Geschäft: Einführung eines Sozialabzugs für die Eigenbetreuung von Kindern

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer42.11.04
TitelEinführung eines Sozialabzugs für die Eigenbetreuung von Kindern
ArtKR Motion
ThemaFinanzen, Regalien, Unternehmungen, Feuerschutz
FederführungFinanzdepartement
Eröffnung26.4.2011
Abschluss7.6.2011
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
VorstossWortlaut vom 26. April 2011
AntragAntrag der Regierung vom 10. Mai 2011
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium19.1.2023
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
7.6.2011Eintreten37Zustimmung65Ablehnung18
Statements
DatumTypWortlautSession
7.6.2011Wortmeldung

Au die Motion ist einzutreten.

Zu Fässler-St.Gallen: Als Familienvater und mit Blick auf diese finanzpolitische Sache kann ich nur noch den Kopf schütteln, wie hier die Fremdbetreuung glorifiziert wird. Ich fühle mich geradezu verpflichtet, meine fünf Kinder in eine Kinderkrippe zu bringen. Es ist mir fast peinlich zu erzählen, dass ich heute Morgen, bevor ich zur Session gefahren bin, von 5 bis 6 Uhr in meinem Geschäft gearbeitet und dann - man glaubt es nicht - meine Frau unterstützt habe. Heute ist ihr Arbeitstag in der Schule von Muolen. Deshalb habe ich tatsächlich von 6 bis 8 Uhr meine Kinder selbst betreut und sie anschliessend unserer Nachbarin gebracht. Wenn ich jetzt höre, dass Selbstbetreuung keine Kosten und keinen Aufwand generiere, finde ich das völlig daneben. Es ist doch eine gute Sache, wenn Eltern ihre Kinder selber betreuen. Dies darf und soll auch belohnt werden. Es kann doch nicht sein, dass Eltern, die selbst Verantwortung übernehmen, nicht nur nicht honoriert, sondern sogar noch bekämpft werden. Für mich sind die Ausführungen meines Vorredners sehr befremdend.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
7.6.2011Wortmeldung

(im Namen der SVP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten.

Der Antrag der Regierung auf Nichteintreten ist unverständlich und keinesfalls nachvollziehbar. Die Regierung argumentiert in ihrer Begründung mit dem Urteil des Bundesgerichts vom März 2010 gegen eine von der SVP des Kantons Schwyz lancierte Initiative, die einen kantonalen Sozialbezug für die Eigenbetreuung von Kindern einführen wollte. Nun könnte ein spitzfindiger Jurist durchaus darauf hinweisen, dass wir in der Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit haben und dass demzufolge das Urteil des Bundesgerichts rein formell nur den Einzelfall des Kantons Schwyz betrifft. Dieser Meinung ist offensichtlich auch der Kanton Luzern, der in seinem revidierten Steuergesetz zehn Monate nach dem Bundesgerichtsurteil, genauer gesagt im Januar dieses Jahres, einen generellen Kinderbetreuungsabzug von Fr. 2'000.- für die Eigenbetreuung von Kindern eingeführt hat. Die SVP-Fraktion wäre sehr erstaunt, wenn nun in Luzern irgendjemand auf die Idee käme, beim Bundesgericht deswegen Beschwerde einzureichen. Im Übrigen sei daran erinnert, dass es unsere Regierung selbst war, die mit dem Gegenvorschlag zur Gesetzesinitiative «50% mehr Kinderabzüge» einen pauschalen Abzug für die Eigenbetreuung der Kinder beantragt hatte, was jedoch im Kantonsrat keine Mehrheit fand. Der SVP-Fraktion ist es ein Anliegen, für die Familien, die ihre Kinder selber betreuen wollen, ein positives Zeichen zu setzen.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
7.6.2011Wortmeldung

Diese Diskussionen haben wir schon im Jahr 2009 geführt. Die Regierung war damals der Meinung, dass ein Sozialabzug für die Eigenbetreuung von Kindern verfassungskonform sei. Das Bundesgericht hat diesen Sachverhalt in der Zwischenzeit geklärt. Er ist eben nicht verfassungskonform. Es geht mir nun nicht darum, Anreize für die Fremdbetreuung zu schaffen. Es geht mir darum, einen unberechtigten Abzug nicht zuzulassen, denn die Eigenbetreuung von Kindern ändert an den wirtschaftlichen Verhältnissen nichts. Es ist mir klar, dass sie eine Leistung darstellt, die nicht bezahlt wird. Bei der Besteuerung wird nun einerseits nur das tatsächlich Erwirtschaftete erfasst, aber andererseits entstehen durch die Eigenbetreuung auch keine zusätzlichen Kosten. Deshalb ist dieser Eigenbetreuungsabzug nun einmal mit dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht vereinbar. Auch in Zukunft wird es allen Eltern in diesem Kanton freistehen, ihre Kinder selber zu betreuen, und ich freue mich über alle, die dies tatsächlich tun. Aber es gibt keinen vernünftigen Grund, diese aufgrund einer ideologischen Verbrämung wirtschaftlich oder steuerlich zu begünstigen.

Zu Steiner-Kaltbrunn: Ich komme auf einen Satz zurück, den ich in der Session des Kantonsrates vom 21. April 2009 gesagt habe. Ich habe ihn noch im Protokoll nachgelesen. Bei Geschäft 22.09.03 habe ich gesagt: «Sie (Steiner-Kaltbrunn) suggeriert, dass alle, die ausserhalb der SVP-Fraktion Kinder erziehen und diese dann nach der Geburt einer Drittperson zur Betreuung geben, verantwortungslos handeln und damit auch gerade noch für alles Unheil in dieser Welt verantwortlich sind. Es ist m.E. ein bisschen ein einfaches Weltbild, wenn die Familie ein Garant dafür sein soll, dass sich Eltern nicht trennen oder dass nur die Familie eine gute Kinderbetreuung gewährleisten kann und dass alles, was ausserhalb der Familie geschieht, des Teufels ist.» Diese Aussage kann ich auch heute noch unterschreiben.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
7.6.2011Wortmeldung

Auf die Motion ist einzutreten.

Die Familie ist nach wie vor das wichtigste Glied in unserer Gesellschaft. Sie verdient besonderen Schutz und Anerkennung des Staates und der Gesellschaft. Die Eltern tragen die Verantwortung für die Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder. Die Familie sorgt für Liebe, Geborgenheit und Zuwendung. Dadurch lernt das Kind gegenseitige Hilfe und Rücksichtnahme und erwirbt die Fähigkeit, Konflikte auszutragen. Unser Land braucht dringend eigenverantwortliche Familien, die diese wertvolle Aufgabe mit Freude und Liebe erfüllen. Diese Familien verdienen Anerkennung und müssen vom Staat unterstützt, gefördert und steuerlich entlastet werden.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
7.6.2011Wortmeldung

Ratsvizepräsident: Die Regierung beantragt Nichteintreten.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
7.6.2011Wortmeldung

Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Beim Verfolgen der Diskussion bekomme ich den Eindruck, dass Eltern, die ihre Kinder zeitweise fremdbetreuen lassen, diese nicht selber erziehen würden. Das stimmt jedoch nicht, denn auch berufstätige Eltern betreuen und erziehen ihre Kinder zu einem grossen Teil selber. Die laufende Diskussion lässt nun aber den Schluss zu, dass nur Familien mit klassischer Rollenverteilung ihre Kinder selber erziehen und betreuen würden. Die Gesellschaft funktioniert aber etwas anders.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
7.6.2011Wortmeldung

Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Es ist wirklich so, dass es in der Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit gibt. Das Bundesgericht ist explizit zuständig, kantonale Erlasse auf die Übereinstimmung mit der Bundesverfassung zu überprüfen. Und das hat das Bundesgericht im besagten Entscheid gemacht. Das Bundesgericht führt in diesem Entscheid in aller Deutlichkeit aus, dass ein überwiegendes, öffentliches Interesse nachgewiesen muss, wenn vom Leistungsfähigkeitsprinzip abgewichen werden soll. Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist ein verfassungsmässiges Prinzip. Daran haben sich auch die Kantone zu halten. Das Bundesgericht hat für diesen Entscheid auch recherchiert, ob der Eigenbetreuung von Kindern tatsächlich eine Bedeutung zukommt. Es hat recherchiert, ob Kinder, die von den Müttern oder Vätern persönlich betreut werden, besser gedeihen bzw. ob eine Betreuung in einem Kinderhort oder in einer Pflegefamilie Nachteile mit sich bringt. Das Bundesgericht hat dabei insbesondere Prof. Dr. Margrit Stamm zitiert, die in einem Artikel mit dem Titel «Gehört das Kind an Mutters Rockzipfel oder in die Krippe? Gedanken zu einer neuen Helvetia» die bisher bekannten, wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Eigen-und Fremdbetreuung zusammengefasst hat. Sie hat sehr Bedenkenswertes eruiert. Einerseits weist Frau Stamm darauf hin, dass Investitionen in Kinderkrippen volkswirtschaftlich sehr sinnvoll sind und sich jeder in eine Kinderkrippe investierter Franken volkswirtschaftlich vervierfacht. Das ist in der hier geführten Debatte natürlich nicht im Zentrum des Interesses. Des Weiteren weist die Autorin in ihrem Artikel auch darauf hin, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen Selbst- oder Fremdbetreuung gibt, solange die Fremdbetreuung gut ist. Andererseits hält sie aber auch fest, dass in den ersten zwei Lebensjahren eines Kindes tatsächlich Probleme entstehen können, wenn eine Mutter dieses kaum persönlich betreuen kann. In dieser Situation sind Defizite durch Fremdbetreuung nur dann zu eliminieren, wenn in Kindertagesstätten wenigstens eine Betreuungsperson auf drei Kinder fällt, d.h. wenn ein Verhältnis von 1:3 besteht. Dann sind die Risiken nicht so gross. Frau Stamm zieht die Schlussfolgerung, dass es in den ersten zwei Jahren möglich sein muss, dass der Vater oder die Mutter die Kinderbetreuung selber wahrnimmt. Später hat das kaum mehr Bedeutung.

Wenn die Zielsetzung der Motion die Sicherstellung einer möglichst optimalen Entwicklung der Kinder ist, dann kann dies nicht dadurch erreicht werden, jeder Bürgerin und jedem Bürger, welche die Betreuung selber übernehmen, mit der Giesskanne Steuervergünstigungen zu geben. Ein zentraler Aspekt der Eigenbetreuung ist auch die wirtschaftliche Situation einer Familie. Die meisten Mütter mit Kleinkindern unter zwei Jahren - etwa 60 bis 70 Prozent -, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, tun dies aus wirtschaftlichen Gründen. Wenn nun in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein Steuerabzug gewährt wird, bewirkt das überhaupt nichts, denn wer kaum Steuern bezahlt, profitiert auch von diesem Abzug nicht. Profitieren tun hingegen v.a. diejenigen, die über ein hohes Einkommen verfügen, doch gerade bei diesen fällt die Selbstbetreuung ohnehin nicht so sehr ins Gewicht. Wenn wirklich etwas für die Kinder getan werden soll, dann müssten entweder die Kinderzulagen erhöht oder ein Ergänzungsleistungssystem für Kinder in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen eingeführt werden. Das Stichwort dazu lautet: «Working Poor», Kinder als Armutsrisiko. Dies sind tatsächlich bedenkliche Umstände, denen jedoch der vorliegende Vorschlag nicht gerecht werden kann.

Mit Sicherheit wird im Kanton St.Gallen irgendjemand den Weg ans Bundesgericht beschreiten, sollte die hier vorgelegte Bestimmung eingeführt werden. Es ist nicht richtig, Eigenbetreuung zu belohnen, denn diese verursacht selber keine Kosten. Es kann nicht sein, dass jemand, der seine Kinder gezwungenermassen fremdbetreuen lassen muss, wirtschaftlich schlechter gestellt wird, als derjenige, der das nicht tut. Wenn der Abzug nur denjenigen gewährt wird, die selber für ihre Kinder schauen wollen, dann wird eine rechtsungleiche Situation geschaffen. Das Bundesgericht hat diesen Sachverhalt in einem sehr überzeugenden und detaillierten Urteil begründet und es wird mit Sicherheit diese Bestimmung - sollte sie eingeführt werden - aufheben.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011