Geschäft: VII. Nachtrag zum Polizeigesetz [Gegenvorschlag zur Einheitsinitiative «Sicherheit durch Transparenz (Nennung der Staatsangehörigkeit von Tätern und Tatverdächtigen)»] (Titel der Botschaft: Information der Öffentlichkeit über Straftaten)

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer22.10.09
TitelVII. Nachtrag zum Polizeigesetz [Gegenvorschlag zur Einheitsinitiative «Sicherheit durch Transparenz (Nennung der Staatsangehörigkeit von Tätern und Tatverdächtigen)»] (Titel der Botschaft: Information der Öffentlichkeit über Straftaten)
ArtKR Gesetzgebungsgeschäft
ThemaLandesverteidigung, Sicherheit und Ordnung
FederführungSicherheits- und Justizdepartement
Eröffnung5.7.2010
Abschluss29.11.2010
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
MitgliederlisteKommissionsbestellung vom 20. September 2010
MitgliederlisteAktuelle Mitgliederliste
BotschaftBotschaft und Entwurf der Regierung vom 29. Juni 2010
Statements
DatumTypWortlautSession
29.11.2010Wortmeldung

(im Namen der SVP-Fraktion): Der Initiative ist zuzustimmen.

Die Information der Öffentlichkeit ist ein wichtiger Bestandteil der Polizeiarbeit. Die Herkunft der Täterschaft muss ein integraler Bestandteil dieser Information sein. Dies insbesondere aus zwei Gründen:

  1. Die Bevölkerung hat ein Recht zu wissen, woher ein Täter oder ein Tatverdächtiger stammt. Diese Bekanntmachung ist auch im Sinne der Transparenz und des Öffentlichkeitsprinzips.

  2. Wenn die Öffentlichkeit zur Mitwirkung bei der Fahndung nach Tatverdächtigen aufgefordert wird, dann kann die Herkunft von Tatverdächtigen - auch bei eingebürgerten Personen - eine entscheidende Rolle spielen. Sprachkenntnisse oder Aussehen sind wichtige Faktoren, um Verbrechen aufzuklären.

Präzise Angaben sind bei einer Fahndung unerlässlich. Z.B. ist es wesentlich dienlicher, wenn die Polizei kommuniziert, dass «ein Schweizer mit Berner Dialekt...» oder «eine Person, die gebrochen Deutsch spricht...» gesucht wird, als wenn sie nur allgemein sagt, «gesucht wird eine Person...». Die Herkunft ist ein wesentliches Element. Auch bei eingebürgerten Personen ist eine Differenzierung wichtig. Es ist ein grosser Unterschied, ob kommuniziert wird: «Wir fahnden nach einem Schweizer» oder ob kommuniziert wird: «Wir fahnden nach einem Schweizer asiatischer Herkunft». Der mögliche Zeuge denkt dabei nicht an das Gleiche, was zu sehr verwirrenden und unklaren Ergebnissen führen kann. Für solche Fälle soll die vorgeschlagene Regelung Klarheit schaffen und helfen, möglichst viele Verbrechen aufzudecken. Die Sicherheit und die Fahndungserfolge würden erhöht. In der Praxis gibt es leider immer wieder Probleme, weil klare gesetzliche Grundlagen fehlen. Die Volksinitiative würde Klarheit schaffen. Das Volk hat ein Recht darauf zu wissen, woher die Leute kommen, welche die Sicherheit beeinträchtigen. Es gibt nichts zu beschönigen oder zu vertuschen. Staatliche Zensur muss verhindert werden. Zudem kommt es zu Spekulationen und Diskriminierungen, wenn in Verlautbarungen Angaben über die Herkunft der Täter fehlen. Grundsätzlich sind die Interessen der Opfer und der Öffentlichkeit höher zu gewichten als diejenigen der Täter. Mit der Volksinitiative «Sicherheit durch Transparenz» werden die Polizei und die Justizbehörden verpflichtet, in ihren Meldungen die Staatsangehörigkeit von Tätern und Tatverdächtigen zu nennen. Heute herrscht Willkür, denn manchmal werden Angaben zu den Tätern gemacht und manchmal nicht. Damit soll Schluss sein. Straftäter dürfen nicht länger geschützt werden. Die Behörden brauchen klare Vorgaben.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
29.11.2010Wortmeldung

(im Namen der SP-Fraktion): legt seine Interessen als Kantonspolizist offen.

Die SP-Fraktion lehnt die Einheitsinitiative «Sicherheit durch Transparenz» klar ab, und eine Mehrheit der Fraktion unterstützt den Gegenvorschlag der Regierung. Einmal mehr macht die SVP-Fraktion, dieses Mal die Junge SVP, mit einer Initiative Stimmung gegen Ausländerinnen und Ausländer. Neu bei dieser Initiative ist, dass auch eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer mit einbezogen werden. So werden zwei Kategorien von Schweizerinnen und Schweizern geschaffen. Auch wenn das St.Galler Stimmvolk am vergangenen Sonntag die Ausschaffungsinitiative der SVP deutlich angenommen hat, so ist diese kantonale Initiative unnötig. Bei einer Annahme würde sich praktisch nichts ändern. Schon heute nennt die Medienstelle der Kantonspolizei bei schweren Verbrechen und schweren Verkehrsunfällen die Staatsangehörigkeit der Beteiligten. Sie hält sich dabei an gesamtschweizerisch geltende Richtlinien. Dass diese Meldungen nicht immer im Originaltext von den Medien übernommen werden, ist eine Tatsache. Daran kann aber auch die Initiative nichts ändern. In den Meldungen der Polizei soll nun auch bei Tatverdächtigen die Staatsangehörigkeit erwähnt werden. Sofern diese überhaupt bekannt ist, kann es in einem laufenden Verfahren taktisch unklug sein, zu viel über den Tatverdächtigen bekannt zu geben. In gut einem Monat tritt die neue schweizerische Strafprozessordnung in Kraft. Nach Art. 74 Abs. 1 der neuen Strafprozessordnung obliegt die Information der Öffentlichkeit über hängige Verfahren der Staatsanwaltschaft und den Gerichten sowie, mit deren Einverständnis, der Polizei. Von sich aus kann die Polizei - gemäss dem folgenden Absatz - die Öffentlichkeit nur über Unfälle und Ereignisse ausserhalb eines eigentlichen Strafverfahrens orientieren. Mit diesen neuen Vorschriften werden der Polizei bei eigenen Medienmitteilungen recht enge Grenzen gesetzt. Der Gegenvorschlag der Regierung trägt den neuen Bestimmungen Rechnung. Er übernimmt auch die bisherigen Richtlinien der Polizeimedienstellen und schafft im Polizeigesetz einen neuen Artikel über die Information der Öffentlichkeit. Dies erscheint der SP-Fraktion mehrheitlich sinnvoll.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
29.11.2010Wortmeldung

(im Namen der GRÜ-Fraktion): Die Einheitsinitiative ist abzulehnen.

Die Einheitsinitiative berücksichtigt das künftige Bundesrecht nicht. Der Anspruch der Öffentlichkeit auf Information ist in der Strafprozessordnung bereits geregelt. Die heutige Informationspraxis ist transparent. Seit Anfang 2010 ist zudem die Kriminalstatistik öffentlich zugänglich, was erlaubt, die gewünschten Informationen abzurufen. Die Unschuldsvermutung ist hochzuhalten. Es gilt, dem Denunziantentum vorzubeugen. Die GRÜ-Fraktion findet sich im Gegenvorschlag, erachtet diesen aber nicht als grossen Gewinn.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
29.11.2010Wortmeldung

Ratspräsident, stellt Eintreten auf die Vorlage fest.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
29.11.2010Wortmeldung

Ratspräsident: Das Präsidium sieht eine gemeinsame Eintretensdiskussion zu den Vorlagen vor.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
29.11.2010Wortmeldung

Präsident der vorberatenden Kommission: Die vorberatende Kommission hat am 21. Oktober 2010 über die Einheitsinitiative «Sicherheit durch Transparenz» beraten. Anwesend waren die Vorsteherin des Sicherheits- und Justizdepartements, der Generalsekretär Hans-Rudolf Arta, der Leiter Rechtsdienst Max Schlanser, vom Rechtsdienst Brigitte Grob sowie der Präsident des Initiativkomitees Jeffrey Bleiker. Herr Bleiker hatte die Möglichkeit, die Initiative vorzustellen und Fragen zu beantworten. Diese Gelegenheit wurde rege genutzt. Regierungsrätin Keller-Sutter hielt das Eintretensreferat. Sie begründete die ablehnende Haltung der Regierung und die Vorteile des Gegenvorschlags. Die Eintretensdiskussion war kurz und kontrovers. Da bei einer Initiative die Pflicht besteht, auf das Geschäft einzutreten, folgte sehr schnell die Spezialdiskussion. Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder war der Meinung, dass die Einheitsinitiative abzulehnen und der Gegenvorschlag der Regierung gutzuheissen sei.

  1. Die Kommission beantragt dem Kantonsrat mit 10:5 Stimmen, die Einheitsinitiative «Sicherheit durch Transparenz (Nennung der Staatsangehörigkeit von Tätern und Tatverdächtigen)» abzulehnen.

  2. Die Kommission beschliesst mit 10:5 Stimmen, auf den Gegenvorschlag VII. Nachtrag zum Polizeigesetz einzutreten.

  3. Die Kommission beantragt dem Kantonsrat mit 10:5 Stimmen, auf den VII. Nachtrag zum Polizeigesetz als Gegenvorschlag zur Einheitsinitiative einzutreten und diesen in der vorliegenden Fassung zu genehmigen.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
29.11.2010Wortmeldung

(im Namen der FDP-Fraktion): Der Einheitsinitiative ist zuzustimmen.

Für Boulevardblätter und Stammtischdiskussionen wäre es durchaus interessant, wenn die Nationalität, die Herkunft oder sogar die Herkunftsregion in den Berichten über «Unfälle und Verbrechen» genannt würden. Nun aber hat das Initiativkomitee die verfassungsrechtlichen Bedenken der Regierung offenbar geteilt, den Wortlaut abgeschwächt und spricht nur noch von «Staatsangehörigkeit». Das nimmt der Initiative weitgehend die von den Initianten angestrebte Provokation. Sodann bezieht sich die Initiative nur auf Meldungen der Polizei und der Justizbehörden des Kantons St.Gallen. Dass die Medien diese Informationen dann tatsächlich auch publizieren, kann damit jedoch nicht sichergestellt werden. Die Publikation hängt nicht vom St.Galler Gesetz ab, sondern vielmehr von den ethischen Richtlinien, die z.B. der Schweizer Presserat vorgibt, und dies unabhängig davon, ob wir dessen politische Einstellung teilen oder nicht.

Die FDP-Fraktion teilt weitgehend die Auffassung der Regierung:

  • dass keine Ausgrenzung, Herabwürdigung oder Stigmatisierung von Menschen allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit erfolgen soll;

  • dass die Unschuldsvermutung hochzuhalten ist und Vorverurteilungen aufgrund von Medienberichten zu vermeiden sind;

  • dass die Kriminalstatistik des Bundes durch die zuständigen Stellen in den letzten Jahren angemessen mit Hinweisen auf Staatsangehörigkeiten und den Aufenthaltsstatus von Tätergruppen kommentiert werden und die Kriminalstatistik öffentlich zugänglich ist;

  • dass die Kantonspolizei St.Gallen recht häufig in schweren Kriminalfällen Angaben zur Staatsangehörigkeit von Tätern und Tatverdächtigen macht.

Schliesslich ist zu bedenken, dass die Einheitsinitiative rechtlich nur einen Gesetzgebungsauftrag an den Kanton enthält, der wiederum von Regierung und Kantonsrat umgesetzt werden muss. Und diese Umsetzung wird mehr oder weniger auf den Gegenvorschlag «VII. Nachtrag zum Polizeigesetz» der Regierung hinauslaufen. Die FDP-Fraktion ist deshalb zum Schluss gekommen, dass eine Zustimmung zur Initiative auf den Gegenvorschlag der Regierung hinausläuft. Sie erachtet eine Volksabstimmung als Verschleuderung von Steuergeldern und wird der Initiative zustimmen.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010
29.11.2010Wortmeldung

(im Namen der CVP-Fraktion): Der Einheitsinitiative ist zuzustimmen.

Der Kanton St.Gallen beweist schon mit der heutigen Informationspraxis eine grosse Sensibilität und informiert umfassend, auch über die Staatsangehörigkeit der fehlbaren Personen. Die CVP-Fraktion befürwortet dieses Vorgehen ausdrücklich. Da mit der neuen Strafprozessordnung, die am 1. Januar 2011 in Kraft tritt, die Rahmenbedingungen in Bezug auf die Orientierung der Öffentlichkeit gesetzt sind und dem Kanton nur wenig Handlungsspielraum bleibt, wird auch ein Grossteil der CVP-Fraktion der Initiative zustimmen. Die Regierung soll die Umsetzung der Initiative, soweit bundesrechtlich überhaupt möglich, planen und dem Kantonsrat vorlegen. Die CVP-Fraktion ist für Transparenz, soweit sie rechtlich zulässig und praktikabel ist.

Session des Kantonsrates vom 29. November bis 1. Dezember 2010