Geschäft: Amtsberichte der kantonalen Gerichte über das Jahr 2010

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer32.11.02
TitelAmtsberichte der kantonalen Gerichte über das Jahr 2010
ArtKR Verwaltungsgeschäft
ThemaZivilrecht, Strafrecht, Rechtspflege
FederführungSicherheits- und Justizdepartement
Eröffnung6.4.2011
Abschluss6.6.2011
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
BotschaftBericht 2011 der Rechtspflegekommission
BeilageBeratungsschema
BotschaftAmtsberichte der kantonalen Gerichte über das Jahr 2010
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium24.6.2024
Statements
DatumTypWortlautSession
6.6.2011Wortmeldung

(Fortsetzung) Kommissionspräsident: Bei den Haftprüfungsfällen im Ausländerrecht besteht ein Anspruch auf richterliche Haftüberprüfung innert 96 Stunden. Daher läuft dieses Verfahren anders ab, und es findet in der Regel eine mündliche Verhandlung statt. Die dritte Kategorie von Verfahren sind jene der Abteilung V, also vormundschaftliche Massnahmen und fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE). Bei den Fällen der FFE besteht immer zeitliche Dringlichkeit. Weil sich die zu beurteilenden Personen in der Regel in den Kliniken in Wil oder Pfäfers aufhalten, ist dieses Verfahren sowohl für die ärztlichen Fachrichterinnen und Fachrichter als auch für die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Im Jahr 2009 wurden über drei Viertel der Fälle innert eines halben Jahres erledigt. Die Statistik der letzten zehn Jahre zeigt, dass die Pendenzen stets um einen Mittelwert von rund 200 Fällen pendelten. Die Falleingänge haben sich bei der VRK in den letzten drei bis vier Jahren auf hohem Niveau stabilisiert. Insgesamt gewann die Subkommission an ihrer Visitation einen positiven Eindruck einer engagiert und gewissenhaft geführten Instanz der Verwaltungsjustiz. Trotz längerer unfall- und krankheitsbedingter Ausfälle bei den hauptamtlichen Richtern konnte die Pendenzenlast im Rahmen der Vorjahre gehalten werden, was nur dank ausserordentlichem Einsatz der Verantwortlichen möglich war.

Die Subkommission Richterwahlen der Rechtspflegekommission führte auch in diesem Berichtsjahr mit den kantonalen Gerichtspräsidenten eine Aussprache durch. Daneben bereitete sie die Gesamterneuerungswahlen der kantonalen Gerichte für die Amtsdauer 2011/2017 vor. Da der Kantonsrat seit dem 1. Juni 2009 auch die nebenamtlichen Richterinnen oder Richter sowie die Fachrichterinnen oder Fachrichter der Verwaltungsrekurskommission und des Versicherungsgerichts wählt, war die Vorbereitung, insbesondere die Anhörungen von 22 Kandidierenden, mit beträchtlichem Aufwand verbunden. Im Jahr 2010 führte die Subkommission zudem mit 14 Kandidierenden eine Anhörung zur Vorbereitung einzelner Ersatzwahlen durch.

Die Amtsberichte der kantonalen Gerichte und der Bericht der Rechtspflegekommission sind Berichte im Sinn von Art. 106 des Geschäftsreglementes des Kantonsrates. Der Kantonsrat nimmt von den Berichten deshalb von Reglementes wegen Kenntnis. Eines besonderen Antrags der Rechtspflegekommission, von den Berichten Kenntnis zu nehmen, bedarf es deshalb nicht.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
6.6.2011Wortmeldung

Ratspräsident: Die Rechtspflegekommission beantragt Eintreten nicht, obwohl sie das eigentlich müsste, weil es keine Pflicht auf das Eintreten gibt. Der Rat nimmt nur Kenntnis von einem Bericht, wenn er darauf eingetreten ist. Das ist die Konsequenz des Reglementes des Kantonsrates. Aber ich gehe davon aus, dass nach den längeren Ausführungen des Kommissionspräsidenten damit auch Eintreten gemeint ist.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
6.6.2011Wortmeldung

Präsident der Rechtspflegekommission:

Mit dieser Vorlage unterbreitet Ihnen die Rechtspflegekommission den Bericht 2011 über ihre Tätigkeit im Jahr 2010. Die Rechtspflegekommission nimmt bekanntlich für den Kantonsrat die Oberaufsicht über die Justizbehörden wahr. Im Rahmen der ordentlichen Prüfungstätigkeit stellt sie fest, ob die Amtsführung von Gerichten, Strafuntersuchungs- und Strafvollzugsorganen sowie Organen der Geldvollstreckung funktioniert und entsprechend den gesetzlichen Anforderungen ausgeübt wird. Geschäftsgang, Personelles, Organisation und Infrastruktur werden untersucht und bewertet, um allenfalls Empfehlungen für Verbesserungen auszusprechen. Der Grundsatz der Gewaltenteilung setzt der Kontrolle der Rechtspflegekommission aber klare Grenzen: Nicht in ihrem Kompetenzbereich liegt es, Urteile auf ihre Richtigkeit zu prüfen oder Gerichten Weisungen über die Aufhebung oder die Abänderung von Entscheiden zu erteilen oder gar in laufende Verfahren einzugreifen. Dies gilt auch für andere Organe der Justizverwaltung, beispielsweise die Staatsanwaltschaft. Die Rechtspflegekommission führte in den Jahren 2010/2011 im Rahmen ihrer ordentlichen Prüfungstätigkeit Visitationen beim Kreisgericht St.Gallen, beim Untersuchungsamt Gossau sowie bei der Verwaltungsrekurskommission durch. Sie nahm ferner Kenntnis vom Bericht der kantonalen Gerichte über das Jahr 2010. Ich orientiere Sie über einige Schwerpunkte unserer Prüfungstätigkeit. Bei dieser wurde die Rechtspflegekommission wiederum in grösserem Umfang durch den parlamentarischen Kommissionsdienst unterstützt. Dessen Unterstützung ist wertvoll und hat die Kommissionsmitglieder bei ihrer Arbeit wirksam entlastet.

Die Subkommission 1 der Rechtspflegekommission visitierte im ordentlichen Turnus innerhalb der Prüfungstätigkeit und im Hinblick auf den Vollzugsbeginn der Schweizerischen Zivil- und Strafprozessgesetzgebung am 1. Januar 2011 das Kreisgericht St.Gallen. Das Kreisgericht St.Gallen umfasst seit der Zusammenlegung mit dem Kreisgericht Gossau im Rahmen der Justizreform 36 Stellen, die auf 58 Personen aufgeteilt sind. Davon sind 21 festangestellte Richterinnen und Richter. Diese Zahl ist tiefer als vor der Justizreform, als St.Gallen und Gossau noch getrennte Gerichte waren. In den Standortgesprächen des Gerichtspräsidenten mit den Mitarbeitenden über das vergangene Jahr zeigte sich ein relativ einheitliches Bild: Die meisten Richterinnen und Richter empfinden das betriebliche Klima innerhalb des Kreisgerichts als angenehm, aber die Arbeitslast als hoch und den ständigen Zeitdruck als belastend. Das Kreisgericht St.Gallen hat bekanntlich bereits zu einem früheren Zeitpunkt die räumliche Infrastruktur thematisiert. Die meisten Mitarbeitenden des Kreisgerichts empfinden die allgemeine Raumsituation als unbefriedigend. Die Raumknappheit und die Aufteilung auf zwei Standorte – Bohl und Neugasse – erschweren die Abläufe, insbesondere für die Familienrichterinnen und -richter. Als eines Gerichtes unwürdig wird die Situation auch für Parteien und Anwaltschaft bezeichnet, die sich auf irgendwelchen Sitzgelegenheiten in den Korridoren zwischen Aktenbergen oder im öffentlich zugänglichen Treppenhaus besprechen müssen. Es fehlt ein Empfang, und es fehlen separate Warte- und Sitzungsräume. Gerade in familien- und eherechtlichen Verfahren wäre die Wahrung einer gewissen Privatsphäre angemessen. Das Kreisgericht hofft, dass die im vierten Stock des Hauses am Bohl – anstelle von zwei Wohnungen – vorgesehenen sieben oder acht zusätzlichen Arbeitsplätze die Situation etwas entschärfen. Diese Arbeitsplätze decken im Wesentlichen aber erst den Bedarf aufgrund des Zuwachses von Mitarbeitenden aus Gossau. Aus der Sicht des Kantonsgerichts, das im Rahmen der Visitation ebenfalls begrüsst wurde, wurde der räumliche Anpassungsbedarf aufgrund der Justizreform zusammen mit dem Kreisgericht und dem Hochbauamt rechtzeitig geprüft. Im Rahmen der Beratung des Voranschlages 2011 wurde für die Liegenschaft Bohl (Miete und Instandsetzung zusätzlicher Büroräume) ein Betrag von Fr. 100'000.– eingestellt. Seit Anfang des laufenden Jahres gelten die eidgenössischen Zivil- und Strafprozessordnung. Im Bereich des Zivilprozessrechts darf unter der Voraussetzung konstanter Fallzahlen mit einem ungefähr gleich bleibenden Bearbeitungsaufwand gerechnet werden. Massgebliche Veränderungen aufgrund der neuen Strafprozessgesetzgebung ergeben sich zunächst aus dem verstärkten Unmittelbarkeitsprinzip. Die Staatsanwaltschaft legt den Gerichten mit der Anklageschrift nur noch einen Sachverhalt zur Beurteilung vor, ohne Ausführungen zu Beweislage, Beweiswürdigung, Rechtslage und Aktenverweise. Das Gericht muss also zur Vorbereitung der Verhandlung den ganzen Prozessstoff selbst erarbeiten. Zudem wird der Aufwand für die Verfahrensleitung höher. Das Kreisgericht St.Gallen erwartet, dass es von den Neuerungen im Prozessrecht stärker als die übrigen Kreisgerichte betroffen sein wird, weil es rund 40 Prozent aller Straffälle, die im ganzen Kanton vor Gericht kommen, zu bewältigen hat. In der Würdigung durch die Subkommission gelangte diese zum Fazit, dass das Kreisgericht einen gut funktionierenden Eindruck macht. Der Pendenzenstand gibt zu keinen Bemerkungen Anlass. Die Integration des ehemaligen Bezirksgerichts Gossau aufgrund der Justizreform 2009 scheint gut vollzogen worden zu sein. Dadurch ist St.Gallen als grösstes Kreisgericht im Kanton nochmals deutlich gewachsen. Ob mittelfristig auch ein Personalausbau notwendig ist, kann erst beurteilt werden, wenn genügend Erfahrungen mit der eidgenössischen Strafprozessordnung vorliegen, die seit 1. Januar 2011 angewendet wird. Eine erste Beurteilung durch das Kantonsgericht, die unlängst veröffentlicht wurde, geht von einem höheren Personalbedarf aus.

Die Subkommission 2 der Rechtspflegekommission visitierte am 10. Dezember 2010 das Untersuchungsamt Gossau. Dieses wurde im ordentlichen Turnus innerhalb der Prüfungstätigkeit ausgewählt. Die Staatsanwaltschaft besteht aus vier regionalen Untersuchungsämtern und einem für das ganze Kantonsgebiet zuständigen Untersuchungsamt mit besonderen Aufgaben. Das Untersuchungsamt Gossau ist zuständig für rund einen Viertel der St.Galler Bevölkerung in einem Gebiet, das von Bütschwil bis zur Gemeinde Gaiserwald reicht. Das Untersuchungsamt Gossau umfasst 29 Stellen, aufgeteilt auf 36 Personen. Es führte im Jahr 2010 insgesamt 6998 Strafuntersuchungen durch. Umgerechnet auf einen Arbeitstag erlässt das Untersuchungsamt damit rund 30 Abschlussverfügungen, davon 17 Urteile bzw. Strafbescheide. In weniger als einem Prozent der Fälle wird beim Gericht Anklage erhoben. Wie die Gerichte sind auch die Staatsanwaltschaft und damit das Untersuchungsamt Gossau von der neuen eidgenössischen Strafprozessordnung betroffen. In formeller Hinsicht ändern zunächst gewisse Bezeichnungen: Neu werden die Staatsanwältin oder der Staatsanwalt als Leitende Staatsanwältin oder Leitender Staatsanwalt und die Untersuchungsrichter als Staatsanwältin oder Staatsanwalt bezeichnet. Ich habe erwähnt, dass die Gerichte durch die neue Strafprozessordnung eine Mehrbelastung erfahren, unter anderem, weil die Staatsanwaltschaft den Gerichten mit der Anklageschrift nur noch einen Sachverhalt zur Beurteilung vorlegt, ohne Ausführungen zu Beweislage, Beweiswürdigung, Rechtslage und Aktenverweise. Damit stellt sich die Frage, ob nicht bei der Staatsanwaltschaft eine Entlastung eintreten müsste. Aus verschiedenen Gründen ist dies nicht der Fall: Als Folge der neuen Strafprozessordnung verschwindet das bisherige Privatstrafklageverfahren. Neu werden insbesondere alle Ehrverletzungsverfahren im normalen Strafverfahren untersucht. Einschliesslich der bisher von den Untersuchungsämtern verwiesenen Verfahren (Bagatellverfahren, unlauterer Wettbewerb usw.) rechnet die Staatsanwaltschaft mit rund 750 zusätzlichen Verfahren. Daneben werden die Verfahren bei schweren Straftaten noch aufwendiger, weil die notwendige Verteidigung früher zu gewähren ist und alle Parteien Teilnahmerechte an allen Beweiserhebungen haben. Von den 30’000 von der Staatsanwaltschaft geführten Verfahren wird lediglich in rund 400 Fällen Anklage bei Gericht erhoben. Es wirkt sich deshalb nicht in grösserem Mass aus, dass die Anklageschriften wesentlich kürzer und weniger ausführlich sein werden. Hingegen werden die Verfahren mit der unmittelbaren Beweiserhebung durch das Gericht auch für die Staatsanwaltschaft aufwendiger.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
6.6.2011Wortmeldung

(Fortsetzung) Kommissionspräsident: Ich habe Sie vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass die Verfahren mit der unmittelbaren Beweiserhebung durch das Gericht auch für die Staatsanwaltschaft aufwendiger werden. Wenn ich mir hier eine Klammerbemerkung gestatten darf: Auch für die Anwälte werden die Strafverfahren aufwendiger, was Auswirkungen auf die Kosten für die unentgeltliche Rechtspflege haben wird. Insgesamt gewann die Subkommission 2 an ihrer Visitation einen positiven Eindruck eines effizient geführten Amtes, des Untersuchungsamtes Gossau. Der Amtsleiter überzeugte durch seine hohe Fachlichkeit und Führungskompetenz, was mit Sicherheit dazu beiträgt, dass das Untersuchungsamt Gossau überdurchschnittliche Leistungen erbringt. Bezogen auf die Staatsanwaltschaft als Ganzes ist hervorzuheben, dass im Zusammenhang mit der Anwendung der eidgenössischen Strafprozessordnung deren Fachkräfte 80 Schulungstage organisierten und die gesamtschweizerische Erarbeitung von Textvorlagen veranlassten. Diese Initiative und dieser Einsatz sind vorbildlich und führten beim Kanton zu Einsparungen von rund 240'000 Franken.

Die Subkommission 3 der Rechtspflegekommission visitierte am 14. Dezember 2010 die Verwaltungsrekurskommission (VRK) in St.Gallen. Diese wurde im ordentlichen Turnus innerhalb der Prüfungstätigkeit und im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen der kantonalen Gerichte für die Amtsdauer 2011/2017 ausgewählt. Die VRK ist neben dem Versicherungsgericht eines der erstinstanzlichen Gerichte der Verwaltungsjustiz. Die VRK ist zuständig in den Gebieten Abgaberecht, Schätzungen, Landwirtschaft, Verkehr, fürsorgerische Freiheitsentziehung und vormundschaftliche Massnahmen sowie Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Sie umfasst nach Stellenplan 10,7 Einheiten, die auf 59 Personen aufgeteilt sind. Diese hohe Zahl erklärt sich dadurch, dass neben den 3 hauptamtlichen 6 nebenamtliche und insbesondere 39 Fachrichterinnen und Fachrichter bei der VRK tätig sind. Die VRK ist in sechs Abteilungen gegliedert. Das Bundesgericht hat in zwei Entscheiden festgehalten, dass die VRK im Strassenverkehrs- und im Ausländerrecht nicht als oberes Gericht im Sinn des Bundesgerichtsgesetzes entscheiden kann, weil sie Vorinstanz sowohl des kantonalen Verwaltungsgerichts als auch des Bundesgerichts war und der Aufsicht des Verwaltungsgerichts untersteht. Gestützt auf diese Praxis des Bundesgerichts sind daher neu auch Entscheide der Abteilungen IV und VI mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht anfechtbar. Seit dem 1. Januar 2011 sind überdies Urteile der Abteilung V, also im Bereich fürsorgerische Freiheitsentziehung und vormundschaftliche Massnahmen, mit Berufung beim Kantonsgericht anfechtbar. Die VRK ist somit Vorinstanz sowohl des Verwaltungsgerichts wie auch des Kantonsgerichts. Die VRK spricht im Normalfall Recht in Dreierbesetzung. Die nebenamtlichen Richter kommen vornehmlich an Sitzungen und Verhandlungen zum Einsatz, die Fachrichterinnen und Fachrichter auch bei Einvernahmen und Augenscheinen. Die ärztlichen Fachrichterinnen und Fachrichter, die zusammen mit der Gerichtsschreiberin oder dem Gerichtsschreiber die Einvernahme durchführen, wirken bei den Verhandlungen als Sachverständige, also nicht als urteilende Richterinnen oder Richter mit.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011
6.6.2011Wortmeldung

Ratspräsident stellt Kenntnisnahme vom Bericht fest.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2011