Geschäft: Umsetzung des Verfassungsartikels 121a zur Steuerung der Zuwanderung

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer42.16.13
TitelUmsetzung des Verfassungsartikels 121a zur Steuerung der Zuwanderung
ArtKR Motion
ThemaGrundlagen und Organisation
FederführungSicherheits- und Justizdepartement
Eröffnung29.11.2016
Abschluss25.4.2017
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
AntragAntrag der Regierung vom 17. Januar 2017
VorstossWortlaut vom 29. November 2016
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium19.1.2023
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
25.4.2017Eintreten31Zustimmung60Ablehnung29
Statements
DatumTypWortlautSession
25.4.2017Wortmeldung

Regierungsrat: Dem Antrag der Regierung ist zuzustimmen.

Ich möchte diese Diskussion jetzt eigentlich nicht unnötig verlängern. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass die SVP-Fraktion mit der Art und Weise, wie das nationale Parlament ihre Initiative umgesetzt hat nicht zufrieden ist, das kann ich alles nachvollziehen. Aber wenn Sie an Ihren hehren Grundsätzen festhalten wollen, dass Gesetz Gesetz bleiben muss, und Gesetze auch angewendet werden müssen, so können Sie nun doch nicht aus dieser Verärgerung heraus von der St.Galler Regierung erwarten, dass sie nun ihrerseits Bundesgesetze bricht und in einem Bereich beginnt zu legiferieren, in dem sie schlicht nicht zuständig ist. Die Zuständigkeitsordnung weist nun einmal diese Gesetzgebung dem Bund zu. Dudli-Oberbüren, wenn Sie tatsächlich an dieser Situation etwas ändern wollen, dann müssen Sie sich in den Nationalrat wählen lassen, dort sind Ihre Ausführungen dann am richtigen Ort. Der Kanton St.Gallen hat in diesem Bereich schlicht keine eigene Zuständigkeit.

Session des Kantonsrates vom 24. und 25. April 2017
25.4.2017Wortmeldung

(im Namen der CVP-GLP-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten. Dem Antrag der Regierung ist zuzustimmen.

Für die St.Galler Wirtschaft und vor allem für die Rheintaler Unternehmen sind diese Grenzgänger wichtig. Es handelt sich doch mehrheitlich um Arbeitnehmer mit guter fachlicher Ausbildung und entsprechenden Anstellungen im mittleren Management von diversen Unternehmen. Daher ist die St.Galler Wirtschaft und eben genau das Rheintal auf diese Grenzgänger angewiesen. In der Motion der SVP-Fraktion wird erwähnt, dass sich der Kanton St.Gallen an der Tessiner Abstimmung «Prima i nostri» ein Beispiel nehmen soll. Ein Vergleich vom Tessin und Norditalien mit dem Rheintal und Vorarlberg ist doch etwas ungleich.

Während die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Tessin erkennbar besser als in Norditalien sind, kann im Vergleich vom Vorarlberg zum Rheintal kein grosser Unterschied fest gestellt werden. Dies begründet wohl auch, dass von rund 380'000 Einwohner im Vorarlberg lediglich 8'000 oder rund 2 Prozent der Einwohner in der Schweiz eine Arbeitsstelle gesucht und gefunden haben. Oder dass im Tessin, wie vorhin erwähnt, 64'000 Grenzgänger rund ein Viertel der Arbeitsplätze belegen. Dies ist in der Quantität doch auch ein markanter Unterschied, was ein Vergleich weiter verunmöglicht. Nutzen wir das bereits vorhandene Kontingentierungssystem für Ausländerinnen und Ausländer aus Drittstaaten und kreiieren wir keine kantonseigene «Masseneinwanderungslösung».

Session des Kantonsrates vom 24. und 25. April 2017
25.4.2017Wortmeldung

(im Namen der SVP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten.

Gerne nehme ich Stellung zu Ihrer Antwort. Die SVP-Fraktion und ich sind über die Antwort der Regierung sehr enttäuscht. Sie zeigt auf, dass die Regierung das Anliegen in keiner Art und Weise ernsthaft geprüft hat. Anpassertum und Nichtstun ist manchmal lieber, als zu handeln. Die Regierung unterwirft sich wie die Mehrheit von National- und Ständeräten der möglichen Angst, eine Umsetzung des Volkswillens könnte der EU nicht passen und diese würde die bilateralen Verträge kündigen. Damit die EU die bilateralen Verträge kündigen könnte, braucht es die Zustimmung aller EU-Staaten. Es ist wohl kaum vorstellbar, dass alle EU-Staaten dieser Kündigung zustimmen würden. Profitieren doch sehr viele Staaten massgeblich von den bilateralen Verträgen mit der EU. Denkt man nur, wer alles mit den LKW's durch die Schweiz fährt.

Die Motion der SVP-Fraktion zielt nicht primär, wie die Regierung suggeriert, auf die Grenzgänger. Der Kanton Tessin wurde als positives Beispiel gewertet, der Massnahmen ergreift und seine Bevölkerung schützt. Dass die Regierung primär die Grenzgänger vorschiebt zeigt auf, dass sie das Thema gar nicht anpacken will. Im Kanton St.Gallen haben am 9. Februar 2014 fast 56 Prozent der Stimmenden für die Volksinitiative gegen die Masseneinwanderung gestimmt. Diese klare Mehrheit hat sich dafür ausgesprochen, dass sie eine Beschränkung der Zuwanderung mit Kontingenten will. Die SVP-Fraktion ist überzeugt, dass ein Kontingentierungssystem mit Berücksichtigung der Anliegen des Arbeitsmarktes für die Ostschweizer Unternehmen von grossem Vorteil wäre.

Die Begründung der Regierung ist daher mutlos und zeigt auf, dass sie die Anliegen der Mehrheit der Stimmenden nicht ernst nimmt. Setzen wir ein Zeichen und heissen wir die Motion gut, damit unser Kanton endlich als proaktiv und innovativ in Bern wahrgenommen wird.

Session des Kantonsrates vom 24. und 25. April 2017
25.4.2017Wortmeldung

(im Namen der SP-GRÜ-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten. Dem Antrag der Regierung ist zuzustimmen.

Ich bitte Sie auf die Motion nicht einzutreten und damit der Regierung zu folgen. Mit der von National- und Ständerat beschlossenen Umsetzung der

Masseneinwanderungsinitiative ist das von der SVP-Fraktion angestrebte Kontingentsystem hinfällig geworden. Mit dem sogenannten Inländervorrang light wurde eine Lösung beschlossen, die mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen kompatibel ist, um die bilateralen Abkommen nicht zu gefährden. Die SP-GRÜ-Fraktion verteidigt im Interesse der Arbeitsplätze die bilateralen Verträge. Die st.gallischen Arbeitnehmer sind durch entsprechende flankierende Massnahmen zu schützen, nicht durch Kontingente, welche den Zugang der St.Galler Unternehmen zum EU-Markt gefährden.

Eine Übernahme von Bestimmungen, wie sie die Tessiner Bevölkerung mit der Annahme der Initiative «Prima i nostri» gutgeheissen hat, ist für St.Gallen ausgesprochen kontraproduktiv. Zum einen sind kantonale Kontingente aufgrund der Gesetzgebungskompetenz des Bundes kaum umzusetzen. Zum anderen ist aber die Wirtschaftsstruktur auch ganz anders als im Tessin. Rund 8'000 Grenzgänger aus dem benachbarten Ausland arbeiten im Kanton St.Gallen, was nur rund 3 Prozent der Erwerbstätigen entspricht. Umgekehrt arbeiten 10'000 Grenzgänger aus der Schweiz in Liechtenstein. Eine einseitige Einführung von Kontingenten erweist sich deshalb als Schuss ins Knie, weil es leicht zu komplizierten Gegenmassnahmen kommen könnte. Ebenso ist ein Inländervorrang in der Verwaltung und den öffentlichen Anstalten angesichts des Fachkräftemangels abzulehnen, da dadurch nur die Rekrutierungsverfahren verkompliziert werden und notwendige Spezialisten schwieriger rekrutiert werden können.

Die SP-GRÜ-Fraktion lehnt die Motion ab, weil sie durch die Rechtssetzung auf Bundesebene überholt ist, weil sie kontraproduktiv ist, weil sie der Wirtschaft des Kantons St.Gallen schadet und weil sie dell Beziehungen zu unseren Nachbarn beeinträchtigt.

Session des Kantonsrates vom 24. und 25. April 2017
25.4.2017Wortmeldung

Ratsvizepräsident: Die Regierung beantragt Nichteintreten.

Session des Kantonsrates vom 24. und 25. April 2017
25.4.2017Wortmeldung

Auf die Motion ist einzutreten.

«Gesetze müssen akzeptiert werden», so äusserte sich Bundesrat Didier Burkhalter anlässlich einer Versammlung des schweizerischen Gewerbeverbandes am 28. Mai 2010. Wie Recht er doch hat! Nimmt man weiter Bezug auf den Pflichteid, welchen Regierungen und Parlamente von Bund und Kantonen in regelmässigen Abständen zu leisten haben, meinte er damit mit Bestimmtheit nicht nur Gesetze, sondern auch Verordnungen und insbesondere die Verfassung, welche die Basis unserer Rechtsverbindlichkeiten darstellt. Also: Die Verfassung muss akzeptiert werden.

Blicken wir zurück auf den 9. Februar 2014. Folgendes sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga nach verlorenem Abstimmungskampf wortwörtlich: «Jetzt sind die Weichen gestellt. Das ist direkte Demokratie. lm Moment, da ein Entscheid gefällt wurde, gilt dieser Entscheid. Jetzt geht es darum, diesen Entscheid umzusetzen. Die Schweiz wird also in Zukunft die Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländern durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzen. Meine Damen und Herren, der Souverän hat heute entschieden, dass er die Einwanderung wieder mit Kontingenten

regeln will. Der Bundesrat wird diesen Entscheid umsetzen – und zwar rasch und konsequent».

Das Volks-Ja zur Masseneinwanderungsinitiative – zur Erinnerung: Es war nicht nur ein SVP-Ja zur SVP-Masseneinwanderungsinitiative – das Volks- und Stände-Ja war weder ein Ausdruck von lsolationismus noch von Fremdenfeindlichkeit. ln Anbetracht eines Ausländeranteils von mittlerweile 24,6 Prozent ist dies ohnehin eine lächerliche Unterstellung (an dieser Stelle sei Herr 18 Prozent-Müller herzlich gegrüsst). Das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative war und ist noch immer ganz einfach ein Bekenntnis zur Souveränität, denn ein Land ist nur so lange unabhängig, wie es seine Grenzen und die Zuwanderung kontrolliert. Die Zuwanderung aus den Drittstaaten haben wir gut im Griff. Das Problem ist die EU; oder besser gesagt: Unsere eigenen Volksvertreter; oder noch treffender formuliert: Unsere eigenen Nicht-Volksvertreter.

Und damit zu den Verhandlungen mit der EU: lch darf folgendes Zitat kund tun: «Der Bundesrat geht jeweils schon mit dem Ergebnis nach Brüssel. Wenn man so in Verhandlungen einsteigt, hat die EU keinerlei Notwendigkeit, der Schweiz auch nur in einem Punkt entgegenkommen zu müssen. Die Verhandlungsergebnisse, auch die Umsetzung der MEl, fallen dann jeweils entsprechend einseitig zum Nachteil der Schweiz aus. Die britische Verhandlungsstrategie ist klüger. Die Schweiz kann sich Grossbritannien zum Vorbild nehmen.» So äusserte sich kürzlich Gerhard Pfister, Präsident der CVP.

Zur Erinnerung: Die angeblich bürgerlichen Parteien erstellten zusammen mit den Wirtschaftsverbänden ein Paket zur Umsetzung des Volksentscheids. ln der heissen Phase schwang sich zuerst die FDP-Fraktion auf eine Seite, welche nur in homöopathischer Art und Weise mit der Umsetzung des Volksentscheids zu tun hat. Aber auch Gerhard Pfister & Co. zeigten sich gewohnt flatterhaft und widersprüchlich. Zuerst rechts blinkend in einem bürgerlich-wirtschaftlichen Pakt auf einer von den Abstimmungsgewinnern getragenen Linie, liess man eben diese Volksabstimmungsgewinner im entscheidenden Moment im Regen stehen, um dann nur Tage später an vorderster Front – nun wieder mehr oder weniger im Sinne des Volksentscheids – für eine härtere Linie bei der Umsetzung der MEI zu kämpfen. Wen wundert's, ging dieser Slalomkurs in die Hose.

Aus alldem resultierte letztlich eine Nichtumsetzung des von Volk und Ständen in demokratischer, unmissverständlicher Art und Weise beschlossenen Verfassungsartikels, ich betone «Verfassungsartikels». Die Abstimmungsverlierer frohlocken. Wir können uns nun hinter Art.121 Abs. 2 der Bundesverfassung verstecken, wonach die Gesetzgebung über die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern Sache des Bundes ist. Wer sich aber hinter diesem Verfassungsartikel verschanzt und sich gleichzeitig vor der Umsetzung des Art. 121a der Bundesverfassung drückt, nimmt den Souverän schlicht nicht ernst.

Die Bundesverfassung ist die zwingend rechtsverbindliche Basis für alle in der Schweiz. lnsofern ist die gegenständliche kantonale Motion zur Umsetzung des Verfassungsartikels 121a zur Steuerung der Zuwanderung nicht nur ein Gebot der Stunde. ln unserem föderalistischen System ist es die Pflicht aller Kantonsräte, für eine pflichtgemässe Umsetzung der Verfassungsvorgaben besorgt zu sein – bilaterale Verträge hin oder her.

Womit wir beim nächsten Thema angelangt sind: Es ist offensichtlich vielen hier im Saal entgangen, dass die bilateralen Verträge mit der EU eben kein in Stein gemeisseltes Vertragswerk sind. Ausserdem darf in Erinnerung gerufen werden, dass ein allfälliger Wegfall der Bilateralen 1, keinen Einfluss auf das Freihandelsabkommen aus dem Jahr 1972, das Versicherungsabkommen aus dem Jahr 1989 sowie die Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit aus den Jahren 1990 und 2009 hat.

Vor einigen Wochen erschien eine neue Studie. Sie wurde an der Universität St.Gallen erarbeitet; einer Organisation, welche von der St. Galler Regierung stets hoch im Kurs steht. So räumt die Uni St.Gallen gründlich mit all den beschönigenden Mythen rund um die vergötterten Bilateralen auf. Die Schweiz sei seit 2008 – also seit weniger als zehn Jahren – mindestens 200 Mal durch marktwidrige EU-Massnahmen zugunsten maroder Konzerne oder lndustriezweige in einzelnen EU-Ländern schwer geschädigt worden. Der Schaden wird sogar beziffert: Er trifft die Schweizer Wirtschaft mit 17 Mrd. Franken – und das jedes Jahr! Ob solcher Tatsachen müssten nun allen – auch den Regierungen und insbesondere Economiesuisse und Co. – die Alarmglocken läuten. Es ist angebracht, nicht weiter dem politisch-polemischen Sportgeist der Verteuflung der SVP-Fraktion zu frönen, sondern der Wahrheit ins Auge zu blicken und endlich entsprechend zu handeln.

Weiters haben die Bestimmungen der Welthandelsorgansation WTO ein gehöriges Wort mitzureden, denn sowohl die Schweiz als auch die EU sind Mitglieder der WTO. Die WTO ist neben dem IWF und der Weltbank eine der zentralen internationalen Organisationen und beschäftigt sich mit der Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und beruht auf dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Dieser allgemeine Grundsatz wird durch WTO-spezifische Prinzipien für den Welthandel operabel gemacht, und zwar sind das die Prinzipien der Meistbegünstigung, der Gleichbehandlung und der Gegenseitigkeit. Zudem ist mittlerweile das Abkommen über Handelserleichterungen (TFA) der WTO in Kraft getreten.

Sie sehen, die angeblichen Drohgebärden der EU verpuffen im Nirgendwo. Abgesehen davon haben insbesondere die wirtschafts- und sozialstarken Mitgliedsländer der EU selber nicht zu verleugnende Probleme mit der Personenfreizügigkeit und so machte der Souverän des Vereinigten Königreichs bekanntlich kurzen Prozess. Grossbritannien weist uns den Weg. Premierministerin Theresa May will einen harten Ausstieg. Sie schickt – anders als wir Schweizer – keine EU-Turbos zu Verhandlungen nach Brüssel. Sie nimmt – anders als unser Bundes-, Stände- und Nationalrat – den Volkswillen ernst. Der EU schlottern bereits die Knie. Warum? Weil es Theresa May – im Gegensatz zur unterwürfigen Unfähigkeit unserer Diplomaten und unseres Bundesrats – mit einem Volksentscheid im Rücken wagt, der EU eben diesen Volksentscheid unmissverständlich kund zu tun. Theresa May wagt es erfolgreich, der EU die Stirn zu bieten.

Übrigens: Seit dem Brexit-Entscheid entwickelt sich die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs nachweislich weitaus besser als jene der EU. Und noch ein paar Zahlen; und zwar aus der Handelsbilanz der Schweiz mit der EU: Betrug unser Handelsbilanzdefizit aus dem Warenhandel mit der EU im Jahr 2004 noch gut 10 Mrd. Euro, sind es 2013 bereits mehr als 70 Mrd. Euro; Tendenz steigend; wohlverstanden zu Gunsten der EU.

Den Bilateralen 1 wurden denn auch – vorausschauend und im Bewusstsein, dass einzelne Elemente des Vertragskonstruktes irgendwann aus welchen Gründen auch immer Korrekturen bedürfen – eine Revisionsklausel eingebaut. Diese Revisionsklausel stand und steht der Schweiz noch immer zu. Die Kompatibilität des Volksentscheids mit den Bilateralen ist also gegeben.

Ohnehin gibt es sechs weitere Aspekte, und zwar die Abkommen der Bilateralen 1 über:

  1. den Luftverkehr;

  2. den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen;

  3. die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen;

  4. über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens;

  5. die wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit und

  6. den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Strasse.

Allein am letztgenannten – dem Landverkehrsabkommen – sind die lnteressen zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten derart gross, dass letztlich eine Kündigung der Bilateralen 1 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die EU nicht in Frage kommt, müssten doch ausnahmslos alle EU-Mitgliedsstaaten restlos alle sieben Abkommen der Bilateralen 1 künden. Und vergessen Sie nicht die Bestimmungen der WTO sowie das erwähnte Freihandelsabkommen.

Und obendrauf noch ein weiterer Trumpf der Schweiz: Die Einstellung von Kohäsionszahlungen. lch kann alle – auch die Wirtschaftsverbände – beruhigen: Keiner der sieben Verträge der Bilateralen 1 handelt vom Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt. Der zollfreie Zugang der Schweizer lndustrie- und Handelsgesellschaften zum EU-Markt wird nicht durch die Bilateralen 1, vielmehr durch das Freihandelsabkommen Schweiz-EU aus dem Jahr 1972 sichergestellt. Dieser Vertrag ist durch von beiden Seiten bewusst und freiwillig eingegangenen WTO-Verpflichtungen solide abgesichert.

Es stellt sich die Frage, was denn das wahre Motiv ist für die Behauptung, wonach das Verlangen nach Neuaushandlung der Personenfreizügigkeit die Bilateralen insgesamt annullieren würde. Auch dazu gehören die Tatsachen endlich auf den Tisch: Es geht manchen Lobbys in keiner Art und Weise um die Rettung der Bilateralen. Diejenigen, die das behaupten, wissen genau, dass diese nicht gefährdet sind. Sie schlagen eine erfundene Gefahr breit, damit niemand auf die ldee kommt, endlich einmal die wahren Absichten hinter den Forderungen um Aufrechterhaltung der Masseneinwanderung unter die Lupe zu nehmen.

Es geht den Erfindern des ganzen Lügengebildes nämlich einzig und allein um den Erhalt der Personenfreizügigkeit – also um das ungehinderte Weiterwuchern der uneingeschränkten Massenzuwanderung. Damit wollen sie sich egoistisch den unbeschränkten Zugang billiger Arbeitskräfte aus der EU erhalten – buchstäblich um jeden Preis. Damit sie teurere Schweizer Arbeitnehmer, vor allem Über-Fünfzigjährige jederzeit ersetzen können.

Neuerdings wird – wiederum von den Medien breitgeschlagen – eine zusätzliche Behauptung in den Vordergrund geschoben: Die Masseneinwanderung gehe zurück. Es seien 2016 weniger Personen aus der EU eingewandert als in den Jahren zuvor. Dass diese «Weniger» noch immer ein Vielfaches derer ausmacht, die uns anlässlich der Vertragsunterzeichnung zur Personenfreizügigkeit als zu erwartende Einwanderer vorausgesagt worden sind, wird allerdings vornehmlich verschweigen. Und: Es sind keineswegs hochbezahlte Facharbeiter. Sie wandern in Berufe ein, in denen sie bestenfalls niedrige Löhne erzielen, allzu oft aber auch das Risiko laufen, baldiger Arbeitslosigkeit zu verfallen. Die Mär von der Facharbeiter-Einwanderung ist längst zusammengebrochen. Es verstärkt sich vor allem die Einwanderung in den Sozialstaat Schweiz.

lch komme zum Fazit: Mit nur ein ganz klein wenig Rückgrat, wie es die Premierministerin des Vereinigten Königreichs an den Tag legt, wäre dem Volksentscheid vom 9. Februar 2014 und somit unserem Verfassungsartikel längst entsprochen. ln der Konsequenz dürfen und müssen wir uns keineswegs davor fürchten, am Personenfreizügigkeitsabkommen zu rütteln.

Das Schweizer Volk geniesst ein weitherum beneidetes Privileg: Die direkte Demokratie. lch muss wohl niemandem in diesem Saal das System der direkten Demokratie erklären. Wer aber demokratisch gefällte Volksentscheide aushebelt, der hat weder in Legislativen, noch in Exekutiven und auch nicht in Judikativen etwas zu suchen. Mit der Zustimmung zur Motion verhelfen Sie dem Volksentscheid zum Durchbruch.

Session des Kantonsrates vom 24. und 25. April 2017