Geschäft: Listen von säumigen Zahler und Zahlerinnen von Krankenkassenprämien

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer42.11.02
TitelListen von säumigen Zahler und Zahlerinnen von Krankenkassenprämien
ArtKR Motion
ThemaGesundheitspflege, Sozialversicherung, Sozialhilfe
FederführungGesundheitsdepartement
Eröffnung15.2.2011
Abschluss4.6.2012
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
VorstossWortlaut vom 15. Februar 2011
AntragAntrag der Regierung vom 15. März 2011
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium19.1.2023
1.8.2019Gremium19.1.2023
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
26.4.2011Gutheissung75Zustimmung28Ablehnung17
26.4.2011Eintreten75Zustimmung30Ablehnung15
Statements
DatumTypWortlautSession
26.4.2011Wortmeldung

(im Namen der SP-Fraktion): Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Mit dieser Motion wird ein Thema aufgegriffen, welches gelöst werden muss. Es darf nicht sein, dass zahlungsunwillige Personen die volle Leistung im Gesundheitswesen in Anspruch nehmen dürfen. Wie bei vielen Themen gibt es verschiedene Wege, um das Problem zu lösen. Eine Liste, wie sie im Kanton Thurgau geführt wird, tönt gut – eine Art Wiedereinführung eines Prangers, welcher Missbrauch verhindern soll. Doch wird damit nicht nur ein Problem behoben, sondern es werden diverse neue geschaffen. Die Einführung einer solchen Liste würde tatsächlich einen immensen administrativen Zusatzaufwand auslösen. Dies belegen die Zahlen aus dem Kanton Luzern gemäss dem Antrag der Regierung. Genau solchen administrativen Aufwand gilt es sonst jeweils aus Sicht der FDP- und der SVP-Fraktion, welche diesen Vorstoss eingereicht haben, zu vermeiden. Das Nachführen einer solchen Liste ist sehr anspruchsvoll. Dies muss lückenlos gemacht werden, damit Schuldner, die ihren Verpflichtungen nachgekommen sind, nicht länger auf einer schwarzen Liste stehen. Auf den erwähnten Listen werden nicht nur zahlungsunwillige, sondern auch zahlungsunfähige Personen erfasst, also auch solche, die nicht zahlen können. Bei diesen Personen die Leistungen zu kürzen ist aus unserer Sicht nicht zu verantworten.

Obwohl Hartmann-Rorschach vorher widersprochen hat, wurde auf Bundesebene eine Problemlösung ausgearbeitet, welche voraussichtlich auf 1. Januar 2012 in Kraft treten wird. Damit ist das Problem für die Leistungserbringer abschliessend gelöst. Im Wissen darum haben wir eigentlich erwartet, dass die Motion zurückgezogen würde. Wir stellen uns die Frage: Geht es den Motionären um einen populistischen Vorstoss im Wahljahr, oder geht es darum, eine gute Lösung für ein Problem zu finden? Eine Lösung wohlverstanden, die in Zeiten von Sparprogrammen keine unnötigen zusätzlichen Kosten auslöst. Genau das wird jetzt angestrebt: Zwei Monate nach dem letzten Sparprogramm, wo jeder Franken umgedreht wurde, sollen der Verwaltung jetzt zusätzliche Aufgaben übertragen werden.

Session des Kantonsrates vom 26. und 27. April 2011
26.4.2011Wortmeldung

(im Namen einer Mehrheit der CVP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten.

Mit der Einführung einer Liste der säumigen Zahler und Zahlerinnen von Krankenkassenprämien würden wir ein klares Signal setzen, diese stossende Zahlungsmoral nicht länger hinzunehmen. Diese Liste – sie wird in einigen Kantonen auch schwarze Liste genannt – soll den Leistungserbringern, den Gemeinden und dem Kanton zugänglich sein. Soviel mir bekannt ist, gibt es heute schon eine Liste von Personen mit Steuerausständen. Unnötige administrative Aufwände gibt es, wenn Leistungen bezogen werden und die Krankenversicherungen nicht zahlen. Weiss man vorher Bescheid, kann mit viel weniger Aufwand Versäumtes nachgeholt, mit den politischen Gemeinden geklärt und Prämienausstände bevorschusst werden. Auch wenn ab dem Jahr 2012 Verbesserungen geplant sind, soll dieser Druck auf die säumigen Prämienzahler verstärkt werden. Weiteres wurde von Hartmann-Rorschach bereits erwähnt.

Session des Kantonsrates vom 26. und 27. April 2011
26.4.2011Wortmeldung

Ratsvizepräsident: Die Regierung beantragt Nichteintreten.

Session des Kantonsrates vom 26. und 27. April 2011
26.4.2011Wortmeldung

(im Namen der FDP-Fraktion): Auf die Motion ist einzutreten.

Die Begründung der Regierung auf Nichteintreten überzeugt uns nicht. Ich gestatte mir, einige Punkte dieser Begründung etwas eingehender zu betrachten:

  1. Die Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) mache es anscheinend gar nicht mehr notwendig, eine schwarze Liste zu führen. Das stimmt nicht. Das würde höchstens dann stimmen, wenn der Arzt im System Tiers payant (TP) abrechnen würde, die Rechnung also direkt an den Versicherer schickt. Im Kanton St.Gallen haben wir aber das System Tiers garant (TG) als Grundsatz, indem der Arzt oder der Leistungserbringer generell die Rechnung an den Patienten oder an die Patientin schickt. Für diesen Fall regelt diese neue KVG-Bestimmung die Situation nicht anders als bisher. Diese Regelung ist übrigens aus meiner Sicht richtig. Es macht Sinn, wenn der Patient, die Patientin auf der Rechnung sieht, was die Behandlung gekostet hat. Das gibt die notwendige Transparenz bei den Leistungen im Gesundheitswesen und auch die Möglichkeit, kostendämpfend zu wirken.

  2. Das Führen einer schwarzen Liste koste jährlich rund 300'000 Franken. Hier fehlt mir auf der Gegenseite, was man dafür kriegt, wenn man eine solche Liste hat. Offensichtlich hat die Regierung diesbezüglich keine Zahlen. Nehmen wir das, was die eidgenössischen Gesundheitsbehörden sagen: 80 Mio. Franken Ausstände. Brechen wir das aufgrund der Bevölkerungszahl herunter, dann kann man davon ausgehen, dass wir im Kanton St.Gallen Ausstände von wenigstens 4 Mio. Franken haben. Wenn uns 300'000 Franken nicht wert sind, 4 Mio. Franken Ausstände hereinzuholen, dann verstehe ich das nicht. Ich glaube, dieser Aufwand lohnt sich.

  3. Es würden auf einer schwarzer Liste nicht nur zahlungsunwillige, sondern auch zahlungsunfähige Personen erfasst. Die Regierung impliziert damit eine Diskriminierung. Die Erfahrungen aus dem Kanton Thurgau, der diese Liste schon länger hat, sprechen hier ein anderes Bild. Die Liste ist ein feiner Indikator für Personen, welche finanziell in Bedrängnis geraten. Wenn die Behörden diese Liste richtig anwenden, dann können sie frühzeitig helfend eingreifen.

  4. Die Liste wirkt präventiv – das hat man im Kanton Thurgau sehr genau gesehen – für alle Leistungserbringer, namentlich die Spitex, Physiotherapeuten, Hausärzte, Apotheken und Spitäler. Die Ausstände bei den Spitälern bezahlen wir aus unseren Steuergeldern.

  5. Eine adäquate Gesundheitsversorgung sei mit einer schwarzen Liste nicht mehr sichergestellt. Diese Aussage ist ganz klar falsch: Im Notfall wird jedermann versorgt. Was wir nicht mehr tun, ist vielleicht für jemanden mit Zahlungsausständen ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis ausstellen. Das ist keine Notfallbehandlung, aber genau hier wirkt das auch wieder präventiv, wenn wir eine schwarze Liste haben.

  6. Eine Betreibung übe bereits genügend Druck auf zahlungsunwillige Personen aus. Das stimmt nachweislich nicht, denn das Mittel der Betreibung stand uns schon immer offen. Wenn dieses etwas bewirken würde, hätten wir nicht 80 Mio. Franken Ausstände.

Also braucht es eine zusätzliche Massnahme. Der Kanton Thurgau ist mit dieser schwarzen Liste gut gefahren, auch der Kanton Luzern hat bereits entschieden, eine solche einzuführen. Aufgrund dieser Darlegungen bin ich überzeugt, dass es auch für unseren Kanton eine sinnvolle Einrichtung ist.

Session des Kantonsrates vom 26. und 27. April 2011
26.4.2011Wortmeldung

Regierungsrätin: Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Hand aufs Herz: Würden Sie Badesalz mit ans Rote Meer nehmen? Wohl kaum. Würden Sie Roger Federer eine Tennisstunde schenken, damit er sich beim Aufschlag noch verbessert? Wohl kaum. Würden Sie Lottoscheine für rund 10'000 Franken kaufen, im Wissen darum, dass Sie vielleicht 50 oder 100 Franken gewinnen könnten? Wohl kaum. Würden Sie ein Bier mit ins Hofbräuhaus nehmen? Wohl auch kaum. Weil Sie nämlich genau wissen, dass der Aufwand, den Sie betreiben, um all diese Situationen zu verändern, sich tatsächlich nicht lohnen würde. Weil Sie mit Ihrem Sachverstand auch wissen, dass Sie diese Situation damit auch nicht verändern würden. Anders gesagt: Ihnen wäre klar, Wasser in den Rhein zu tragen bringt nur Aufwand und keinen Nutzen. Das ist hier vergleichbar. Sie sind ein Parlament, das besorgt ist um den effizienten und richtigen Einsatz der finanziellen Mittel – noch in der letzten Session haben Sie sehr genau darauf hingewiesen. Deswegen bittet Sie die Regierung, dem Trugschluss dieser Aussagen, man würde hier eine Verbesserung herbeiführen können, nicht zu verfallen.

Mit dem Inkrafttreten des revidierten KVG per 1. Januar 2012 wird sich die Situation ändern, und zwar nicht wie von Ihnen dargestellt so, dass die säumigen Zahler nicht zur Kasse gebeten werden sollen. Da bin ich mit Ihnen einig: Das darf nicht passieren. Der Kanton St.Gallen hat schon immer eine grosszügige Haltung bewiesen und Ausstände von Versicherten den Leistungserbringern erstattet. Gut informierte Ärzte wie Hartmann-Rorschach wissen, dass wir in der Schweiz ein sehr gutes System haben. Die Swica-Krankenversicherung hat sogar deswegen verzichtet, die Leistungssistierung umzusetzen, weil sie gewusst hat, dass diese Kosten zurückerstattet werden. Daher haben wir im Kanton St.Gallen eine andere Situation als im Kanton Thurgau. Die Meinungen, ob die schwarze Liste etwas bringt oder nicht, gehen auseinander. Man kann sich die verschiedenen Ansichten anhören, und jeder nimmt das heraus, was ihm für die Argumentation hilft. Fakt ist: Gemäss der Dachorganisation der Schweizer Krankenversicherer Santésuisse werden im Verlauf des Betreibungsverfahrens rund 75 Prozent der Ausstände bezahlt, 25 Prozent führen zu einem Verlustschein. Selbst wenn die Betreibung erfolglos verläuft, bleibt der Druck auf die säumigen Zahler aufrecht, da die Verlustscheine bewirtschaftet werden. Neu sind die Krankenversicherer an einer effektiven Verlustbewirtschaftung interessiert, da ihnen der Kanton St.Gallen lediglich 85 Prozent der Prämienausstände der obligatorischen Krankenversicherung zurückerstattet. Zudem dürfen die Krankenversicherer davon 50 Prozent behalten, das gibt eine andere Motivation. Eine schwarze Liste bringt im Betreibungsverfahren kein besseres Ergebnis bei der Geltendmachung von Prämienausständen, da die vom Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vorgegebene Rangordnung der Gläubiger eingehalten werden muss. Diese Tatsachen sollten Sie in die Entscheidfindung mit einfliessen lassen.

Sollten Sie sich trotzdem für eine solche schwarze Liste entscheiden, denken Sie daran, dass es zusätzliche Stellen braucht. Wir könnten diesen grossen administrativen Aufwand mit unserem Personal nicht umsetzen, dazu müssten Sie finanzielle Mittel sprechen. Vor dem Hintergrund einer Verzichtsplanung liessen sich zusätzliche Kosten in der Höhe einer halben Million Franken für eine Massnahme, welche wir nicht einmal als wünschbar erachten, kaum rechtfertigen. Wir danken Ihnen deshalb, wenn Sie sich an die Fakten halten und auf die kommende Umsetzung der KVG-Revision vertrauen.

Session des Kantonsrates vom 26. und 27. April 2011