Geschäft: Verfassungsinitiative "Freie Schulwahl auf der Oberstufe"

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer29.10.01
TitelVerfassungsinitiative "Freie Schulwahl auf der Oberstufe"
ArtKR Verwaltungsgeschäft
ThemaGrundlagen und Organisation
FederführungBildungsdepartement
Eröffnung8.4.2010
Abschluss13.2.2011
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
ProtokollauszugFestlegung des Vollzugsbeginns vom 2. März 2011
AntragAntrag der GRÜ-Fraktion zu Ziff. 2 vom 21. September 2010
MitgliederlisteKommissionsbestellung vom 7. Juni 2010
BotschaftBericht und Entwurf der Regierung vom 13. April 2010
BotschaftAbstimmungsbroschüre zur Abstimmung vom 13. Februar 2011
MitgliederlisteAktuelle Mitgliederliste
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium19.1.2023
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
21.9.2010Gesamtabstimmung94Zustimmung10Ablehnung16
21.9.2010Antrag der GRÜ-Fraktion zu Ziff. 25Zustimmung100Ablehnung15
Statements
DatumTypWortlautSession
21.9.2010Wortmeldung

Regierungsrat: Der Antrag der GRÜ-Fraktion ist abzulehnen.

Ich möchte hier nochmals an diese Voten anschliessen. Es besteht jetzt schon die Möglichkeit, dass man die Kinder in eine Privatschule gibt. Mit diesem Vorschlag - es ist absolut richtig gesagt worden - geben Sie einfach diesen Eltern einen Betrag, die jetzt sich das schon finanzieren können, und das zulasten der Öffentlichkeit. Wir bezahlen das. Es besteht hier absolut kein Handlungsbedarf. Insgesamt gelten dann dieselben Argumente, wie wir sie vorher schon diskutiert haben. Die Kosten werden immens sein. Was das verursacht, wenn man hier dieses Instrument neu einführt. Was zusätzlich gesagt werden muss: Es verursacht natürlich auch administrative Aufwendungen. Wer erledigt das alles wieder? Von dem her spricht alles dagegen. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass man hier diese Entwicklung unterstützen würde. Es wurde noch erwähnt. Andere Kantone haben das zum Teil gemacht. Wir sind noch nicht gross auf andere Kantone zu sprechen gekommen. Das ist zum Teil richtig. Andere Kantone haben eben auch andere Situationen, was die Qualität der Volksschule betrifft. Dort besteht je nachdem Handlungsbedarf. Bei uns ist das eben nicht der Fall, und daher ist irgendwie eine Entwicklung in diese Richtung auch nicht angezeigt.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der SP-Fraktion): Die Initiative ist abzulehnen.

Wir haben Beispiele gehört von Nietlispach Jaeger-St.Gallen und Blum-Mörschwil, die zeigen, wie doch in einem gewissen Stammtischton oder auch mit besser begründeten Überlegungen eine Demontage der Volksschule stattfindet. Ich bitte Sie, wirklich Abstand von Einzelfällen zu nehmen, die in Ihrem Problem möglicherweise tatsächlich begründet waren und wo es sinnvoll war, eine andere Lösung zu finden. Blum-Mörschwil hat erzählt, dass sich heute Lehrmeister beklagen, dass die Lehrlinge schlechter ausgebildet sind, sie nicht pünktlich sind, vielleicht sogar frech sind. Das bestreitet niemand, dass Jugendliche auf der Oberstufe heute anders sind, als sie früher waren. Es ist tatsächlich so, dass wir viele Probleme mit Jugendlichen haben, dass es nicht immer gelingt, die richtigen Leute in die richtige Lehre zu bringen, dass es auch nicht immer gelingt, die Leute dazu zu bewegen, sich gut um eine Lehre zu bewerben. Nur können Sie sich fragen, ob das System umgekrempelt werden muss und Privatschulen dieses Problem lösen würden. Ich bezweifle es. Das, was Sie angesprochen haben, tangiert im weitesten Masse die Elternrolle, die doch diesen Erziehungsauftrag wahrzunehmen hätten. Grundsätzlich verlangt die Schule Pünktlichkeit. Grundsätzlich geht die Schule davon aus, dass Leute Disziplin halten. Aber leider sind wir damit konfrontiert, dass viele Jungendliche, die in die Schule kommen, nicht mehr darüber verfügen, wie man sich allgemein zu verhalten hat. Das beeinträchtigt auch sehr oft die Leistung. Ich bitte Sie darum, dort anzusetzen, wo es möglich ist, einerseits, dass Sie alles tun, was die Elternarbeit unterstützt, und andererseits, dass Sie sich auch dafür einsetzen, dass an allen Schulen flächendeckend im Kanton Schulsozialarbeit eingeführt wird, die eben an diesen Defiziten arbeiten kann und dass nicht die Lehrpersonen damit auch noch belastet sind. Sie haben vorhin etwas sehr salopp gemeint, dass die schlechten Lehrpersonen jetzt aufjaulen würden. Vielleicht haben Sie das Gefühl, ich gehöre in diese Kategorie. Ich finde es eigentlich sehr einfach gedacht, dann das Problem den Lehrpersonen zuzuschieben.

Die Qualität der Volksschule kann man hinterfragen. Es gibt viele Probleme, die zu lösen sind. Das ist so. Aber bitte hungern Sie doch die Schulen nicht aus. Stellen Sie genügend Geld zur Verfügung, dass wir diese Schulen entwickeln können. Es ist schon etwas einfach zu sagen, wir geben den Eltern jetzt das Geld in die Hand, dann können sie die schwierigen Fälle herausnehmen und irgendwo beschulen. Ich bezweifle, dass das gut für die Kinder ist, und ich bezweifle, dass es unser System Volksschule in irgendeiner Weise fördern könnte.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der GRÜ-Fraktion): Der Initiative ist zuzustimmen.

Eine OECD-Studie vom 21. Dezember 2007 kommt zum Schluss, dass eine freie Schulwahl, insbesondere bei benachteiligten Schülern, einen grösseren Schulerfolg zur Folge hat. Profitieren würden also vor allem Schüler der unteren Einkommensschichten. Dass das ein Problem ist, ist auch im Pisa-Bericht 2003 aufgeführt, wo Christian Brühwiler dann schreibt: «Unerfreulich ist der enge Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Leistung.»

Die Durchmischung einer Schule hängt wesentlich von der Wohnbevölkerung ab und ist ein städtebauliches Problem. Eltern wählen auch bei freier Schulwahl die nächstgelegene Schule. In Holland, wo die freie Schulwahl ist, ist die Durchmischung in den weiterführenden Schulen weit besser als in der Schweiz. In Holland sind 20 Prozent der Gymnasiasten aus den unteren Einkommenshälften, in der Schweiz sind es 7 Prozent.

Wenn man der Regierung glauben würde, müssten dringend Veränderungen passieren. Die Schule bei uns ist nicht so schlecht, dass 15 Prozent der Schüler die Schule wechseln würden. Es wird keinen Schultourismus geben, die Nähe des Schulhauses ist nach wie vor der entscheidende Faktor. Kinder gehen da zur Schule, wo ihre Freunde zur Schule gehen. Die Eltern werden das sicher so wählen.

Die Schule wird pro Schüler gleich viel kosten wie heute. Heute wird die Privatschule aber von nichtstaatlichen Organisationen und/oder von den Eltern bezahlt. Effektive Mehrkosten resultieren also nur aus den zurzeit in Privatschulen beschulten Kindern, plus einem kleinen Anteil an Schwankungskosten. Von Einsparungen ist in der Vorlage aber nichts zu lesen. Es wird weniger Sonderabklärungen bei Problemen mit Lehrkräften geben, weniger Platzierungen in Heimen und weniger soziale Folgekosten durch unzureichende Bildung.

Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, und nicht der Staat alleine. Die Regierung ist der Auffassung, dass die Eltern ihr persönliches Wohl in den Vordergrund stellen könnten und nicht das der Kinder. Das finde ich bedenklich.

Wenn wir die Initiative annehmen oder wenn sie angenommen wurde, haben wir einen grösseren Schulerfolg, keinen Schultourismus, und die Schule wird gleich viel kosten wie heute je Schüler. Die freie Schulwahl auf der Oberstufe trägt der Verschiedenheit der Kinder mehr Rechnung, gibt den Eltern mehr Entscheidungskompetenz und steigert die Schulqualität. Überall dort, wo freie Schulwahl ist, will niemand mehr zurück!

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Dem Antrag der GRÜ-Fraktion ist zuzustimmen.

Ich bin auch nicht für eine freie Schulwahl, aber ich unterstütze einen Gegenvorschlag, so wie er hier von der GRÜ-Fraktion formuliert ist. Wenn man die Privatschulen nämlich nicht als Konkurrenz anschaut, sondern als Chance auch für unseren Kanton, dann macht ein Gegenvorschlag absolut Sinn. Wir haben in unserer Schule wirklich manchmal Kinder, die einfach nicht zurechtkommen und aus irgendwelchen Gründen die Regelschule nicht durchlaufen können. Diese wenigen Kinder brauchen dann eine Bildungsmöglichkeit, ein pädagogisches Konzept, das ihnen entspricht, und das finden sie dann genau in unseren Privatschulen. Für manche Lehrkraft in unserem Schulsystem kann es auch eine Entlastung sein, wenn ein solches Kind nicht mit allen erdenklichen Mitteln im Klassenzug weitergeführt werden muss. Privatschulen haben aber meistens sehr mit der Finanzierung zu kämpfen, und einige kämpfen sogar ums Überleben. Das wäre dann für unseren Kanton auch wieder ein Verlust, wenn wir gar keine Möglichkeiten hätten in diese Richtung. Deshalb wäre es eigentlich mehr als fair, wenn wir für diese Privatschulen einen kleinen Beitrag mitgeben würden diesen Kindern, die diesen Unterricht brauchen. Diesen Beitrag spart man in der Volksschule wieder ein mit Materialeinsparungen und Lagerkosten, die nicht gebraucht werden. Im Übrigen ist das in anderen Kantonen auch schon so umgesetzt worden. Das Volk des Kantons Baselland hatte letztes Jahr einen solchen Gegenvorschlag angenommen.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Der Antrag der GRÜ-Fraktion ist abzulehnen.

  1. Der Vorschlag ist nicht tauglich für die Probleme, die Lehmann-Rorschacherberg nennt. Es ist eben nicht so, dass die Privatschulen diese Lücken füllen. Es gibt Einzelfälle, wo das eine gute Lösung ist. Aber wenn Sie es nach dem Giesskannenprinzip machen, dann haben Sie nachher grosse Probleme, weil es verschiedenste private Einrichtungen gibt. Das sogenannte gute Erziehungskonzept wird dann auf Montessori usw. verwiesen. Das können wir in der öffentlichen Schule auch bieten.

  2. Sozialpolitisch haben diese Fr. 3'000.- keinerlei Wirkung, weil die Kosten des Schulgeldes sehr viel höher sind. Sie subventionieren nur die reichen Personen.

  3. Noger-St.Gallen hat schon darauf hingewiesen, dass wir angesichts der Finanzknappheit nicht unbedingt die ohnehin schon gut verdienenden Personen subventionieren müssen.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der FDP-Fraktion): Die Initiative ist abzulehnen.

Bildung und Bildungsthemen gehören traditionell und seit der Gründung des Bundesstaates zum Kern des liberalen Gedankenguts. Darum ist auch der ganzen FDP-Fraktion die Sicherstellung einer ausgezeichneten, ausgewogenen und den kulturellen Traditionen verpflichteten Bildung ein wichtiges Anliegen. Ein weiteres Anliegen traditionell der FDP-Fraktion ist natürlich auch, dass die Bürgerinnen und Bürger als mündige Bürgerinnen und Bürger angesprochen werden und damit Freiheit in der Gestaltung des eigenen Lebensmodells weitestmöglich gewährt sein muss. Staatliche Regulatoren sollen auf ein Minimum beschränkt werden. Das sieht jetzt nach einem Konflikt aus. Tatsächlich ist der Konflikt zu lösen. Im vorliegenden Fall stehen «Wahlfreiheit und Wettbewerbsideen» im Gegensatz zu einer wichtigen Kernaufgabe des Staates; nämlich öffentlicher Bildung. Es gibt eben Bereiche, in denen das Interesse des Staats an Gleichbehandlung, aber auch an Optimierung von Aufwand und Ertrag der von ihm bereitzustellenden Leistungen Eingriffe in die Wahlfreiheit der Bürgerinnen und Bürger nötig macht. Das trifft eben genau auf die öffentliche Bildung zu. Ich wiederhole nicht die Gründe, die für eine Ablehnung der Initiative schon aufgeführt worden sind. Ich lese auch nicht die umfangreiche Botschaft der Regierung nochmals vor. Glücklicherweise haben wir nämlich tatsächlich keinen Handlungsbedarf. Die Schulen arbeiten gut. Wir haben viele engagierte Lehrkräfte und erzielen mit unserem System insgesamt ausgezeichnete Ergebnisse. Die Initianten haben zahlreiche Einzelfälle als Problemfälle dargestellt. Möglicherweise würde tatsächlich viel gewonnen, wenn in belasteten Einzel- und Problemfällen eine unbürokratische Lösung auch mit den vorhandenen Strukturen gefunden werden könnte. Ich denke an Klassenwechsel intern in einer Schule oder ausnahmsweise an Schulwechsel. Damit wäre ein Hauptargument der Initianten für eine freie Schulwahl auch hinfällig. Der Ball diesbezüglich liegt bei den Schulbehörden und beim Bildungsdepartement. Am Ziel vorbei schiesst nicht zuletzt aus den finanzpolitischen Erwägungen die Formulierung eines Gegenvorschlags der GRÜ-Fraktion.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

beantragt im Namen der GRÜ-Fraktion, Ziff. 2 wie folgt zu formulieren: «Dem Volk wird ein Gegenvorschlag unterbreitet und das Volksschulgesetz vom 13. Januar 1983 wird mit folgendem Artikel ergänzt:

Art. 121 Abs. 1: Auf Gesuch der Privatschulen gewährt der Kanton für Schülerinnen und Schüler mit Wohnsitz im Kanton St.Gallen einen jährlichen Beitrag an die Kosten zum Besuch einer Privatschule in der Höhe von 3'000 Franken. Der Regierungsrat kann die Beiträge bis höchstens zum Ausgleich der aufgelaufenen Teuerung anpassen.

Abs. 2: Die Ausrichtung dieses Beitrages ist nur möglich, wenn:

a) die Erziehungsberechtigten Aufenthalt im Kanton St.Gallen haben,

b) die Privatschule staatlich bewilligt und beaufsichtigt ist und

c) der Zugang ohne ethnische und religiöse Einschränkungen gewährleistet ist.

Randtitel: Beiträge zum Besuch von Privatschulen im Bereich der Oberstufe».

Wir haben gemerkt, eine völlig freie Schulwahl ist sicher noch nicht mehrheitsfähig. Ich kann das irgendwie mitfühlen. Wir sind einfach noch nicht so weit. Man muss aber sagen - und in den Ausführungen des Vorstehers des Bildungsdepartementes habe ich das völlig vermisst -, dass wir schon eine Schulwahl haben. Nämlich für wen haben wir eine Schulwahl? Für sehr vermögende Leute. Das ist genau das, was mich sehr stört. Wir haben eine Schulwahl für Eltern, die wahnsinnige Aufwendungen und fast eine Aufopferung auf sich nehmen, um ihre Kinder, die irgendwo dann anstehen in der normalen Schule, unterzubringen in einer Privatschule. Zum Vorsteher des Bildungsdepartementes: Sie wissen es selber ganz genau, mit Schulen wie Montessori oder so. Diese Schulen übernehmen Buben und Mädchen, die sehr aufwendig sind in der Schule. Die übernehmen eigentlich eine öffentliche Aufgabe. Und dann etwas anderes, was mir ebenfalls sehr wichtig ist, die Verfassung schreibt in Bezug auf die Bildung vor, wie wir mit der Bildung umzugehen haben. Art. 10 ist das. So, wie das Schulsystem heute in der Volksschule wirkt, wird diesem Verfassungsauftrag, diesem Staatsziel nicht nachgelebt. Wir müssen da etwas machen. Ich meine, es ist nur eine faire Lösung, wenn man ansatzweise diese Bemühungen von Eltern unterstützt, mit dieser Summe, wie man es hier vorschlägt.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Der Antrag der GRÜ-Fraktion ist abzulehnen.

Es sieht auf diesem Blatt nach Fr. 3'000.- aus. Fr. 3'000.- ist irgendwie noch erträglich. Aber kein Mensch hat bis jetzt gesagt, mit welchem Multiplikator wir das multiplizieren müssen. Mit wie vielen Personen müssen wir rechnen im System Primarschule, die bereits jetzt in Privatschulen sind? In der Oberstufe wissen wir es in etwa. Da haben wir Aussagen aus dem Bericht der Regierung gehabt. Mit wie vielen zusätzlichen Personen, die mit diesem Anreizsystem wie eine Giesskanne über alle gegossen würde, zusätzlich noch auf diese Idee kämen. Ich bitte den Rat dringend, sich nicht von diesen knappen Fr. 3000.- verleiten zu lassen und eine Ausgabe auf Dauer zu beschliessen, deren Ausmass wir jetzt gar nicht kennen. Im Übrigen wird sicher der Kommissionspräsident noch sagen, dass wir über dieses Thema im Rahmen der Kommissionsberatung kurz gesprochen haben.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der SP-Fraktion): Die Initiative und der Gegenvorschlag sind abzulehnen.

Ich verzichte darauf, nochmals alle Argumente zu wiederholen, sondern ich möchte kurz auf Müller-St.Gallen antworten. Er hat wie immer eine OECD-Studie zitiert, die beweist, dass die freie Schulwahl zu einem besseren Schulerfolg führt. Jede Untersuchung der Pisa-Studie zeigt, dass die Schweiz ausgezeichnete Schulergebnisse hat im internationalen Ranking. Was das Schlimmste an dieser Initiative ist, dass sie unserem hochqualitativen Schulwesen unterstellt, dass es schlecht sei und ungenügende Resultate erziele. Genau das Gegenteil ist der Fall. Dann werden in diesem Zusammenhang irgendwelche Einzelfälle hervorgezogen, die dann sozusagen den Mangel dieses Schulsystems zeigen sollen.

Müller-St.Gallen hat auch hingewiesen, dass benachteiligte Schüler durch die freie Schulwahl bessere Chancen hätten. Das trifft doch in keiner Art und Weise zu. Sondern im Gegenteil. Sie werden die Situation haben, dass eine soziale Segregation einsetzt und damit sich die Situation der benachteiligten Schüler weiter verschlechtert.

Dann hat Müller-St.Gallen darauf hingewiesen, dass es keinen Schultourismus geben wird. Genau das aber setzt ein, ein Schultourismus. Weil es ist dann die einfachste Lösung, dass man in dem Moment, wo ein Problem auftaucht, die Schule wechseln wird. Dann gibt es Schüler, die man von einer Schule zur anderen hin- und herschiebt. Die Konsequenz hat die öffentliche Schule zu tragen. Weil sie muss den Schüler in jedem Fall wieder zurücknehmen und das Problem übernehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auch darauf hinweisen, dass die öffentlichen Schulen heute schon häufig damit konfrontiert sind, dass Sie Problemschüler aus Privatschulen wieder zurücknehmen müssen, weil sie diesen Auftrag haben. Diese qualitativ hochstehenden Privatschulen sind in vielem ein Märchen.

Es geht hier anscheinend darum zu sagen, dass die Kinder sehr verschieden sind. Natürlich sind die Kinder sehr verschieden. Das ist eine Binsenwahrheit. Aber ich bestreite, ob die Eltern am besten wissen, welche Bedürfnisse ein Kind hat. Auf der einen Seite stehen die Bedürfnisse des Kindes und die Bedürfnisse der Eltern. Aber auf der anderen Seite stehen die Bedürfnisse des Staates. Seit der Französischen Revolution haben die Liberalen in diesem Land die Schulpflicht durchgesetzt gegen den Widerstand der Eltern und haben die Schulpflicht gegen die Kinderarbeit durchgesetzt und haben eine allgemeine Schule für alle geschaffen mit hohen Werten wie Humanität, Chancengleichheit und zukunftsgerichtete Bildung. Deshalb braucht es eine staatlich kontrollierte Schule, weil es Bedürfnisse der Öffentlichkeit gibt. Diese Bedürfnisse der Öffentlichkeit mit ihren Werten werden gerade durch diese Initiative gefährdet. Insbesondere auch, dass das Demokratiedefizit entsteht. Weil dann der Bürger für Schulen zahlen müsste, zu denen er gar nichts mehr zu sagen hat.

Der Kanton St.Gallen hat ein qualitativ hochstehendes Bildungswesen. Eine Veränderung in irgendeiner Hinsicht freie Schulwahl ist in keiner Weise notwendig. Die Initiative und der Gegenvorschlag sind abzulehnen. Der Gegenvorschlag, der sozusagen auf der Ebene der sozialen Gerechtigkeit argumentiert, erfüllt diesen Zweck in keiner Art und Weise. Sondern Sie subventionieren nur jene reichen Eltern, die Privatschulen heute schon zahlen können, und angesichts der Finanzlage dieses Kantons finde ich das stossend.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Kommissionspräsident: In der vorberatenden Kommission wurde die Idee einer staatlichen Kostenbeteiligung zum Besuch einer Privatschule, wie das der Kanton Baselland kennt, auch eingebracht. Ein Antrag dazu wurde in der vorberatenden Kommission allerdings nicht gestellt, wohl auch weil man eigentlich der Meinung war, dass dieses Anliegen materiell nicht mit dem eigentlichen Initiativtext in Zusammenhang stehe.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Regierungsrat: Dem Antrag der Regierung ist zuzustimmen.

Für einmal hat mir das Votum von Lemmenmeier-St.Gallen wirklich am besten gefallen. Er hat klar aufgezeigt, wie wichtig die Volksschule ist. Eben entgegen der Aussage, wie sie in den Raum gestellt wurde, dass man die Qualität der Volksschule im Kanton St.Gallen in Frage stellt, dass man da entschieden dagegen votieren muss und wirklich auch sagen muss, dass eben diese Qualität sehr gut ist. Ich gebe Blum-Mörschwil insofern recht: Es ist richtig, dass wir uns nicht nur auf die Schultern klopfen dürfen und sagen, wir sind in allen Vergleichen die Besten und darum besteht kein Handlungsbedarf. Ich höre diese Stimmen auch immer wieder aus der Wirtschaft, dass wir daran arbeiten müssen, dass wir noch besser werden. Die Lehrverträge, die wir jetzt wieder abgeschlossen haben in diesem Jahr, bestätigen auf jeden Fall das Gegenteil. Noch nie wurden so viele Lehrverträge abgeschlossen im Kanton St.Gallen, wie das dieses Jahr der Fall war. Zum Aufzeigen, wo eben wir in der öffentlichen Volksschule Handlungsbedarf haben und diesen auch anstreben, was die Oberstufe betrifft. Wir sind stark daran. Wir haben eine Form der Oberstufe, indem wir eben die Durchlässigkeit der Oberstufe verbessern. Wir haben dort klar einen Mangel festgestellt. Weiter werden wir mit dem Testsystem und mit dem «Stellwerk» bessere Möglichkeiten haben, die Schüler in diese Berufsrichtung zu bringen und dort zu empfehlen, was das Richtige für sie ist.

Im Weiteren haben wir das Programm Case Management, im Kanton St.Gallen Plan B. Auch dort werden wir uns der problematischen Schüler in der Oberstufe annehmen und schauen, dass sie auch eine Lehre aufnehmen. Wir sind sehr wohl bereit, Mängel zu erkennen und dann eben auch die Massnahmen zu ergreifen, dass wir noch besser werden, was die Volksschule betrifft. Es wurde bereits dargelegt, das ist auch dem Bericht zu entnehmen, die vielen Nachteile, Probleme und Gefahren, die mit der freien Schulwahl auf der Oberstufe verbunden sind. Ich möchte nicht nochmals alles wiederholen, was gesagt wurde. Es besteht ganz klar die Gefahr, dass sich eine Zweiklassengesellschaft, was die Schulen betrifft, ergeben könnte. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen. Wir haben hier jetzt in der Volksschule die gesellschaftliche Integration, die besser einfach nicht bewerkstelligt werden kann. Mit der freien Schulwahl wäre eine soziale Entmischung möglich, die wir eben so nicht riskieren möchten. In diesem Zusammenhang muss einfach noch darauf hingewiesen werden, dass ich vor allem auch eine Gefahr sehe bei den Schulen in ländlichen Gebieten. Dort besteht die Gefahr, dass wenn Schüler abwandern, bei vielleicht jetzt schon kleinen Schülerbeständen, dann besteht eben die Gefahr, dass diese Schulen noch mehr unter Druck kommen, dass sie eben aufrechterhalten werden können. Hier müssen wir speziell darauf achten.

Ich möchte noch verdeutlichen, was die Organisation und die Unklarheiten betrifft, was in diesem Initiativtext eben ausgesagt wird oder eben nicht ausgesagt wird. Mit welchem Vorlauf muss man sich anmelden, damit man in eine Privatschule gehen kann, bzw. mit welchen Fristen kann man dann wieder wechseln in die öffentliche Volksschule? Alles unklar. Das wird für die Organisation der Volksschule riesige Probleme mit sich bringen, und keiner hat eine Antwort auf diese Frage. Man muss sich auch bewusst sein, die öffentliche Volksschule ist gemäss Verfassung verpflichtet, die Schüler aufzunehmen. Die Schüler, die dann in die Privatschule gegangen sind, die können einfach wieder sagen, wir kommen wieder zurück. Wir wollen wieder in die öffentliche Schule und wir bzw. die Schulgemeinden müssen diese dann wieder aufnehmen. Das ist ein Verfassungsauftrag. Hier hat man kein Wahlrecht.

Man muss sich auch bewusst sein, was passiert, wenn sich hier irgendwelche Entwicklungen abzeichnen, dass eben Schüler von der einen Gemeinde in die andere Gemeinde sich bewegen. Dieser Schulraum muss zur Verfügung gestellt werden. Auch hier besteht eine Verpflichtung. Schulgemeinden, die heute genügend Schulraum haben, könnten sich so entwickeln, dass die Schüler immer mehr zuwandern. Plötzlich müssen sie noch zusätzliche Schulhäuser bauen, weil sie einen derartigen Run auf ihre Schulgemeinde haben. Was auch gesagt wurde, und hier sehe ich ein grosses Risiko - das ist im Bericht nicht ausdrücklich erwähnt: Es ist auch das Problem der Lehrpersonen. Wenn Sie zwei Klassen von Schulgemeinden haben, wo in der einen Gemeinde die Schüler weglaufen und die anderen kommen dazu, dann werden Sie diese Zweiklassenschulen haben. Eben die guten und eben die problematischen Schulhäuser, d.h. schlussendlich Schulzimmer. Dann möchte ich diese Leute sehen, die dann mithelfen, die Lehrpersonen zu finden, die dort unterrichten. Wir haben jetzt schon Probleme, dass wir genügend Lehrpersonen bereitstellen können für die Volksschule. Für die richtige Qualität habe ich keine Sorgen. Aber das wird die Problemsituation verstärken, was die Bereitstellung von Lehrpersonen und die Motivation der Lehrpersonen eben in Zukunft mit sich bringen könnte. Sie sehen, viele Gründe, die eigentlich ganz klar gegen diese freie Schulwahl auf der Oberstufe sprechen. Daher kann ich Sie nur bitten, dass Sie diese freie Schulwahl entsprechend dem Antrag der Regierung auch unterstützen.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Ratspräsident: Das Präsidium sieht eine Eintretensdebatte vor.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Ratspräsident: Wir nehmen die Gesamtabstimmung jetzt gleich vor.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der FDP-Fraktion): Zu Blum-Mörschwil: Etwas haben Sie uns verschwiegen. Mörschwil führte noch nie eine Oberstufe. Diese Gemeinde kann die Kosten für die gesamten Infrastrukturen sparen. Es gab dort noch nie eine Oberstufe. Also können die Schüler wählen, wohin sie gehen wollen. Der Tourismus ist da, das stimmt. Was mich aber ganz stark betroffen gemacht hat, ist Ihre Aussage. Ich muss diese korrigieren. Als Schulratspräsidentin erlebe ich, wie die Lehrpersonen jeden Tag einen guten Job machen und sich mit Schülerinnen und Schülern mehrheitlich stark beschäftigen müssen. Mit solchen Schülerinnen und Schülern, die weder pünktlich sind, die weder zuverlässig sind und die weder Disziplin haben. Das sind Tugenden, die wir eigentlich im Elternhaus erwarten. Das Elternhaus vermittelt diese Tugenden nicht mehr. Also wird die Schule auch zu einer Art Reparaturwerkstätte. Jetzt kommen wir und öffnen diese Reparaturwerkstätte. Die Guten gehen weg, dann machen sie irgendetwas Komisches, und dann kommen sie wieder zurück. Weil die öffentliche Schule hat einen klaren Auftrag, die Schülerinnen und Schüler zu beschulen. Wollen wir denn das wirklich? Ich gebe Ihnen recht. Es trifft tatsächlich zu, dass Schülerinnen und Schüler nach der dritten Oberstufe nicht das bringen, was wir gerne hätten. Aber das ist wahrlich nicht die fehlende Initiative der Lehrpersonen, sondern wir müssen endlich akzeptieren, es gibt Schülerinnen und Schüler, die sind lernfähig und lernwillig. Es gibt auch solche, die sind absolut lernunwillig, und da können wir jeden Tag vermitteln, was wir wollen. Sie nehmen es nicht auf und sie lernen es dann in ein paar Jahren, wenn der Lehrmeister ihnen mehrere Male gesagt hat, du kannst es nicht, wir müssen das Verhältnis beenden. Ich bitte Sie, die freie Schulwahl korrigiert das, was wir korrigieren müssen, tatsächlich nicht. Wir müssen viel mehr bei den Eltern ansetzen und nicht immer auf unseren Schülern herumreiten.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Präsident der vorberatenden Kommission: Die Verfassungsinitiative «Freie Schulwahl auf der Oberstufe» ist ohne Gegenvorschlag abzulehnen.

Die vorberatende Kommission traf sich am 11. August 2010 zu einer halbtägigen Sitzung, um sich mit der Verfassungsinitiative «Freie Schulwahl auf der Oberstufe» bzw. mit dem entsprechenden Bericht der Regierung zu befassen. Die Initiative möchte ein Recht für Eltern erwirken, um zwischen den öffentlichen sowie den privaten Oberstufen im Kanton frei wählen zu können.

Neben den Kommissionsmitgliedern und dem zuständigen Regierungsrat Kölliker nahmen im Weiteren an der Kommissionssitzung teil: die Generalsekretärin des Bildungsdepartementes, Esther Friedli, der Leiter Dienst für Recht und Personal, Jürg Raschle, die Leiterin des Amtes für Volksschule, Christina Manser, sowie die Leiterin Abteilung Recht, Franziska Gschwend, die auch für die Protokollführung zuständig zeichnete.

Einleitend zur Sitzung wurde dem lnitiativkomitee sowie dem Verband St.Galler Volksschulträger als Vertreter der Gegenseite die Möglichkeit geboten, die Vorlage zu würdigen und ihre Argumente der Kommission darzulegen. Die je 10-minütige Präsentation übernahmen für das Initiativkomitee gemeinsam Michael Suter und Vincenz Rentsch, für die Gegenseite Thomas Rüegg als Präsident des SGV.

Die eigentliche Beratung der Vorlage eröffnete Regierungsrat Kölliker mit seinem Referat, in dem er die Sicht der Regierung erörterte und der vorberatenden Kommission beantragte, die Initiative dem Stimmvolk ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Er betonte dabei die Volksnähe der öffentlichen Schule und das anerkannte hohe Niveau ebendieser. Aus der Argumentation der Regierung griff Regierungsrat Kölliker im Speziellen drei Punkte auf. Zum einen machte er auf die uneinheitliche Struktur unseres Kantons aufmerksam, die bei einer freien Schulwahl die Land- gegenüber der Stadtbevölkerung benachteiligen würde. Weiter führte er aus, dass die freie Schulwahl der Integration verschiedener Gesellschaftsschichten hinderlich wäre und zu einer Entmischung der Gesellschaft führen würde, und er betonte, dass die freie Schulwahl auf jeden Fall zu Mehrkosten führte.

In den einleitenden Voten der einzelnen Fraktionen wurden diese Aspekte grossmehrheitlich ähnlich eingeschätzt, so wie auch die weiteren Argumente im Bericht der Regierung gegen die Initiative gestützt wurden, nämlich dass die Idee strukturschädigend und nicht kostenneutral sei. Zudem wurde argumentiert, dass dadurch die Werte unserer Gesellschaft aufs Spiel gesetzt und Parallelgesellschaften gefördert würden. Auch wurde stark bezweifelt, dass die Idee der freien Schulwahl die Qualität der Schule steigern würde, und es wurde dargelegt, dass ein freier Markt das Fordern und Fördern der Volksschule gefährde. Die Gefahr des Wettbewerbs wurde angesprochen, bei dem sich die Schulen verkaufen müssten anstatt zu bilden. Letztlich sah man auch einem allenfalls aufkommenden Schultourismus skeptisch entgegen. Wie aus dem Abstimmungsresultat ersichtlich wird, gab es in der vorberatenden Kommission allerdings auch eine Minderheit, die die Vorlage unterstützte und der Meinung war, dass eine freie Schulwahl der Qualität auf der Oberstufe zuträglich wäre. Dabei wurde auch auf die Situation in anderen europäischen Ländern verwiesen. Es wurde die Ansicht vertreten, dass die Eltern besser als der Staat wüssten, was gut für ihre Kinder sei. Zudem trage die freie Schulwahl zu einer besseren Chancengleichheit bei.

In der Spezialdiskussion wurde der Kanton Baselland erwähnt, der die Eltern bei der Finanzierung einer Privatschule mit einem Geldbetrag unterstützt. Diese Variante ist letztlich aber nicht Gegenstand dieser Vorlage. Weiter wurde auch die besondere Situation auf der Oberstufe in der Stadt St.Gallen angesprochen, da hier bis zu einem gewissen Grad eine freie Schulwahl besteht. Die vorberatende Kommission war aber klar der Meinung, dass diese Initiative diese Probleme auch nicht lösen könne.

Auch tauchten verschiedene rechtliche Probleme in der Diskussion auf, die nach einer eventuellen Annahme der Initiative auf dem Gesetzes- oder Verordnungsweg gelöst werden müssten. Dabei ging es in erster Linie um den besonderen Status der Privatschulen im Bereich der Kontrolle und der Vorschriften gegenüber den staatlichen Schulen, als Beispiel sei hier nur die Ausbildung und Wahlfähigkeit der Lehrpersonen erwähnt. Diverse Unsicherheiten, die in der Diskussion aufkamen, sind im lnitiativtext noch nicht geklärt, wie etwa der zeitliche Rahmen der Schulwechsel oder die Verpflichtung zur Aufnahme der Schülerinnen und Schüler.

Schliesslich gewichtete die vorberatende Kommission die Gefahren der freien Schulwahl klar schwerer als deren Vorteile. So stimmte die vorberatende Kommission dem Antrag der Regierung zur Ablehnung der Verfassungsinitiative mit 13:2 Stimmen zu. Auch dem Antrag, dem Volk keinen Gegenvorschlag zu unterbreiten, stimmte die vorberatende Kommission mit 13:0 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu. Seitens der vorberatenden Kommission wurden keine Anträge gestellt.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der CVP-Fraktion): Die Initiative ist abzulehnen und ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten.

Ja, es wäre eine überaus komfortable, aber auch risikoreiche und kostspielige Lösung, wenn Eltern künftig aus allen Oberstufenzentren des Kantons, unabhängig von ihrem Wohnort, das ihnen passende frei auswählen könnten und dass die Gemeinden für das entsprechende Schulgeld dieser «Wahlschule» aufkommen würden. Ist die Umsetzung dieser vorliegenden Initiative in unserem Kanton wirklich nötig, sinnvoll und angebracht? Ist es nicht einfach ein Wunschdenken einer kleinen Minderheit, diesen «Luxus» für ihre Kinder in Anspruch nehmen zu können? Und ist es wirklich Sache des Staates, eine freie Schulwahl auch zu finanzieren?

Mit dieser Initiative werden zu viele Werte unserer Gesellschaft aufs Spiel gesetzt. Bestehende, gut funktionierende Schulstrukturen sowie die Vermittlung unserer Grundschulausbildung dürfen doch nicht dem freien Markt ausgesetzt werden. Wir finden wirklich zu wenige Argumente, dass wir diese Initiative unterstützen könnten. Die Vorlage ist auch inkonsequent, denn Chancengleichheit geht unserer Meinung nach nicht erst auf der Oberstufe los. Im Erziehungs- und Bildungsauftrag wird vorgegeben, die Volksschule nach christlichen Grundsätzen zu führen. Mit einer freien Schulwahl auf der Oberstufe ist das Führen von Volksschulen nach diesen christlichen Grundsätzen nicht mehr gewährleistet. Mit einer freien Schulwahl würden wir auch Tür und Tor öffnen für Schulen bzw. Klassen jeglicher kulturellen Zusammensetzung. Zudem würden wir auch die Entmischung fördern, also Schulen für spezielle Schichten und Gruppen schaffen oder unterstützen.

Diese Entwicklung würde den von uns stets immer wieder zu pflegenden Integrationsbemühungen völlig quer stehen und entgegenwirken. Wollen wir dies? Dass eine freie Schulwahl strukturschädigend ist, liegt auf der Hand. Mit diesem «Schultourismus», wie er in der Vorlage auch genannt wird, würden wir den Ablauf von Prozessen, die Klassen- und Pensenplanung sowie die Schulraumplanung massiv durcheinanderbringen und Nährboden geben für Unruhe und mehr Bürokratie.

Für viele Arbeitnehmer, sprich Lehrpersonen, wären vermehrt befristete Lehraufträge - anstelle unbefristeter Lehraufträge oder einer Wahl - an der Tagesordnung. Diese Entwicklung könnte ebenso für Unruhe und Unsicherheit im personellen Bereich führen und für die Entwicklung einer Schule gravierende Auswirkungen zeigen. Von Kosteneinsparungen oder Kostenneutralität bei einer freien Schulwahl auf der Oberstufe kann unserer Ansicht nach kaum die Rede sein. Im Gegenteil: In unserem vielfältigen Kanton kann doch unser Schulsystem nicht auf den Einzelfall ausgerichtet sein. Für unser Schulsystem muss das Ziel eine akzeptable Gesamtlösung verfolgen. Unserer Meinung nach geht diese Initiative zu weit. Wir wollen in Zukunft keine Schulen mit der Möglichkeit, Klassen nach Schichten und Kulturen zu schaffen und diese staatlich zu finanzieren. Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft sowie keine Parallelschulen für Parallelgesellschaften. Wir wollen das jetzige gute Schulsystem mit der sozialen Integration bewahren und stärken.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der SVP-Fraktion): Die Initiative ist abzulehnen und dem Volk ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten.

Die Initiative «Freie Schulwahl auf der Oberstufe» tönt im ersten Augenblick gar nicht einmal so schlecht. Sie verspricht bessere Schulen und zufriedene Kinder. Wer will das nicht? Wenn man sich aber mit der Initiative genauer auseinandersetzt, kommt die Ernüchterung. Das lnitiativkomitee argumentiert: In einer Wettbewerbssituation müssen sich staatliche Schulen, um sich gegenüber nichtstaatlichen Schulen behaupten zu können, möglichst gut auf die Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung einstellen. Das machen unsere Schulrätinnen und Schulräte in den Schulgemeinden heute schon tagtäglich, ohne dass sie dem Wettbewerb ausgesetzt sind.

Sicher ist es nicht immer und für jedes Kind das Allerbeste. Ich bezweifle aber auch, dass alle Eltern immer wissen, was das Beste für ihr Kind ist. Wir dürfen nicht wegen Einzelfällen unsere gute Volksschule auf den Kopf stellen. Unsere staatlichen Schulen bieten nicht nur einfach eine Grundausbildung. Sie sind auch ein wichtiger gesellschaftlicher Integrationsfaktor. Bei einer freien Schulwahl besteht die Gefahr, dass Parallelgesellschaften gefördert werden, was sicher nicht förderlich ist für ein friedliches Zusammenleben in unserem Staat. Wenn wir unsere staatlichen Schulen dem freien Wettbewerb aussetzen, ist es eine Vermutung, dass die Qualität besser wird. Ganz sicher aber ist bei der Annahme dieser Initiative, dass wir einen riesigen Kostenschub in unseren Oberstufenschulen verursachen werden. Und das nicht nur, weil es viel schwieriger wird, optimale Klassengrössen zu bilden, sondern auch der Druck auf die Schulgemeinden wird grösser, dies und jenes anzubieten, nur damit man angeblich konkurrenzfähig bleibt. Wie funktioniert dann die freie Schulwahl, wenn an einer Schule die Anmeldungen weit über deren Kapazität hinausgehen? Nach welchen Kriterien werden dann die Schüler ausgelesen? Sie sehen, so einfach wird es nicht mit der freien Schulwahl. Unter Punkt 8 in der Botschaft zeigt die Regierung deutlich die Gefahren auf, die bei einer Annahme dieser Initiative auf unsere Oberstufenschulen im Kanton zukommen. Die Regierung beurteilt den ganzen Sachverhalt richtig. Dementsprechend unterstützt die SVP-Fraktion grossmehrheitlich ihren Antrag.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der SVP-Fraktion): Der Initiative ist zuzustimmen.

Laut Aussagen von kantonalen Bildungsfachleuten und von diversen Vorrednern ist die Qualität der St.Galler Volksschule, ich zitiere: «hervorragend», das vor allem im Vergleich mit anderen Kantonen. Wenn man aber mit Leuten aus Gewerbe und Industrie spricht, dann tönen diese Aussagen zum Teil aber ganz anders. Zuständige für Lehrlinge raufen sich zum Teil die Haare, mit was für schulischen Kenntnissen Lehrlinge von der Schule in die Lehre übertreten. Es gibt Gewerbetreibende, die stellen nicht mehr gleich viele Lehrlinge ein wie früher, weil sie schlichtweg nicht mehr die Zeit finden, um Kenntnisse nachzubüffeln, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern. Es gibt aber auch Kenntnisse abseits der fachlichen Kenntnisse, die vermisst werden bei Gewerbetreibenden, und das sind Kenntnisse wie Pünktlichkeit, Konzentrationsfähigkeit oder Zuverlässigkeit. Dagegen stehen nun die Aussagen der kantonalen Bildungsfachleute, dass die Qualität hervorragend sein soll im Vergleich mit anderen. Aber Sie wissen, unter den Blinden ist der Einäugige König. Nur der Vergleich mit Schwachen ist etwas müssig. Wenn nun Lehrer aufbegehren gegen eine freie Schulwahl, dann kann ich das schon verstehen. Vor allem sind das die schwachen Lehrer. Weil die guten Lehrer freuen sich auf eine Herausforderung. Das ist überall so. Auch im Sport. Wenn in den Skiabfahrten vereiste und steile Hänge mit schwierigen Torkombinationen gefordert wird, dann freut sich unser Didier Cuche darauf, währendem die schwachen Fahrer von unzumutbaren Verhältnissen sprechen. Das ist in der Schule genau dasselbe. Die schwachen Lehrer jaulen jetzt auf und malen den Teufel an die Wand.

Es gibt auch Befürchtungen, dass dann Schulen geschlossen werden müssen. Ich kann nur sagen, das wäre ein Riesenglück, wenn schlechte Schulen mit schlechten Lehrern geschlossen würden. Weitere Befürchtungen wie Tourismus und Kostensteigerungen kann ich nicht ganz nachvollziehen. Weil es gibt heute Gemeinden, die praktizieren dieses System der freien Schulwahl in der Oberstufe bereits. Ich habe das Privileg, in einer solchen Gemeinde zu wohnen, und wir durften unsere Kinder wählen lassen, wohin sie gehen wollten. Es war fantastisch. Ich muss es Ihnen sagen. Die Gemeinde stellt je Kind und je Jahr einen gewissen Betrag zur Verfügung, und an den haben Sie sich zu halten. Wenn in einer Schule dieser Betrag höher ist, dann zahlen sie die Differenz selber. Das kann genau gleich sein auch mit dieser Initiative. Es ist natürlich selbstverständlich, dass dann bei der Ausgestaltung dieser Initiative strenge Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Sie sehen, es gibt durchaus auch Vorteile für eine freie Schulwahl. Ich fasse das zusammen:

  1. Die Qualität der heutigen Volksschule darf, ohne sich immer selber auf die Schultern zu klopfen, durchaus in Frage gestellt werden.

  2. Konkurrenz belebt das Geschäft, und das gilt ganz bestimmt auch bei Schulen und Lehrern.

  3. Freie Schulwahl findet heute schon sehr erfolgreich statt in gewissen Gemeinden, und ich kann Ihnen sagen, in unserer Gemeinde würde niemand einen Systemwechsel wollen. Da gebe ich dem Vorredner Müller-St.Gallen recht. Alle, die es heute haben, würden nie etwas anderes wollen.

  4. Wenn diese Initiative angenommen wird, müsste man ganz genaue Vorgaben machen, damit eben die Kosten nicht aus dem Ruder laufen, und das beweisen heute schon viele Gemeinden.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der FDP-Fraktion): Der Antrag der Regierung ist abzulehnen.

Dass hier im Saal die Gegner mit groben Pinselstrichen schwarzmalen, das ist meiner Ansicht nach normal. Aber dass dies ein Bericht der Regierung auch tut, das ist vielleicht eher bedenklich. Es werden in keiner Weise die Chancen, die die Initiative eröffnet, erwähnt. Beispielsweise diejenige, dass es je länger je wichtiger ist, die Eltern im Boot zu haben, dass Eltern, die die Schule wählen - auch sei es die nächstgelegene im Quartier -, dass die sich viel mehr mit der Schule identifizieren und am gleichen Strick ziehen wie die Lehrer und dass dieser Aspekt auch von den Lehrern ganz hoch gewichtet wird. Weitere positive Aspekte hat schon Müller-St.Gallen erwähnt. Ich muss nicht mehr auf diese zurückkommen. Blum-Mörschwil hat es soeben auch gesagt. Wo immer die freie Schulwahl eingeführt worden ist im Ausland, wurde sie nie rückgängig gemacht, und wie er auch schon erwähnt hat, auch in der Gemeinde Mörschwil nicht, die die freie Schulwahl auf der Oberstufe seit längerer Zeit erfolgreich kennt.

Es ist so, die Liberalen haben damals die Zeichen der Zeit erkannt und sich eingesetzt für die Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Auch heute gilt es wieder die Zeichen der Zeit zu erkennen und entsprechend zu handeln. Es ist nämlich so, dass heute bereits einfach durch Zügeln die Schule gewählt wird, in zunehmend grösserem Ausmass - wenn wir in den Kanton Zürich schauen - ist das schon erschreckend. Das hat natürlich auch hier nur «siedlungspolitische Auswirkungen», auch bei uns in der Stadt St.Gallen. Wenn Sie beispielsweise das Mietzinsniveau in St.Georgen anschauen, so spricht dies eine deutliche Sprache. Doch was eigentlich am Bericht am meisten stört und ärgert, und es wurde heute ausgerechnet auch von SVP-Kollege Habegger-Nesslau-Krummenau wiederholt, ist, dass die Eltern offenkundig für unmündig angeschaut werden. Sie sind wohl ausserstande zu beurteilen, was für ihr Kind am besten ist. Im Bericht steht sogar explizit von Fehlurteilen und Fehlentscheiden, die die Eltern treffen, falls der Staat eben diesbezüglich ihnen nicht den Weg zeigt. Ferner ist auch Folgendes bedenklich im Bericht. Er geht davon aus, dass eine grosse Mehrheit der Schülerinnen und Schüler fluchtartig das Schulhaus verlassen würden, dem sie zugeordnet sind, wenn die freie Schulwahl käme. Der Bericht spricht diesbezüglich von 15 Prozent. Wenn dem so wäre, dann hätten wir wirklich ein Problem, und zwar heute schon, wenn es nur so wäre, dass die Kinder und Schüler durch Zwang am Ort sind, wo sie sind.

Ich habe es vorhin schon gesagt, es gilt das Zeichen der Zeit zu erkennen und vorauszuschauen. Das ist unsere Aufgabe ganz losgelöst von dieser Initiative. Wir stellen fest, dass die Eltern durch Umziehen die Schule wählen. Wir verlangen von der Schule mehr Autonomie. Wir geben den Schulen mehr Autonomie. Zu Recht und mit Grund, weil es einfach bessere Resultate und bessere Schulen gibt. Mehr Autonomie heisst auch, dass sich die Schulen ein eigenes Profil geben dürfen. Auch das ist erwünscht, weil es zeigt, es gibt bessere Schulen. Schulen mit eigenen Profilen, aber das wird in Zukunft vermehrt das Bedürfnis der Eltern sein, auch dann wählen zu können. Wir setzen heute Qualität hoch. Wir evaluieren und checken die Qualität der Schule je länger je mehr. Irgendwann wird die Öffentlichkeit diese Resultate auch sehen wollen. Diese Resultate werden veröffentlicht werden müssen. Auch dies führt dazu, dass die Eltern und die Kinder die Schule frei wählen wollen.

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21.9.2010Wortmeldung

(im Namen der CVP-Fraktion): Offensichtlich wehren sich die Schulträgerinnen gegen diese Aussagen bezüglich der privaten Schulen oder bzw. der Vertreter der privaten Schulen. Wenn ich Blum-Mörschwil zuhöre, dann habe ich das Gefühl, dass wirklich unsere Oberstufenschüler alle unfähig und unwürdig sind, nachher in einen Beruf zu gehen. Dann müssten nach Ihren Aussagen im Prinzip alle Schülerinnen und Schüler in die Privatschule gehen und dann wäre ich sehr interessiert zu wissen, wie das dann geht. Ich bin überzeugt, wie meine Vorrednerinnen, dass die Qualität unserer öffentlichen Schulen gut ist und dass wir aber natürlich diese Schülerinnen und Schüler nehmen müssen, die wir bekommen. Es sind die Kinder, die hier geboren werden. Es sind die Kinder, die hier zur Schule gehen. Es sind die gleichen Kinder, die nachher in einen Beruf gehen müssen, und die können wir nicht auswählen. Wenn ausgewählt wird, nämlich mit der Privatschule, dann wird es elitär. Da habe ich dann schon meine sehr grosse Mühe, wenn herausgepickt wird, und ich mit meinem Produkt Kind möchte dann, dass das wirklich so geschult wird, wie ich mir das vorstelle. In der Schule versuchen wir vermehrt zu integrieren. Wir versuchen, dass die Guten von den weniger Guten miteinander profitieren und miteinander in die Schule gehen und eben genau nicht elitär ist, wie das ganz am Anfang der Diskussion auch gesagt wurde. Am schlimmsten ist es natürlich für die Schulträger bzw. für Sie als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Weil die Schulen werden mit viel Geld repariert und instand gesetzt. Die Lehrpersonen sind wegen einigen wenigen Kindern, die nicht in der Klasse sind, dann vielleicht trotzdem eine Klasse. Wir können nicht einfach Klassenzüge schliessen wegen den Privatschulen. Zum Glück ist die Diskussion auf der Primarstufe jetzt vom Tisch, aber auch auf der Oberstufe wird das ein Problem. Nochmals, wie es gesagt wurde: Mörschwil hat ganz wenige echte Privatschüler. Die Schülerinnen und Schüler von Mörschwil gehen alle in staatliche Schulen. Ich glaube, das ist auch eine sehr spezielle Art und Weise, wenn man die Schule nicht selber führt, sondern sie in andere Gemeinwesen einschulen lässt. Ich möchte Sie bitten, wirklich hier auch im Sinn der Bevölkerung aller unserer Kinder eine möglichst grosse Durchmischung unserer Schulen zu ermöglichen. Wir haben immer mehr bildungsferne oder auch ausländische Schülerinnen und Schüler, und die sind unsere Zukunft. Ich darf Sie einfach daran erinnern, dass das unsere Zukunft ist. Wir müssen diese Kinder bestmöglich beschulen. Ich glaube, das können Sie am allerbesten in den öffentlichen Schulen.

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010
21.9.2010Wortmeldung

Müssen wir nicht über den Antrag der Regierung, die Initiative sei abzulehnen, noch abstimmen?

Session des Kantonsrates vom 20. bis 22. September 2010