Geschäft: Steht das Sicherheits- und Justizdepartement über dem Bundesgericht? (Titel der Antwort: Zuständigkeit für Wiedererwägungsgesuche)
Komitee | Kantonsrat |
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Nummer | 51.14.45 |
Titel | Steht das Sicherheits- und Justizdepartement über dem Bundesgericht? (Titel der Antwort: Zuständigkeit für Wiedererwägungsgesuche) |
Art | KR Interpellation |
Thema | Grundlagen und Organisation |
Federführung | Sicherheits- und Justizdepartement |
Eröffnung | 24.11.2014 |
Abschluss | 26.11.2014 |
Letze Änderung | 9.12.2021 |
vertraulich | Nein |
öffentlich | Ja |
dringend | Nein |
Datum | Akteur | Titel | Letze Änderung |
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1.8.2019 | Gremium | Beteiligung - SVP-Fraktion 2016/2020 | 19.1.2023 |
Datum | Titel | Resultat | öffentlich | ||||
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Ja | Bedeutung | Nein | Bedeutung | Absent / Enthaltung | |||
26.11.2014 | Antrag SVP-Fraktion | 73 | Zustimmung | 15 | Ablehnung | 32 | |
26.11.2014 | Antrag Huser-Altstätten auf Diskussion | 71 | Zustimmung | 26 | Ablehnung | 23 |
Datum | Typ | Wortlaut | Session |
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26.11.2014 | Wortmeldung | Ich habe auch einige juristische Vorlesungen genossen, und eines der ersten mich damals schockierenden Voten war, dass der Rechtsprofessor sagte: «Verwechseln Sie nicht Recht mit Gerechtigkeit». Dass dies stimmt, das hat das ausführliche Votum von Ritter-Sonderegger-Altstätten und Ihr Applaus mir jetzt treffend vor Augen geführt. Ritter-Sonderegger-Altstätten hat auch von den hoch hängenden Trauben für ein Wiedererwägungsgesuch gesprochen. Nun, um diese hoch hängenden Trauben zu erreichen, muss man etwas in Bewegung setzen. Ich empfehle Ihnen, wenn Sie wirklich ein tiefes Mitleid für jemanden empfinden und glauben, Recht und Gerechtigkeit irgendwie in eine Balance bringen zu können, dann setzen Sie eine Volksbewegung in Bewegung. Was das hier in Bewegung gebracht hat, war eine Petition, das waren viele Leute, die unterschrieben haben und wollten, dass man das nochmals anschaut. | Session des Kantonsrates vom 24. bis 26. November 2014 |
26.11.2014 | Wortmeldung | (im Namen der SVP-Fraktion) Die Interpellantin ist mit der Antwort nicht zufrieden und beantragt, dass die Rechtspflegekommission sich mit dem Fall beschäftigt. Huser-Altstätten hat erwähnt, dass wir mit der Antwort nicht zufrieden sind, das hat bereits begonnen bei der Abänderung des Titels. Jetzt tönt das ziemlich harmlos, unsere eingereichte Interpellation mit dem Titel: «Steht das Sicherheits- und Justizdepartement über dem Bundesgericht» hat einige Fragen mehr aufgeworfen. In Anbetracht aus diesen sehr ausführlichen juristischen Überlegungen, die uns Ritter-Sonderegger-Altstätten darlegte, stelle ich hiermit den Antrag, dass sich die Rechtspflegekommission dieses Kantons, welches sich in Rechtsfragen ja auskennen sollte und auskennt, und sich auch mit Rechtsfragen auseinandersetzt, mit diesem Fall und diesen Fragen, welche jetzt noch im Raum stehen, auseinandersetzt, und uns in geeigneter Form wieder darüber Bericht erstattet. | Session des Kantonsrates vom 24. bis 26. November 2014 |
26.11.2014 | Wortmeldung | Allein die letzten beiden Voten zu den letzten beiden Themen der SP-GRÜ-Fraktion könnten ebenso gut auf dieses Geschäft bezogen werden. Da war von «Bananenrepublik» und dem Volkswillen die Rede, der missachtet werden soll. Offensichtlich treffen beide Begriffe auch hier zu. Es geht um eine Berichterstattung und einen Entscheid der getroffen vom Sicherheits- und Justizdepartement wurde. Ich stelle im Interesse einer öffentlichen Diskussion den Antrag, dass diese Interpellation in diesem Rat diskutiert werden kann. | Session des Kantonsrates vom 24. bis 26. November 2014 |
25.11.2014 | Wortmeldung | Ratsvizepräsident: Dringlichkeit wird nicht bestritten. | Session des Kantonsrates vom 24. bis 26. November 2014 |
26.11.2014 | Wortmeldung | (im Namen der CVP-EVP-Fraktion): Die CVP-EVP-Fraktion hat mit aller grösster Verwunderung Kenntnis genommen von den Vorgängen in Zusammenhang mit der Ausweisung von zwei straffälligen italienischen Staatsangehörigen, insbesondere vom Umstand, dass der Ausweisungsentscheid vom Sicherheits- und Justizdepartement unter der Leitung von Regierungspräsidentin Hanselmann, welche den in Ausstand getretenen Regierungsrat Fässler vertreten hat, in Wiedererwägung gezogen wurde. Es gibt eine konstante, langjährige Praxis zur Ausweisung von straffällig gewordenen Ausländerinnen und Ausländern. Die Juristen unterscheiden, wenn Gesetze gewisse Handlungsspielräume zulassen, zwischen positiven Kandidaten, also Fälle, die eindeutig unter das Gesetz fallen und neutralen sowie negativen Kandidaten. Wenn es jetzt einen Fall gibt, wo die Ausweisung nicht nur gerechtfertigt, sondern nachgerade geboten war, dann sind es diese beiden Fälle. Zu diesem Schluss ist das Migrationsamt in einer ersten Runde gekommen. Es ist auch auf ein Wiedererwägungsgesuch nicht eingetreten. Das Sicherheits- und Justizdepartement ist zu diesem Schluss gekommen, mit sehr überzeugender Begründung des Verwaltungsgericht und das Bundesgericht hat in beiden Fällen nicht nur die Beschwerde abgewiesen, sondern es hat auch die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege verweigert, mit der Begründung, die Beschwerden seien absolut aussichtslos gewesen. Nun geht das Sicherheits- und Justizdepartement hin, nachdem ein wenig politischer Rumor gemacht wurde, und zieht den Entscheid in Wiedererwägung. Nun hat die Regierung richtig festgehalten, dass unser Verwaltungsrechtspflegegesetz die Wiedererwägung von Verfügungen durch die erlassende Behörde vorsieht. Sie hat auch richtig festgehalten, ändern sich die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse nach Eintritt der Rechtskraft des Entscheids wesentlich, was insbesondere bei Dauerverfügungen vorkommen kann, so geht die Kompetenz zur Neuregelung wieder an die Verwaltung über, deren Entscheid wieder gerichtlich anfechtbar ist. Das stimmt, aber versuchen Sie einmal im Kanton St.Gallen einen rechtskräftig gewordenen Entscheid in Wiedererwägung zu ziehen. Die Trauben hängen enorm hoch und es müssen ausserordentliche Verhältnisse eingetreten sein, dass die Wiedererwägung bewilligt wird. Jetzt nimmt die Regierung im zweiten Abschnitt ihrer Interpellationsantwort zu den Gründen Stellung da heisst es:
Das sind alles keine Gründe, um eine Wiedererwägung anzuordnen, denn alle diese Gründe waren bereits beim Erlass der ersten Verfügung vorhanden. Ich muss Ihnen natürlich sagen, es heisst dann auch, der Entscheid habe aufgrund seiner Einzigartigkeit keine präjudizierende Wirkung. Ich werde von jetzt an, mit Berufung auf diesen Entscheid, konsequent bei jeder Verfügung, der ich von einem höheren Gericht rechtskräftig unterliege, ein Wiedererwägungsgesuch stellen, weil offenbar die Anforderungen an ein Wiedererwägungsgesuch im Kanton St.Gallen auf praktisch Null reduziert wurden. Was natürlich im ganzen Zusammenhang auch etwas störend ist, ist wenn man schaut, durch wen die betreffenden Personen vertreten wurden. Eine Person durch Rechtsanwalt Rechsteiner und die andere Person durch Rechtsanwältin Surber. Das gibt auch einen gewissen Anlass zu Fragen. Vorher wurde diskutiert und spekuliert, der rechten Ratsseite wurde Unredlichkeit, «Bubentrickli» usw. vorgeworfen, und jetzt stellt sich einfach die Frage, wie ist das hier zu beurteilen? Ich überlasse Ihnen die Beantwortung der Frage. Ich bin der Auffassung, dass das ein Fall ist, wie er nicht sein darf, weil die st.gallischen Gerichte, welche einen völlig richtigen Entscheid gefällt haben, und das Bundesgericht, welches völlig richtig entschieden hat, wurden desavouiert. Das Verwaltungsgericht hält zurecht fest, dass die Ausschaffungsinitiative zwar hier nicht gilt, aber sowohl das Verwaltungsgericht, als auch das Bundesgericht haben entschieden, dass selbst unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit, die Ausschaffungsinitiative nicht gelten würde. Die Ausschaffung gerechtfertigt dies. Ich frage Sie, wie wollen Sie noch kriminelle Ausländerinnen und Ausländer ausschaffen, wenn das Schule macht und dies die neue Praxis ist. Ich bin erschüttert über diesen Entscheid, und auch meine Kolleginnen und Kollegen der CVP-EVP-Fraktion sind dies, das war eine politische Verfügung und keine juristische. Wir haben keine politische Verwaltungsrechtsprechung sondern eine juristische. | Session des Kantonsrates vom 24. bis 26. November 2014 |
26.11.2014 | Wortmeldung | (im Namen der SVP-Fraktion): Es sind keine 24 Stunden her, da hat der Vorsteher des Sicherheits- und Justizdepartementes in diesem Saal Autofahrer, die die maximale zugelassene Höchstgeschwindigkeit Innerorts um 15 km/h überschreiten in die Ecke der Kriminellen gestellt. Es ist das selbe Departement, das vor kurzem einen Entscheid getroffen hat, mit dem einem Paar ein Bleiberecht in der Schweiz bzw. im Kanton St.Gallen ausgesprochen wurde, dabei handelt es sich um zwei Personen, die einerseits einmal 24- und einmal 28-fach vorbestraft sind. Bei diesen Vorstrafen ging es um Gewalt, es ging um Drogendelikte, aber es ging auch um Unzucht mit Kindern. Das Bundesgericht, das über diesen Vorgang vor gut einem Jahr entschieden hat, hat in seiner Urteilsbegründung sehr darauf aufmerksam gemacht, dass es die Verhältnismässigkeit dieser verfügten Ausweisung geprüft und für gut befunden hat. Es hat ausserdem klar aufgezeigt, dass im Bereich von Ausschaffungen von Menschen, die über 15 Jahre in unserem Land wohnen und straffällig werden, mit diesen Ausschaffungen sehr zurückhaltend umgegangen werden muss. Dennoch kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass sowohl das Sicherheits- und Justizdepartement in seinem Ausschaffungsentscheid als auch das Verwaltungsgericht mit der Bestätigung dieses Ausschaffungsbescheides richtig gehandelt und geurteilt haben und das Bundesgericht hat darum diesen Entscheid bestätigt. Es hat in der Urteilsbegründung festgehalten, dass die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden kann, wenn gewisse Widerrufsgründe vorhanden sind, die auch bei ausländischen Personen, die sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufhalten, zur Anwendung kommen, und es hat diese Voraussetzungen als vorhanden gewertet. Es hat darüber hinaus geprüft, ob bei diesen 24- und 28-fach vorbestraften Straftätern eine Aussicht auf Besserung des Verhaltens besteht. Das Bundesgericht hat klar entschieden, dass trotz angeordneter Massnahmen, langjähriger Teilnahme an verschiedenen Programmen, die beiden Straftäter unbelehrbar und therapieresistent seien. Das sind nicht meine Worte, das sind die Zitate aus dem entsprechenden Bundesgerichtsurteil. Das Bundesgericht hat ausserdem geprüft, ob es den beiden italienischen Staatsbürgern zugemutet werden kann, in ihr Heimatland zurückgeschafft zu werden. Beide sind drogenabhängig und HIV-positiv. Auch in dieser Frage hat das Bundesgericht die Vorinstanzen bestätigt, da die Eltern der Frau in Italien leben und die soziokulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Italien durchaus mit denen in der Schweiz vergleichbar seien, und dass dort auch entsprechende medizinische Programme für die Behandlung der beiden Straftäter vorhanden wären. Dennoch hat sich das St.Galler Sicherheits- und Justizdepartement über diesen Entscheid des Bundesgerichts, der im Übrigen die EMRK-Vorschriften berücksichtigt hat, hinweg gesetzt. Dieser Entscheid stellt nach Überzeugung der SVP-Fraktion somit einen Missbrauch unseres Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRP) dar, es ist aber auch eine Missachtung der Bundesverfassung der Eidgenossenschaft. Diese besagt unter Art. 121 Abs. a, dass Ausländerinnen und Ausländer unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status die Aufenthaltsbewilligung verlieren, wenn sie rechtskräftig wegen Drogendelikten verurteilt sind, dies notabene unabhängig von der Ausschaffungsinitiative, die hier eine klare Verschärfung mit sich bringen wird. Der Entscheid des Sicherheits- und Justizdepartementes ist somit nach Überzeugung der SVP-Fraktion ein Schlag ins Gesicht des eigenen Departementes, es ist ein Schlag in Gesicht des Verwaltungsgerichts unseres Kantons und ebenso des Bundesgerichts. Noch schlimmer aber ist der Schlag ins Gesicht der Opfer dieser beiden Straftäter, seien dies nun Menschen, die aufgrund des Drogenhandels drogenabhängig wurden oder in ihrem Drogenkonsum bestärkt wurden oder seien es die Opfer im Bereich des Kindesmissbrauchs. Im November 2010 haben sich 59,6 Prozent der St.Gallerinnen und St.Galler für die Annahme der Ausschaffungsinitiative ausgesprochen. Dieser Entscheid und die ganzen Entscheide der Vorinstanzen, die sich konkret mit diesem Fall auseinandergesetzt haben, wird von unserem Sicherheits- und Justizdepartement oder in Vertretung von unserer Regierungspräsidentin mit einem Federstrich übergangen. Ich denke, es wäre an der Zeit, dass sich die Regierung für dieses Handeln und für diesen Vorgang rechtfertigt. | Session des Kantonsrates vom 24. bis 26. November 2014 |
26.11.2014 | Wortmeldung | Regierungspräsidentin: Wenn man Urteile fällt, das ist ganz klar, dann gibt es Stimmen, die das Urteil gut finden oder Stimmen, die das Urteil schlecht finden. Mir ist es ein Anliegen, einfach nochmals klar darzulegen, es geht um eine juristische Entscheidung und nicht um eine politische Entscheidung. Es ist so, dass in Abwägung aller Kriterien und der Gesamtbeurteilung der jetzigen, heutigen, aktuellen Situation und innerhalb des pflichtgemäss auszuübenden Ermessens, dem ja jeder Richter und jede Richterin immer ausgesetzt ist, dementsprechend auch dieses Wiedererwägungsgesuch angeschaut, dementsprechend entschieden und gutgeheissen habe. Wenn die Rechtspflegekommission das bearbeitet, stehe ich gerne für Fragen und Antworten bereit. | Session des Kantonsrates vom 24. bis 26. November 2014 |