandelt werden kann. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Bosshard-St.Gallen beantragt im Namen der GRÜNE-Fraktion, die Motion als unzulässig zu erklären. Unsere Fraktion bestreitet die Zulässigkeit dieser Motion. Der Motionsauftrag widerspricht der Bundesverfassung. Er widerspricht den Grundprinzipien der Rechtsgleichheit und der Erfolgswertgleichheit, sprich, dass jede Stimme gleich viel zählt. Wenn wir nun auf den Motionsauftrag eintreten würden, wäre die Regierung verpflichtet, diesen auch umzusetzen. Aber wegen der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit wäre eine Umsetzung gar nicht möglich. Selbst die Regierung bezweifelt in ihrer Begründung die Zulässigkeit. Bevor also eine Eintretensdebatte stattfindet, sollten wir Klarheit schaffen: Ist dieser Motionsauftrag zulässig oder eben unzulässig, wie es unsere Fraktion sieht? Ich bitte den Staatssekretär, das Präsidium oder die Regierung, hierzu Stellung zu nehmen und allenfalls einen Antrag zur Zulässigkeit zu stellen. Gleichzeitig appelliere ich an das demokratische Gewissen der Motionäre: Ziehen Sie diese verfassungswidrige und demokratiefeindliche Motion zurück. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |
15.2.2022 | Wortmeldung | Jäger-Vilters-Wangs, Ratsvizepräsident: Die Regierung beantragt Nichteintreten auf die Motion. | Session des Kantonsrates vom 14. und 15. Februar 2022 |