Schweizer Memorial für die NS-Opfer: Grundlagen für Vermittlung und Vernetzung erarbeitet
Der Bundesrat hat im Frühjahr 2023 entschieden, ein nationales Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus zu unterstützen. Der Kanton St.Gallen und der Schweizerische Israeltische Gemeindebund haben in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Hohenems strukturelle Grundlagen für die Bereiche Vermittlung und Netzwerk erarbeitet. Der Fokus liegt dabei auf dem vorgesehenen Vermittlungszentrum im Raum Diepoldsau.
Das Konzept für das Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus sieht drei Elemente vor: Erinnern, Vermitteln und Vernetzen. Der Bereich Erinnern umfasst einen Erinnerungsort, der in Bern realisiert werden soll. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat dazu kürzlich eine Zusammenarbeitsvereinbarung mit der Stadt Bern unterschrieben, auf die nun die Definition von Standort, Wettbewerbsverfahren und Planungen folgen wird. Die Bereiche Vermitteln und Vernetzen wiederum werden durch eine Arbeitsgemeinschaft des Kantons St.Gallen, des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG), des Jüdischen Museums Hohenems und eines Fachbeirats konzeptionell vorbereitet.
Ausgangspunkt des Netzwerks in Diepoldsau
Nun haben der Kanton St.Gallen, der Schweizerische Israelitische Gemeindebund sowie das Jüdische Museum Hohenems erste Grundlagen erarbeitet. Sie möchten für den Bereich Vernetzen einen Trägerverein gründen. In diesem sollen sich viele Partnerinstitutionen engagieren und so als schweizweites «Netzwerk Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus» agieren.
Das Netzwerk soll die Vielschichtigkeit der Geschichte der Schweiz während der NS-Zeit berücksichtigen und die unterschiedlichen Schicksale der verschiedenen Opfer und Betroffenen. Es soll den Austausch zwischen den Institutionen und Initiativen in allen Landesteilen fördern. Dazu gehören der Wissensaustausch, die Öffentlichkeitsarbeit, Wechselausstellungen, gemeinsame Online-Angebote und anderes. Als Ausgangspunkt des Netzwerks wird ein Vermittlungszentrum im Raum Diepoldsau zum Thema Fluchtgeschichte während der NS-Zeit realisiert.
Das Vermittlungszentrum am Rhein ist ein Pfeiler des Schweizer Memorials für die Opfer des Nationalsozialismus und integraler Bestandteil des nationalen Netzwerks von Gedenkstätten und Informations- und Vermittlungsorten, dessen Erinnerungsort in der Stadt Bern errichtet werden wird. Das Netzwerk möchte historisches Wissen vermitteln und für die Themen Demokratie, Menschenrechte, Umgang mit Minderheiten und Engagement gegen Antisemitismus sensibilisieren.
Transnationales Angebot im Zentrum
Im neuen Vermittlungszentrum in Diepoldsau möchten die drei Akteure innovative und digitale Ausstellungs- und Vermittlungselemente an der Landesgrenze anbieten. Die Besucherinnen und Besucher erfahren am Ort des Geschehens und eingebettet in den historisch-politischen Kontext von den Schicksalen der Menschen, die vor den Gräueln des NS-Regimes flüchteten. Dabei soll geprüft werden, inwieweit auch bestehende Liegenschaften des Zolls genutzt werden können. Das Jüdische Museum Hohenems (Vorarlberg) soll den Auftrag erhalten, das Vermittlungszentrums zu planen und zu betreiben. So können fachliche und betriebliche Synergien genutzt werden.
Den Besucherinnen und Besuchern des Vermittlungszentrums bietet sich zudem die Möglichkeit, im benachbarten Hohenems sowohl im Jüdischen Museum als auch anhand des baulichen Erbes der einstigen jüdischen Gemeinde weitere Aspekte der jüdischen Kultur und Geschichte zu erleben. Das Jüdische Museum hat in den letzten Jahren unter anderem mit der Realisierung eines grenzüberschreitenden Radwegs zum Thema Flucht europaweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Auch für das vorgesehene neue Vermittlungsangebot an der Landesgrenze besteht seitens der umliegenden Länder bereits ein Interesse, sich daran zu beteiligen.
Wichtige fachliche Unterstützung
Neben der internationalen Vernetzung ist auch die breite fachliche Abstützung zentral. Ein wissenschaftlicher Beirat unterstützt die Umsetzung. Im kommenden Juni ist an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen eine Fachtagung mit gesamtschweizerischer Beteiligung geplant. Der Bildungsbereich wird in das Projekt eingebunden. Damit will man die Bedürfnisse von Schulen und Lehrerinnen und Lehrern früh abdecken. Im Internet sind weitere Informationen zum Projektstand abgebildet (Projektbeschreibung und weitergehende Informationen).
Die Erarbeitung der strukturellen Grundlagen für den Bereich Vermittlung und für das Netzwerk erfolgt im Rahmen der vom Bundesamt für Kultur vorgegebenen Bedingungen, um das Projekt im Rahmen der Kulturbotschaft 2025–2028 des Bundes zu realisieren und zu finanzieren. Der Bund prüft nun die Auslegeordnung. Die weiteren Beschlüsse von Bundesrat und Parlament sind im Verlauf dieses Jahres zu erwarten. Im Anschluss wird eine abschliessende, umfassende Eingabe erfolgen, die auch Aspekte der Mitfinanzierung durch Kantone und umliegende Länder im Detail umfassen wird.
Ausgangs- und Endpunkt der Fluchtgeschichte
Das Rheintal war insbesondere nach dem sogenannten Anschluss Österreichs ab März 1938 Schauplatz dramatischer Ereignisse im Zusammenhang mit geglückten und gescheiterten Fluchten vor dem Terror des Nationalsozialismus. Es bestehen enge Bezüge zum Fall des mittlerweile international bekannten St.Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger (1891–1972). Dieser rettete hunderte jüdische und andere Flüchtlinge vor der Verfolgung und dem Holocaust. In den Folgejahren verschoben sich die Schwerpunkte der Fluchtbewegungen je nach politischen und kriegerischen Ereignissen zu anderen Abschnitten der Landesgrenze. 1945 stand mit den Grenzübertritten von einstigen Zwangsarbeitenden und Kriegsgefangenen das Rheintal schliesslich wieder für kurze Zeit im Fokus.