Geschäft: Neue Rahmenbedingungen für den Religionsunterricht in der Volksschule?

Übersicht
KomiteeKantonsrat
Nummer42.06.12
TitelNeue Rahmenbedingungen für den Religionsunterricht in der Volksschule?
ArtKR Motion
ThemaErziehung, Bildung, Kultur
FederführungBildungsdepartement
Eröffnung4.4.2006
Abschluss6.6.2006
Letze Änderung9.12.2021
vertraulichNein
öffentlichJa
dringendNein
Dokumente
PubliziertTypTitelDatei
AntragAntrag der Regierung vom 2. Mai 2006
VorstossWortlaut vom 4. April 2006
Beteiligungen
DatumAkteurTitelLetze Änderung
1.8.2019Person27.6.2024
Abstimmungen
DatumTitelResultatöffentlich
JaBedeutungNeinBedeutungAbsent / Enthaltung
6.6.2006Antrag Regierung auf Nichteintreten28Zustimmung112Ablehnung40
Statements
DatumTypWortlautSession
6.6.2006Wortmeldung

Dem Antrag der Regierung ist zuzustimmen und die Motion abzulehnen.

Vertritt als Mitglied des Administrationsrates den Katholischen Konfessionsteil und damit die katholische Landeskirche, welche für über 40 Prozent der Volksschulkinder den Religionsunterricht anbietet. Der Religionsunterricht, wie er heute von beiden Landeskirchen erteilt wird, ist ein Bestandteil des heutigen Lehrplans. Er ist aber nicht einfach Bekenntnisunterricht, wie es die Motionärin behauptet. Der heutige Religionsunterricht – erteilt von ausgebildeten Katechetinnen und Katecheten, von Priestern und Laienseelsorgern der beiden Landeskirchen – versteht sich als Beitrag der Kirchen für die Bildung der nächsten Generation. Religionsunterricht ist mehrdimensional, vielfältig zu verstehen. Er beinhaltet das Kennenlernen und Sich-Beschäftigen mit religiösen Überlieferungen und Traditionen sowie mit gegenwärtigen Ausprägungen von Religionen. Er beinhaltet auch die Begegnung mit den verschiedenen Religionen und die persönliche Auseinandersetzung mit religiösen und ethischen Fragen – einerseits die religionskundlichen Aspekte und andererseits die Werteerziehung aus reflektierter christlicher Grundhaltung. Auch das gemeinsame Feiern ist ein wichtiger Bestandteil des Religionsunterrichtes. Die Landeskirchen leisten damit einen wichtigen Bildungs- und Erziehungsauftrag in der Schule anstelle des Staates, natürlich mit Kostenfolgen. Dadurch dürfen auch die finanziellen, strukturellen und personellen Überlegungen nicht ausser Acht gelassen werden. Heute finanzieren die beiden Landeskirchen diesen Religionsunterricht. 75 Prozent aller Schülerinnen und Schüler besuchen das Fach Religion gemäss Lehrplan. Ich denke, das ist eine gute Investition der Landeskirchen in unsere Jugend. Die beiden Kirchen begrüssen aber auch das Vorhaben der Regierung, einen Ethikunterricht für die Kinder, die nicht den Religionsunterricht besuchen, einzuführen und hoffen, dass dies nicht nur in der Oberstufe, sondern bald auch in der Primarschule möglich ist. Für mich ist klar, auch der Ethikunterricht soll Werte vermitteln. Unsere Wertehaltung basiert auf christlicher Tradition. Dies soll auch wegweisend sein für einen Ethikunterricht an der Volksschule. Die gute Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Schulen und den Landeskirchen soll weiter gepflegt werden. Die Motion ist klar abzulehnen – aus gesellschaftspolitischen und finanzpolitischen Gründen.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2006
6.6.2006Wortmeldung

Ratspräsident: Die Regierung beantragt Nichteintreten.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2006
6.6.2006Wortmeldung

Meine Motion heisst «Neue Rahmenbedingungen für den Religionsunterricht in der Volksschule» – ohne Fragezeichen. Die Regierung setzt ein Fragezeichen, und das erklärt wahrscheinlich, warum sie Nichteintreten empfiehlt. Ich möchte Ihnen darlegen, warum sie unbedingt jetzt auf diese Motion eintreten sollen.

Die Argumentation der Regierung ist nicht zutreffend. Die Regierung räumt ein, dass auf der Oberstufe im Moment ein Viertel der Jugendlichen nicht auf das Pflichtpensum kommt. Das liegt am Religionsunterricht, den sie nicht besuchen. Das Problem ist also erkannt. Es gibt ein Viertel an Jugendlichen, die auf der Oberstufe keiner Konfession angehören oder einer anderen als den Landeskirchen. Das Problem taucht aber nicht erst auf der Oberstufe auf, denn die Kinder treten so bereits ins Schulsystem ein, sind also bereits während der ganzen Primarschule ebenfalls nicht dem Unterricht der Kirchen ausgesetzt. Die Regierung schlägt etwas Neues vor. Es soll für die Nichtbeschäftigten Ethik auf der Oberstufe geben. Das ist ein wahrscheinlich pragmatischer Vorschlag, allerdings habe ich mein Fragezeichen da, wenn Ethik zwangsweise verschrieben wird für jene, die bisher frei hatten. Ich frage, wie sehr sie da motiviert sind. Erstaunlich ist auch, dass die Regierung Erkenntnisse aus einem Oberstufenversuch dann auf die Primarstufe übertragen möchte, so «top down», das halte ich für nicht sehr pädagogisch.

Angeblich soll das bekenntnisorientierte Fach Religion/Ethik durch die Wertevermittlung einen besonderen Qualitätsanspruch der Volksschule erfüllen, und ein bekenntnisneutrales Fach könnte das nicht. Das ist mit Verlaub gesagt nicht sinnvoll. Bekenntnis und Werte sind zweierlei Dinge, so wie Glauben und Wissen sich eben unterscheiden. Bevor ich eine Haltung entwickle, muss ich Wissen über etwas haben. Ein Bekenntnis neutraler Unterricht ist nicht wertfrei. Die Volksschule hat den Auftrag, Werte zu vermitteln in allen Fächern. Ohne Werte können wir keine Sozialkompetenzen fördern. Darum erfüllt ein bekenntnisneutrales Fach, Religion und Kultur, ebenfalls diesen Anspruch der Wertevermittlung. Es ist ausserdem glaubwürdiger, weil ich nicht einfach nur auf das Überzeugen aus bin, sondern auch, indem ich das Wissen neutral darstelle. Von daher betrachtet ist ein neutrales Fach eben sinnvoll. Ich meine, dass sich die Regierung etwas hasenfüssig hinter einer Scheinlösung versteckt und nicht eigentlich benennen will, was sie fürchtet und was tatsächlich bei genauer Betrachtung die Folge sein könnte. Nämlich eine Auseinandersetzung mit den Landeskirchen. Die Motion befürwortet einen hoch stehenden und gut geführten Religionsunterricht und bezweckt, einen solchen allen Kindern zukommen zu lassen. Ausnahmslos allen von Beginn der Schulpflicht an. Niemand soll während der Religionsstunden unbeschäftigt sein. Niemandem sollen die christlichen Grundsätze als Kenntnisse vorenthalten werden. Alle sollen erfahren dürfen, was denn in anderen Religionen gelehrt wird. Das soll für alle verpflichtend sein. Das will die Motion und nichts anderes. In welchem Verhältnis diese Inhalte stehen sollen, das wird nicht definiert. Es soll auch nicht hier geschehen. Aber es liegt auf der Hand, dass das Christentum als die prägende Religion für unsere Kultur im Zentrum stehen muss und andere Religionen im Verhältnis ihres Vorkommens hier bei uns nachgeordnet berücksichtigt werden sollen.

Verändern würde sich etwas für die Landeskirchen, die im Moment eine anachronistische Monopolstellung innehaben. Kirchen sind nicht a priori die Einzigen, die Kenntnisse über Religion vermitteln können und auch nicht sollen, denn sie sind ihrem Bekenntnis verpflichtet. Hier zeigt die Antwort der Regierung einen argen Argumentationsnotstand. Sie weiss ganz genau, dass Art. 3 Abs. 1 des Volksschulgesetzes die Absicht der Gesetzgebenden zeigt, die öffentliche Schule bekenntnisneutral zu halten. Es sollten eben gerade keine katholischen oder reformierten Volksschulen geführt werden. Etwas anderes stand damals bei der Einführung nicht zur Debatte. Dass die Landeskirchen sowohl an Publikum wie auch an Personal erheblichen Mangel haben, soll hier nicht diskutiert werden. Ich bin übrigens selbst eine regelmässige Kirchgängerin bei unserer reformierten Pfarrerin und praktiziere dabei innerfamiliäre Ökumene. Trotzdem, die Öffentlichkeit, nicht die Kirchen sollen definieren, welche religiösen Inhalte zum Verständnis unserer Kulturgeschichte unverzichtbar sind. Darum sollten auch Lehrpersonen dies unterrichten. Denn nur so gelingt die Einbettung der Themen in den Gesamtunterricht, was für das Verständnis der Schulkinder der Primarstufe zentral ist. Dies ist keine Abkehr von der Vermittlung von Werthaltungen, wie sie der Lehrplan vorschreibt und mir die Regierung zu Unrecht unterstellen möchte. Im Gegenteil: Erst so wird der Lehrplan wirklich für alle umgesetzt. Die Motion entspringt der tiefen Überzeugung, dass der Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat für unser Staatswesen fundamental ist und darum auch in der Volksschule Beachtung finden muss. Das ist ein zutiefst liberaler Wert. Die Stellung der Landeskirchen ist aus dieser Sicht ein Anachronismus und mit der Trennung von Kirche und Staat eben eigentlich nicht vereinbart. Schule kann nie vollständig wertneutral stattfinden, denn alle Lehrpersonen tragen ihre eigenen Weltanschauungen auch ins Klassenzimmer. Ohne zu missionieren, das gehört zur professionellen Haltung.

Ich möchte nicht verheimlichen, dass die Diskussion um die Rolle der Kirchen und der Religion provoziert wird durch die Wertvorstellungen und Verhaltensvorschriften, die von Personen vertreten werden, die sich auf islamischen Glauben berufen. Es ist wichtig zu erkennen, dass im aufklärerischen Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat, der letztlich die Menschenrechte umsetzt, der grosse Unterschied zur islamischen Religionsgemeinschaft, die diesen Grundsatz nicht mitvollzogen hat, liegt. Wir kommen nur gemeinsam einen Schritt weiter, wenn wir auch die Stellung unserer eigenen Kirchen kritisch hinterfragen und dann einen Konsens mit anderen Religionen finden können. Einen Konsens, der die Stellung des Staates bestärken muss. Null Toleranz auch hier. Unser Kanton ist ein Staatswesen mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Um dieses Zusammenleben konstruktiv und integrierend zu gestalten, kann die Schule nur dann einen wesentlichen Beitrag leisten, wenn Sie nicht Schattenboxen gegen fundamentale Werthaltungen oder gegen Indifferenz bezüglich religiösen Dingen betreiben muss, die als heimlicher Lehrplan in die Schule hineinwirken. Es soll nicht mehr vorkommen, dass Kinder meinen, sie dürften nie unter keinen Umständen einen Fuss in eine Kirche setzen, um an der Weihnachtsfeier ohne Messe teilzunehmen. Ich möchte es in Zukunft auch nicht mehr erleben, dass in einer Gymnasialklasse auf die Frage: Wer war Luther? nach langem Nachdenken die Antwort kommt, das war ein amerikanischer Freiheitskämpfer. Das von Jugendlichen, die christliche Schule und Religionsunterricht besucht hatten.

Der Kanton Zürich hat es uns vorgemacht und anstelle des abgeschafften Religionsunterrichts ein Fach Religion und Kultur eingeführt. Genau das und nichts anderes intendiert diese Motion auch. Ich bitte Sie darum um Überweisung.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2006
6.6.2006Wortmeldung

Auf die Motion ist nicht einzutreten.

Zwar besteht schon ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem, was wir in dieser Frage vertreten, und dem, was Blöchliger Moritzi Ihnen gesagt hat. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass Religionsunterricht in unserer Schule Platz hat. Wir sind auch der Meinung, dass eine Schule, die nach Gesetz auf christlicher Grundlage erteilt wird, religiöse Werthaltungen vermitteln muss. Aber wir haben die grundsätzliche Glaubens- und Gewissensfreiheit zu gewährleisten, und hierzu gibt es eine ganz grosse Judikatur, was zulässig ist und was nicht. Jedermann kann sich gestützt auf seine eigene Gewissensüberzeugung vom Religionsunterricht abmelden. Der Religionsunterricht wird nach unserem Volksschulgesetz in der Schule durchgeführt, ist Bestandteil des Stundenplans, wird aber in der Verantwortung der Landeskirchen durchgeführt. Das gilt übrigens nicht nur in der Volksschule, das gilt auch für die Mittelschulen. In den Mittelschulen haben wir seit mehreren Jahren als Alternative Philosophieunterricht, weil wir die Meinung vertreten, dass Schülerinnen und Schülern, die keinen Religionsunterricht besuchen, ethische Grundlagen unseres Zusammenlebens ebenfalls beigebracht werden sollen. Es gibt keine vollständig wertfreie Ethik in dem Sinne, dass nicht die Grundlage desjenigen oder die Grundhaltung desjenigen, der Ethik und ethische Grundlagen vermittelt, eine Rolle spielt. Das bestreitet Blöchliger Moritzi-Abtwil auch nicht.

Aber wir sind der Meinung, der Ersatz für den Religionsunterricht für diejenigen, die ihn nicht besuchen, kann nicht ein Geschichtsunterricht sein, das, was der Kanton Zürich macht. Er wollte aus Spargründen ursprünglich den Religionsunterricht völlig streichen, weil dort der Staat den Religionsunterricht der anerkannten Kirchen bisher finanzierte. Das ist bei uns nicht der Fall. Wir stellen den Kirchen nur die Räume und das Zeitgefäss zur Verfügung. Ich habe nichts dagegen, dass im Bereich Mensch und Umwelt auch über die Religionen informiert wird. Aber das, was wir bisher als Religionsunterricht vermitteln wollten, das war nicht ein Unterricht über die Religionen, sondern das ist ein Unterricht, der die Werthaltungen der Religion vermitteln soll. Wir haben nichts dagegen, wenn andere Religionen, die in diesem Land nicht zu den öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen gehören, ihren Religionsunterricht vermitteln. Aber das heisst nicht, dass wir den beiden grossen Landeskirchen die Möglichkeit verwehren, in den Räumen der Schule und im Rahmen des Stundenplans Religionsunterricht zu vermitteln.

Wünschenswert wäre, wenn man den Ersatzunterricht sofort einführen könnte. Wir möchten aber hier noch gewisse Erfahrungen abwarten und wir sind noch dabei, das Modell Blockzeiten endgültig auszuarbeiten, und dort wird sich dann die Frage stellen, ob allenfalls ein solches Gefäss geschaffen wird. Was Blöchliger Moritzi will, ist das Abschaffen des Religionsunterrichtes und den Ersatz durch Geschichtsunterricht über die Religionen. Da sind wir anderer Meinung. Ich habe mich bei der vorherigen Debatte deutlich genug dahin gehend ausgedrückt, dass ich für fundamentalistische Strömungen, die in den Schulen Einzug halten, wenig Verständnis habe. Auf der anderen Seite glaube ich, dass das, was wir heute praktizieren, eine vernünftige Lösung ist.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2006
6.6.2006Wortmeldung

Sie haben mich leider vergessen. Ich werde mich nach der Regierung nun nicht mehr äussern. Nur so viel: Die GRÜ-Fraktion unterstützt den Nichteintretensantrag der Regierung.

Session des Kantonsrates vom 6. und 7. Juni 2006