Geschäft: Abstände im Nachbarrecht nach EG-ZGB

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer42.11.24
TitelAbstände im Nachbarrecht nach EG-ZGB
ArtKR Motion
ThemaZivilrecht, Strafrecht, Rechtspflege
FederführungSicherheits- und Justizdepartement
Eröffnung31.8.2011
Abschluss6.6.2016
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
AntragAntrag der Regierung vom 13. September 2011
VorstossWortlaut vom 31. August 2011
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium19.1.2023
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
28.9.2011Gutheissung73Zustimmung24Ablehnung23
28.9.2011Eintreten73Zustimmung25Ablehnung22
Statements
DatumTypWortlautSession
28.9.2011Wortmeldung

Auf die Vorlage ist nicht einzutreten.

Es gibt das geflügelte Wort: «Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu schaffen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu schaffen.» Ich habe kein Verständnis für den Willen, hier zu legiferieren. Wir haben es hier mit einer über 100jährigen Praxis zu tun. Diese Praxis führt natürlich von Zeit zu Zeit immer wieder einmal zu nachbarlichen Streitigkeiten. Das ist notgedrungen so, denn eine Grenze hat immer zwei Seiten und findet folgedessen auch immer mindestens zwei Anwälte. Wird nun bei dieser einmal festgelegten Praxis eine Änderung herbeigeführt, dann führt das zu Nachmessungen und zu Streitigkeiten. Ausser der Zunft des Sprechenden kann sich niemand darüber freuen. Das aber kann nicht die Aufgabe des Gesetzgebers sein und ebenso wenig diejenige, für Zündstoff und künftigen Prozessstoff zu sorgen. Ich bin der Auffassung, dass sich die jetzige Regelung bewährt hat. Zugegeben, es sind nicht immer alle zufrieden, aber das bringen Gesetze halt mit sich.

Session des Kantonsrates vom 26. bis 28. September 2011
28.9.2011Wortmeldung

Kommissionspräsident: Die vorberatende Kommission diskutierte die Abstände im Nachbarschaftsrecht und kam zum Schluss, dass es nicht gut wäre, wenn diese ohne politische Vorarbeiten, ohne Stellungnahmen und ohne Vernehmlassungen gleich in die Gesetzesänderung mit eingebunden worden wären. Vom politischen Ablauf her wäre das grundsätzlich möglich gewesen. Die vorberatende Kommission hat der Einreichung einer Motion mit 15:0 Stimmen zugestimmt. Damit soll die Regierung beauftragt werden, Regulierungen für besondere Situationen zu treffen. Im Nachbarschaftsrecht können zum Beispiel zurzeit Lebhäge bis 1,2 m hoch sein. Diese Regelung gilt grundsätzlich auch dann, wenn diese 3 oder 4 m von der Grenze entfernt stehen. Die Frage nach der Höhe von 1,2 m für Lebhäge stellt sich auch bei toten Einfriedungen, die 1,8 m hoch sein dürfen, so zumindest sieht es das Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (abgekürzt EG-ZGB) vor. Die vorberatende Kommission will diese unbefriedigende Situation klären und lädt die Regierung ein, Regelungen zu treffen. Es soll geprüft werden, ob Lebhäge, die einen grösseren Abstand zur Grenze haben, auch höher als 1,2 m sein dürfen. Gleichzeitig soll geprüft werden, ob für Lebhäge überhaupt eine Maximalhöhe festgesetzt werden soll. Des Weiteren soll eine Bagatellhöhe für Bäume festgelegt werden. Ein Tannenbaum beispielsweise darf nicht näher als 6 m an der Grenze zum Nachbarn stehen, auch dann nicht, wenn er nur für die Vorbereitung von Weihnachten dient und nur 1,2 m hoch ist. Rein von Gesetzes wegen gilt er als hochstämmiger Baum. Und ebenso soll auch geprüft werden, ob die Inanspruchnahme des nachbarlichen Bodens für den Rückschnitt von Pflanzen erlaubt werden könnte, ähnlich wie dies für Unterhaltsarbeiten an Mauern gilt.

Session des Kantonsrates vom 26. bis 28. September 2011
28.9.2011Wortmeldung

(im Namen eines Teils der FDP-Fraktion): Auf die Vorlage ist einzutreten.

«Ein Jurist, eine Meinung, zwei Juristen, eine Diskussion, drei Juristen, eine Kontroverse». Die FDP-Fraktion ist in der Frage der Unterstützung dieser Motion gepalten. Die Regierung lehnt die Motion ab und argumentiert vor allem mit der Rechtssicherheit. Der Begriff «Rechtssicherheit» bedeutet im Allgemeinen, dass Gesetzesbestimmungen nicht willkürlich geändert werden können, dass sie genügend bekannt gemacht werden müssen und dass sie auch bekannt sind. Aber es geht bei der Rechtssicherheit auch darum, dass Bestimmungen durchgesetzt werden. Die Regierung weist zu Recht darauf hin, dass die Bestimmungen im EG-ZGB zum Nachbarrecht 100 Jahre alt sind. Und nach so langer Zeit kann kaum mehr von einer willkürlichen Änderung gesprochen werden, nicht zuletzt unter der Berücksichtigung der Kadenz, mit welcher andere Erlasse durch diesen Rat geändert werden. Interessanterweise hat die Regierung selbst eine Änderung des massgeblichen Art. 98 EG-ZGB vorgeschlagen, die sich dann allerdings als überflüssig erwiesen hat. Durch die Änderung dieser Bestimmung an sich wird die Rechtssicherheit nicht berührt.

Wie vorhin erwähnt, gehört zur Rechtssicherheit auch, dass die Normen bekannt sind und durchgesetzt werden. Und hier gerät die Regierung aus meiner Sicht in ihrer Argumentation auf Abwege. Die Regierung macht nämlich nicht geltend, dass die Bestimmungen über Hecken und Grenzpflanzen allgemein bekannt und anerkannt sind und auch durchgesetzt werden, sondern die Regierung macht geltend, dass die tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich des Nachbarrechts den Bestimmungen vielfach nicht entsprechen und die Grundeigentümer die Normen nicht kennen. Konsequent heisst das dann, dass aufgrund von Unkenntnis und Nichtdurchsetzung der Bestimmungen der jetzige Zustand akzeptiert sei. Da stellt sich aber die Frage, welche Art von Rechtssicherheit das dann ist, wenn man sich darauf verlassen muss, dass der Nachbar die Normen nicht kennt oder, wenn das wider Erwarten doch der Fall sein sollte, nicht auf deren Durchsetzung beharrt. Meines Erachtens ist das eine sehr fragile Rechtssicherheit und eigentlich eines Rechtsstaates kaum würdig. Erschwerend kommt dazu, dass der Nachbar den Anspruch auf Beseitigung einer Hecke auch nach 10, 20 oder 30 Jahren noch durchsetzen kann. Die Regierung selbst hat einen Antrag auf Einführung einer Verjährungsfrist erfolgreich bekämpft. Es gibt zwar einen gewissen Ausgleich durch die Rechtsprechung des Kantonsgerichtes, was aber der Regierung offensichtlich nicht bekannt ist. Zurück zur im vorliegenden Fall vertretenen Rechtssicherheit: Aus meiner Sicht handelt es sich hier um eine grosse Rechtsunsicherheit. Die Motion der vorberatenden Kommission verlangt keine umfassende Revision des Nachbarrechts, sondern drei gezielte Anpassungen. Diese Vorschläge beruhen auf praktischen Erfahrungen, nicht zuletzt auch auf solchen des Sprechenden. Leider setzt sich die Regierung mit diesen konkreten Vorschlägen gar nicht auseinander. Mit der Überweisung dieser Motion geben wir der Regierung die Möglichkeit, ihre Haltung zu überdenken und vielleicht sogar mit besseren Vorschlägen aufzuwarten.

Session des Kantonsrates vom 26. bis 28. September 2011
28.9.2011Wortmeldung

(im Namen der SVP-Fraktion): Auf die Vorlage ist einzutreten.

Ich bin seit über 40 Jahren Grundbuchverwalterin. Aufgrund der Erklärungen von Bürgi-St.Gallen kann ich mich kurz fassen. Es ist wichtig und notwendig, bei den betroffenen Artikeln 98 und 112 für die Zukunft Klarheit zu schaffen. Gerade bei Art. 112 kann endlich zur Inanspruchnahme des nachbarlichen Bodens nicht nur bei Bauten, sondern auch für den Rückschnitt von Pflanzen und Lebhägen Klarheit geschaffen werden.

Session des Kantonsrates vom 26. bis 28. September 2011
28.9.2011Wortmeldung

Kommissionspräsident: Auf die Motion ist einzutreten.

Auch ich stelle fest, dass die Regierung offenbar weit entfernt ist von Nachbarschaftsanliegen, aber sie hat ja auch andere Aufgaben. Im Umkehrschluss müssen wir uns einfach vor Augen halten, dass wenn man jenen Nachbarn neben sich hat, der auf das Gesetz pocht, dann ist die Höhe mit 1,2 m geregelt. Also geht es jetzt nicht um die Frage, ob wir eine Regelung treffen wollen oder nicht, sondern um die Feststellung, dass wir eine Regelung haben, welche ziemlich unvernünftig scheint.

Session des Kantonsrates vom 26. bis 28. September 2011
28.9.2011Wortmeldung

(im Namen der CVP-Fraktion): Auf die Vorlage ist einzutreten.

Der Antrag der Regierung zeugt von wenig Kenntnis über die Realität. Seit der Einführung des Zivilgesetzbuches (abgekürzt ZGB) vor ziemlich genau einem Jahrhundert sowie der kantonalen Ausführungsgesetzgebung haben sich die Bebauungs- und Lebensgewohnheiten der Bevölkerung grundlegend geändert. Der Kanton St.Gallen ist weitaus dichter bebaut, die Bevölkerung ist gewachsen, und die Wohnbedürfnisse nehmen flächenmässig stetig zu. Verdichtetes Bauen ist aus mancherlei Gründen - seien es finanzielle Gegebenheiten oder raumplanerische Anliegen - zur Realität geworden. Die Motion nun will lediglich gesetzliche Unterscheidungen abschaffen, welche heute sachlich nicht mehr zu begründen sind. Weshalb dürfen ein Bretterhag oder eine Steinmauer 1,8 m hoch sein, eine Hecke aber nie mehr als 1,2 m? Wer den Bretterhag 9 cm ab Grenze zu dulden hat, dem kann und muss es gleichgültig sein, was sich dahinter an kleineren Pflanzen verbirgt. Wer den Nachbarboden für Reparaturen an Gebäuden betreten darf, der soll ihn auch für das Zurückschneiden von Pflanzen betreten dürfen. Die Reform wird so gesehen keine Rechtsunsicherheit setzen. Das jetzige Recht begreift niemand mehr. Und was niemand begreift, das kann und darf nicht Recht sein. Mit einer Reform schaffen wir vielmehr ein nachvollziehbares, vernünftiges Gesamtsystem, das jedermann erklärbar ist.

Die Sicht der Regierung beziehungsweise der nachgeordneten Verwaltungsbehörden ist ein verklärtes Bild von Nachbarschaft und Privatautonomie. Die Regierung verkennt, dass die Stossrichtung der Reform auf eine Liberalisierung abzielt. Die Vertragsfreiheit der Nachbarn wird aber in keiner Weise tangiert. Die Nachbarn können nach wie vor individuelle Vereinbarungen treffen oder beschränkte, dingliche Rechte im Grundbuch eintragen lassen. Es wird lediglich ein dispositives, nicht ein zwingendes Recht geschaffen. Die Unverjährbarkeit von Beseitigungsansprüchen wird nicht angetastet. Keine bisherigen Pflanzungen würden durch die Reform illegal. Der Staat darf vor der Publizität der Abstandsvorschriften nicht zurückschrecken, denn Geheim- oder gar Diskretgesetze stünden ihm schlecht an. Und zu guter Letzt müssen wir uns auch vor Augen halten, dass gerichtliche Auseinandersetzungen den Staat immer kosten. Der Selbstfinanzierungsgrad der Gerichte erreicht nie 100 Prozent. Will die Regierung wirklich ernsthaft sparen, dann kann sie dies auch an einem Ort tun, wo es niemanden schmerzt. Und dabei kann sie erst noch den Rechtsfrieden fördern, indem sie gewissen Klagen von vorneherein die Grundlage entzieht. Insofern muss ich Locher-St.Gallen und Hoare-St.Gallen widersprechen.

Session des Kantonsrates vom 26. bis 28. September 2011
28.9.2011Wortmeldung

Auf die Vorlage ist nicht einzutreten.

Ich war Mitglied der beratenden Kommission und habe der Motion an der Kommissionsitzung zugestimmt.

In der Zwischenzeit habe ich die Argumentation der Regierung gelesen, die mich sehr überzeugt hat. Deshalb stehe ich heute auf der Seite der Regierung. Ich wohne in einer Gartensiedlung in der Stadt St.Gallen, und in gewachsenen Siedlungen gibt es Gärten, die überall ineinander übergehen. Als Mieterin kann ich beobachten, wie sich die Besitzer verhalten. Sehr selten kommt es zu Streitigkeiten, und wer den Streit sucht, der findet ihn immer. Am meisten bin ich von folgenden Aussagen im Antrag der Regierung überzeugt: «Die geltenden Vorschriften mögen in der Praxis in vielen Fällen nicht eingehalten sein. Solange dies die beteiligten Nachbarn nicht stört, ist dies als Zeichen eines guten nachbarschaftlichen Einvernehmens zu werten und (es) besteht kein Grund für ein korrigierendes Einschreiten des Gesetzgebers.» So gesehen bin auch ich der Ansicht, dass die bestehende Gesetzeslage genügend ist.

Session des Kantonsrates vom 26. bis 28. September 2011
28.9.2011Wortmeldung

Ratspräsident: Die Regierung beantragt Nichteintreten.

Session des Kantonsrates vom 26. bis 28. September 2011