Geschäft: Berichterstattung der Rechtspflegekommission (Septembersession 2009)

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer39.09.02
TitelBerichterstattung der Rechtspflegekommission (Septembersession 2009)
ArtKR Berichterstattung
ThemaGrundlagen und Organisation
FederführungStaatskanzlei
Eröffnung15.9.2009
Abschluss21.9.2009
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
BotschaftBericht der Rechtspflegekommission vom 9. September 2009 (St.Galler Schiedsordnung)
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Gremium24.6.2024
Statements
DatumTypWortlautSession
21.9.2009Wortmeldung

Präsident der Rechtspflegekommission: Ich erstatte Ihnen in Ergänzung zur schriftlichen Unterlage Bericht über die «St.Galler Schiedsordnung»:

Der St.Gallische Anwaltsverband hat vor Kurzem unter dem Namen «St.Galler Schiedsordnung» (abgekürzt SGSO) eine Stiftung errichtet. Gemäss Kurzporträt stellt die Stiftung interessierten Kreisen ein Schiedsverfahren zur Verfügung, in welchem fachlich kompetente Schiedsrichter in einem raschen, allen rechtsstaatlichen Ansprüchen genügenden Verfahren über schiedsfähige Streitsachen zu angemessenen Kosten urteilen. Angestrebt wird, dass Parteien in einer Schiedsklausel oder -abrede vereinbaren, dass Streitigkeiten nach der SGSO durch ein Schiedsgericht anstelle der staatlichen Gerichte beurteilt werden. Für die Bestellung des Schiedsgerichts wird eine feste Liste geführt. Diese wird vom Board der Stiftung erstellt und umfasst nur Personen, welche den aufgestellten Qualitätsanforderungen genügen.

Das Board der Stiftung hat im Sommer 2009 verschiedene Mitglieder st.gallischer Gerichte im Hinblick auf eine mögliche Mitwirkung am Schiedsgericht angefragt. Ende August waren ein Kantonsrichter und ein Kreisrichter auf der vom Board der Stiftung erstellten Liste aufgeführt. Dem Kantonsgericht lag zudem ein formelles Gesuch einer dritten Person vor. Um eine einheitliche Bewilligungspraxis festzulegen, haben sich Kantonsgericht und Rechtspflegekommission gemeinsam mit dem Thema befasst.

Eine Delegation der Rechtspflegekommission, bestehend aus allen Subkommissionspräsidenten, führte auf dessen Ersuchen eine Aussprache mit Vertretern des Kantonsgerichts durch. Die Rechtspflegekommission behandelte das Thema anschliessend an ihrer Sitzung vom 9. September 2009. Sie hat gegen die Stiftung SGSO als solche nichts einzuwenden und anerkennt, dass eine qualitativ hochstehende Schiedsgerichtsbarkeit auch ein Element der Standortattraktivität sein kann.

Art. 40 Abs. 1 GerG bestimmt, dass hauptamtliche und festangestellte nebenamtliche Richter sowie Gerichtsschreiber keine Nebenbeschäftigung ausüben dürfen, welche die Amtsausübung beeinträchtigen kann. Für die Bewilligung einer Nebenbeschäftigung ist die jeweilige Aufsichtsbehörde zuständig. Soweit Mitglieder der Kreisgerichte betroffen sind, entscheidet somit das Kantonsgericht, soweit Mitglieder des Kantonsgerichts betroffen sind, der Kantonsrat.

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Ausübung einer Nebenerwerbstätigkeit eines Richters grundsätzlich dessen personelle Unabhängigkeit tangiert. Die Sicherung der institutionellen Unabhängigkeit, aber auch Ansehen, Aufgaben und Arbeitslast der Gerichte schliessen entgeltliche oder zeitraubende Nebentätigkeiten weitgehend aus; wirtschaftliche Bindungen und andere Abhängigkeiten sind mit Amt und Stellung nicht zu vereinbaren. Weil es schon den Anschein einer Interessenbindung zu vermeiden gilt, können Richtern von Beginn weg nur jene Nebenbeschäftigungen erlaubt sein, welche die uneingeschränkte Erfüllung der Amtspflichten, die Unabhängigkeit und das Ansehen des Amtes nicht beeinträchtigen.

Bei der Auslegung von Art. 40 Abs. 1 des Gerichtsgesetzes (GerG) ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit dem Erlass des Nachtragsgesetzes zum GerG die Vorschriften über Nebenbeschäftigungen von Richtern restriktiver gefasst hat, als sie von der Regierung vorgeschlagen worden waren. Der Kantonsrat führte anstelle der vorgeschlagenen Meldepflicht eine Bewilligungspflicht für Erwerbstätigkeiten und den Einsitz in Verwaltungsräten von Handelsgesellschaften ein. Dabei wurde die Auffassung vertreten, dass eine weitere Erwerbstätigkeit für hauptamtliche Richter nur in speziellen Ausnahmefällen zulässig sein soll und die Wahrung der Unabhängigkeit eines hauptamtlichen Richters nicht nur ein restriktives Verbot, sondern auch eine strenge Handhabung erfordert.

Im Zusammenhang mit der SGSO erachtet die Rechtspflegekommission als zentrale Frage, ob die private Schiedsgerichtstätigkeit die staatliche Tätigkeit an einem kantonalen oder Kreisgericht beeinträchtigen kann. Bei der Diskussion dieser Frage wurden insbesondere folgende Aspekte hervorgehoben:

  • Einzelne Personen, die in der staatlichen Rechtsprechung als einer fundamentalen hoheitlichen Funktion tätig sind, werden für die Mitwirkung an einem privaten Konkurrenzangebot in einem nicht demokratisch bestimmten Verfahren ausgewählt.

  • Nach aussen könnte der Eindruck erweckt werden, die in der staatlichen Rechtsprechung Tätigen seien nicht genügend ausgelastet in ihrer hoheitlichen Funktion.

  • Gewisse Schiedsrichtermandate können für den betroffenen Richter mit hohem Aufwand verbunden sein.

  • Im Einzelfall kann sich auch die Frage nach Interessenkonflikten und/oder der Ausstandpflicht stellen, insbesondere wenn ein privates Schiedsgerichtsurteil auf dem ausserordentlichen Rechtsmittelweg ans Kantonsgericht weitergezogen würde.

Die Rechtspflegekommission kam vor diesem Hintergrund zum Schluss, dass die private Schiedsgerichtstätigkeit die staatliche Tätigkeit an einem kantonalen oder Kreisgericht beeinträchtigen kann, und beschloss, allfällige Anfragen von Mitgliedern kantonaler Gerichte zur Bewilligung der entsprechenden Nebenbeschäftigung abzulehnen. Sie lädt das Kantonsgericht ein, in Bezug auf die Mitglieder der Kreisgerichte gleich vorzugehen.

Session des Kantonsrates vom 21. bis 23. September 2009