Geschäft: Amtsberichte der kantonalen Gerichte über das Jahr 2012

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer32.13.02
TitelAmtsberichte der kantonalen Gerichte über das Jahr 2012
ArtKR Verwaltungsgeschäft
ThemaZivilrecht, Strafrecht, Rechtspflege
FederführungSicherheits- und Justizdepartement
Eröffnung30.4.2013
Abschluss3.6.2013
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
AllgemeinBeratungsschema
BotschaftBericht 2013 der Rechtspflegekommission vom 17. April 2013
BotschaftAmtsberichte der kantonalen Gerichte über das Jahr 2012
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium14.3.2024
Statements
DatumTypWortlautSession
3.6.2013Wortmeldung

Präsident der Rechtspflegekommission: Auf den Bericht ist einzutreten.

Im Zusammenhang mit dem Amtsbericht der kantonalen Gerichte unterbreitet Ihnen die Rechtspflegekommission traditionsgemäss auch den Bericht über ihre Tätigkeit im abgelaufenen Jahr. Die Rechtspflegekommission nimmt für den Kantonsrat die Oberaufsicht über die Justizbehörden wahr, und der Grundsatz der Gewaltenteilung setzt der Kontrolle der Rechtspflegekommission enge Grenzen. Nicht in ihrem Kompetenzbereich liegt es, Urteile auf ihre Richtigkeit zu prüfen oder Gerichten Weisungen über die Aufhebung oder die Änderung von Entscheiden zu erteilen oder gar in laufende Verfahren einzugreifen. Es war mir wichtig, Ihnen diese Binsenwahrheit noch einmal in Erinnerung zu rufen.

Bezüglich der Feststellungen, die unsere Subkommissionen bei der Prüfung des Kreisgerichtes Werdenberg-Sarganserland und beim Untersuchungsamt St.Gallen gemacht haben, verweise ich auf den schriftlichen umfassenden Bericht. Falls Sie Fragen haben, stellen Sie sie. Ich mache hier keine weiteren Ausführungen. Eine umfangreiche Befragung aller Richter unseres Kantons zu Umgang und Erfahrungen mit den verschiedenen Anstellungs- und Beschäftigungsmodellen sowie zur Veröffentlichung der Verhandlungstermine wurde durch die Subkommission III durchgeführt.

Wir haben Ihnen dargelegt, dass die Umfragen insgesamt eine recht grosse Zufriedenheit der Richterinnen und Richter zeigen. Einen unmittelbaren Handlungsbedarf sehen wir derzeit nicht. Bedeutsame Korrekturen sind aber durchaus möglich und teilweise sicher auch sinnvoll im Zusammenhang mit der Änderung der Gesetzgebung als Folge der beiden Motionen 42.12.07 «Wahlverfahren der Kreisrichterinnen und Kreisrichter» und 42.10.01 «Neugestaltung der Verwaltungsjustiz». Gemäss dem von uns heute soeben zur Kenntnis genommenen Bericht 32.12.01A «Stand der Bearbeitung gutgeheissener parlamentarischer Vorstösse» soll die Motion betreffend Stellung der Kreisrichter noch in diesem Jahr, die Motion zur Reorganisation der Verwaltungsjustiz im ersten Halbjahr 2014 je durch eine Vorlage an den Kantonsrat behandelt und erledigt werden. Wir warten ab und harren der Dinge, die die Regierung angekündigt hat.

Lassen Sie mich noch auf einen Aspekt eintreten, der bei uns immer wieder diskutiert wurde und der in politischer Hinsicht nach unserer Beurteilung sehr bedeutsam ist. Das Strafbefehlsverfahren wurde im Rahmen der neuen Strafprozessordnung des Bundes im Hinblick auf die Verfahrensökonomie massiv ausgedehnt. Im Kanton St.Gallen haben die Sachbearbeiter mit staatsanwaltschaftlichen Befugnissen gemäss Art. 13 des Einführungsgesetzes, also in der Zuständigkeitsordnung der Strafprozessordnung die tiefste Hierarchiestufe, die Kompetenz, einen Strafbefehl zu erlassen, wenn als Sanktion voraussichtlich eine Busse, eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen, gemeinnützige Arbeit von höchstens 720 Stunden oder eine Freiheitsstrafe von höchstens sechs Monaten in Betracht kommen. Die Sachbearbeiter mit staatsanwaltschaftlichen Befugnissen werden durch die Staatsanwaltschaft bestimmt. Wohlverstanden, das sind gute Leute, und es gibt zahlreiche Fälle, bei denen diese Art der Verfahrenserledigung sinnvoll ist, so bei geringfügigeren Straftaten und pekuniären Sanktionen, etwa im Strassenverkehrsbereich. Fragwürdig ist aber die exzessive Kompetenz, mit Strafbefehl Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten zu verhängen, auch unbedingte. Der grosse Strafrahmen hat zur Folge, dass heute zwischen 95 und 99 Prozent aller Verurteilungen im Kanton St.Gallen von Sachbearbeitern mit staatsanwaltlichen Befugnissen und nicht mehr vom Richter, also von Sachbearbeitern mittels Strafbefehl ausgesprochen werden. Zwar kann der Betroffene Einsprache machen. Der zugestellte Text wird aber mutmasslich in einer beträchtlichen Zahl von Fällen mangels Lesekompetenz – Sie wissen, dass 15 Prozent an Illettrismus leiden, wegen Fremdsprachigkeit oder als Folge geringerer Intelligenz nicht verstanden. Die Verfahrensregeln sind zudem relativ einfach. Entscheide beruhen oft auf knappen Unterlagen, und der zuständige Sachbearbeiter hat den Beschuldigten vielfach nie gesehen. Eine Begründungspflicht besteht nur in Sonderfällen.

Das Strafbefehlsverfahren kann sehr wohl geschädigten- und opferfeindlich sein. Während der Beschuldigte davon profitiert, dass er von einer öffentlichen Hauptverhandlung verschont bleibt und kostenmässig günstiger fällt als in einem ordentlichen Prozess, werden Zivilforderungen Geschädigter nicht adhäsionsweise beurteilt, sondern auf den hindernisreichen Zivilweg verwiesen, ausser wenn sie der Beschuldigte ausdrücklich anerkennt. Wegen rechtsstaatlicher Bedenken ist zum Beispiel in Deutschland bei Strafbefehlen die Verhängung unbedingter Freiheitsstrafen verboten. In den Niederlanden kann die Staatsanwaltschaft überhaupt keine Freiheitsstrafen verhängen, und Österreich hat Strafbefehle gänzlich abgeschafft. Ein Reformbedarf ist politisch daher durchaus zu diskutieren.

Gesamthaft geht es nicht darum, die Arbeit der Staatsanwaltschaft zu beschneiden, aber es ist ein optimaler Kompromiss zwischen Verfahrensökonomie und Rechtsstaatlichkeit zu finden. Ob dieser tatsächlich gefunden ist bzw. ob hier nicht doch ein Reformbedarf besteht, ist für die Rechtspflegekommission derzeit offen. Ich lade Sie ebenfalls ein, sich zu diesem wesentlichen und weiteren Aspekt in unserer Justiz laufend Gedanken zu machen. Das ist zwar nicht so spektakulär wie manches politische Geschäft, aber gleichwohl in hohem Mass notwendig und eben auch politisch. Die Justiz ist die dritte Staatsgewalt. Sie muss von uns sorgfältig begleitet und beobachtet werden. Vergessen wir als politische Instanz nie das Zitat aus dem Film «Justiz» nach dem gleichnamigen Roman von Friedrich Dürrenmatt, das stark übertreibt, aber vielleicht trotzdem einen Kern Wahrheit enthält und das daher beherzigt werden sollte, und die anwesenden Mitglieder der Justiz auf der Tribüne mögen jetzt etwas weghören. Zitat: «Die Gerechtigkeit wohnt in einer Etage, zu der die Justiz keinen Zutritt hat.» Schauen wir daher als Parlament, dass wir zumindest regelmässig dem Hausflur etwas Beachtung schenken.

Session des Kantonsrates vom 3. bis 5. Juni 2013
3.6.2013Wortmeldung

Ratspräsident: Das Präsidium sieht keine Eintretensdiskussion vor. Der Kantonsrat ist auf den Bericht eingetreten.

Session des Kantonsrates vom 3. bis 5. Juni 2013